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Schauspiel! Er wartete die Wegbiegung nicht
ab. Geradeaus lief er auf die Kirche zu.

Er rollte in einen Graben . . . stiel? sich an
einen Baumstumpf . . . verlor seinen andern
Holzschuh. . . .

Querfeldein schleppte er sich weiter, die
Augen starr auf die Helle vor sich gerichtet.
Und während er immer langsamer ging, wur-
den die kleinen Fußspuren, die er hinter sich
lief?, immer enger auf der endlosen, weißen
Fläche. Die Kirche wurde immer größer, kam
immer näher.

Stimmen drangen bis zu Peterchen:

. . . Gelobt sei Jesus
Christ! . . .

DieHände weitvon
sich ausgestreckt, die
Augen vor Entzücken
aufgerissen, trat er in
den Kirchhof, der sich
um die Kirche zog.

Einzig die Schönheit
seines so nahen Trau-
mes hielt ihn aufrecht.

Das große gotische
Fenster über dem Por-
tal funkelte hell in die
N acht.

Da, ganz nahe, . . .
da geschah es . . .

Wieder drangen Stimmen zu ihm:

. . . Gelobt sei Jesus Christ! . . .

Mit der letzten Kraft, die noch in dem er-
schöpften Körperchen war, ging Peterchen auf
diesen Glanz, auf diesen Gesang los.

Da fiel er am Fuße eines Busches hin. —
Und es ward Nacht um ihn. Ein glück-
liches Lächeln verklärte sein Gesichtchen. Hell
drang der Gesang der Engel zu ihm:

. . . Gelobt sei Jesus Christ! . . .

Wieder begann das weiche, stille Fallen der
Flocken. Und langsam und zart legten sich
die weißen Flöckchen
um das Körperchen
und mitleidig wurden
sie zum Leichentuche.

Und wieder klang es
durch die Nacht:

, . .Gelobt sei Jesus
Christ! . . .

Und während drin-
nen die mächtigen Or-
geltöne brausten, stieg
draußen in stiller
Nacht das Seelchen
eines unschuldigen
Kindes aus der „wei-
ßen Kapelle "zum Him-
mel empor. ..

PHANTASTISCHE BÜCHER

An dieser Stelle zeigen wir an und besprechen neuere und ältere phantastische Literatur, graphische Blätter, Werke

unserer Mitarbeiter usw.

Der Beobachter unserer zeitgenössischen Literatur wird
eine deutliche Neigung nach dem Absonderlichen, Phanta-
stischen feststellen müssen, die wahrscheinlich als Reaktion
auf die Misere des Alltags und die Unerfreulichkeit seiner
Erscheinungen zu verstehen ist. Novellen werden ge-
schrieben, die über die natürlichen Dimensionen stofflich
hinausragen und mit Fremdem und Fernem sich mehr oder
minder dichterisch (oft nur berichtend) beschäftigen. Anders
aber sieht z. B. A. M. Frey das Problem der phanta-
stischen Erzählung. Seine neuen Novellen „Spuk des
Alltags“, die in einem höchst geschmackvoll ausgestatteten
Buche des Delphinverlags, München (Holzschnitte Otto
Nückels schmücken den hübschen Band), erschienen sind,
vertiefen Alltägliches nach der mystischen Seite hin. Oder
vielmehr: Sie stellen Menschen, deren Lebenskreis gemein-
hin nur vom Alltag ausgefüllt wird, in spukhafte Erleb-
nisse, geben ihnen ]äh Empfindungen, die Neuland er-

schließen, und nehmen gleichsam die Wand von ihnen,
auf daß sozusagen „Urnebel“ in das gesicherte Diesseits
ihres Lebens dringen. Nun werden ungewiß und unsicher
die Formen der bekannten Dinge, und der arme Mensch
steht einem verwirrenden Novum gegenüber, das ihm
Distanzen nimmt, zu unerhörten Einstellungen zwingt und
aus braven Bürgern Spukkarikaturen macht. — Freys
Schilderungsart zeugt von feinem, dichterischem Einfühlen.
Seine Darstellungen sind Gewebe mit Seidenglanz. Sie
erheben sich über das Stoffliche, das Materielle. Geheim-
nisvolles, Mystisches wird hier zum Stil. —

Viel Begabung verrät auch der Novellenband „Dä-
monen des Sch weigens“ von Leopold Plaichinger
(Dreiländer-Verlag, München). Aktivität gewinnen diese
Dämonen in der Titelnovelle, in der Übersinnliches (die
Phantasie) in den Dienst der menschlichen Tragikomödie
gezwungen wird: Ein Maler nötigt sein Modell, eine schöne
 
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