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Frau, schweigend ihm einige Stunden gegenüherzusitzen
und ihm in die Augen zu sehen. ..Die Dämonen des
Schweigens“ werden wirksam und erschüttern die Lehens-
sicherheit dieser wohlerzogenen Frau. Schweigen wühlt
den Menschen auf und zeigt ihm neue Beziehungen der
eigenen Seele zur Vergangenheit, zur Gegenwart, zur ^Velt
Der Maler macht einen zweiten Versuch: der Gatte des
Modells mul? einige Stunden lang dem Bilde der Frau ins
Antlitz sehen. Der Erfolg hier ist: Wahnsinn! Alle
Novellen des Bändchens verraten einen feinnervigen Schrift-
steller von dichterischer Kraft und seherischer Begnadung.

Ein neuer Schriftsteller stellt sich mit einem Buche
seltsamer Geschichten vor: Beat v. Müllers „Die
unsichtbare Brücke“ ist mit hübschen, aber schlecht
wiedergegebenen Zeichnungen Schwimmbecks in einem nicht
schön gedruckten Bande des Verlages Parcus in München
erschienen. Dem Verfasser ist es noch nicht immer ge~
lungen, Bildhaftigkeit zu erzielen. Manche seiner Ge-
schichten, die eich bald visionär gehen, bald als groteske
Steigerungen satirischer Karikaturen, hat die erstrebte
Bildhaftigkeit noch nicht erreicht, und der metaphysische
Schauer bleibt beim Leser aus. Trotzdem ist ein starkes
Talent wahrnehmbar. Ein ehrlicher Wille, nicht durch
Fixigkeit im Handwerklichen zu bluffen, sondern tiefere,
dichterische Wirkungen zu erzielen, stimmt sympathisch.
Wo Wille ist, wird auch^Veg sich finden lassen. Dieses
Buch ist noch Etappe.

Phantastische Romane schrieb nach den Ausflügen ins
Historische wiederum Karl Hans Strobl „Umsturz
im Jenseits“ (bei Rösl 6? Co., München) und „Ge-
spenster im Sumpfe“ (Staackmann,Leipzig). „Umsturz“
ist ein kühnes, farbiges und zumal in den Einzelheiten
phantasievolles Buch, von der guten Tendenz der Aufbau-
notwendigkeit. Ebenso wie „Gespenster im Sumpf“,
dem phantastischen Wiener Zukunftsroman, ist es ein Zeit-
buch, reich an aktuellen Anspielungen. Okkultes, das
bisher nur geahnt und gleichsam unter Schleiern gesucht
wurde, wird hier zum Ereignis, indem die Phantome
handelnd in das Leben der Menschen eingreifen. Das
Buch ist ein Werk von atemloser Spannung. Ein Kundiger
schrieb es, der zweierlei hat: Herz und Stil; was gleich-
bedeutend ist mit Temperament und Charakter. Der
V/iener Roman ist ^Varnung und Vorahnung des Todes-
kampfes V/iens: In der ausgestorbenen, zerfallenden Stadt
leben nur noch die Gespenster, und die wenigen Menschen,
die unter den Trümmern noch vegetieren, sind selber zu
Spukgeistern geworden. Dieses Buch ist unendlich stark
im grausigen Eindruck. Es führt eine eindringliche Sprache
und mahnt, indem es die Folgen unerbittlich zeigt, zur
Selbstbesinnung. —

Ein paar ausländische Verfasser sind in Übersetzungen
des Georg-Müller-Verlags zu München erschienen. Des
unendlich überschätzten Machers Claude Farrere fetter

Roman „Der Seeräuber“, ein echter Schmöker, aber
in seiner mit Erotik gewürzten Blutrünstigkeit ein echt
gallisches Temperamentsprodukt! Für Leute mit starken
Nerven ist das Buch eine recht spannende Eisenhahnlektüre,
feiner besaitete Leser werden sich von manchen Zügen
sadistischen Raffinements derart abgestoßen fühlen, daß eie
auf die Kenntnis von ihres Helden weiteren Schicksalen —
der königstreue Korsar wird nach Beendigung des Krieges
Seeräuber und kommt, von der feindseligen Liebe eines
rassefremden ^Veibes zu immer scheußlicheren Verbrechen
getrieben, an den ihm gebührenden Galgen — gern ver-
zichten werden. — Famose Neudrucke sind die drei Bände,
mit denen der Verlag, im Rahmen seiner „Perlen alt-
romanischer Prosa“, die Gesamtausgabe der Novellen des
ehrbaren Dominikanermönchs Matteo Bandello be-
gonnen hat. Die Übersetzung stammt von Hans Floerke,
der es mit den Tempora leider nicht immer genau nimmt!
Dafür ist seine Einleitung biographisch aufschlußreich. Die
Ausgabe ist, zumal in unserer Zeit, als bibliophiles Meister-
stück zu werten. Schöner klarer Druck in Antiqua auf
einem gelblichen, holzfreien Papier, Hand-Halblederbände
und eine Anzahl ausgezeichnet wiedergegebener Stein-
zeichnungen von Paul Renner. Nach den Entbehrungen der
letzten Jahre ist das Erscheinen solcher Bücher eine wahre
Erquickung für den Bücherfreund — wenn freilich diese
Freude er auch mit einer größeren Anzahl von Reichs-
banknoten bezahlen muß! Das Novellenwerk Bandellos ist
eine der köstlichsten Überlieferungen der renaissancistischen
Literatur Italiens. Sie sind einfallsreich und stets wech-
selnd im Motiv. Das Erotische ist hier nicht so Ziel und
Stoff wie bei dem um hundert Jahr älteren Boccaccio,
wenn freilich auch bei Bandello viele Konflikte aus Liebes-
dingen erwachsen, die ohne Zimperlichkeit mit dem naiven
Humor geschildert werden, mit dem das Jahrhundert diese
Dinge zu betrachten liebte. Bandello hat das Gesamtwerk
seiner Gönnerin Ippolita Sforzi gewidmet, stellt den ein-
zelnen Erzählungen aber jeweils besondere Widmungsbriefe
voraus, die die „Moral von der Geschichte“ irgendwie
vorbereiten, daneben aber reiches Material für die Lehens-
geschicke des Dichters selbst bieten. —

In diesem Zusammenhänge sei auf eine eigenartig ge-
botene Anthologie renaissancistischer Liebeserzählungen hin-
gewiesen, die Florens Ilmer (Georg Müller, München) unter
dem Titel „Brevier des Kardinals“ in einer pracht-
vollen, mit handkolorierten Holzschnitten von E. Ege ver-
sehenen Ausgabe herausgebracht hat. Die großen Novel-
listen der Renaissance, d. h. ihre ^Vachsstatuen, die in
einer Kirche unter den Schutz der Madonna gestellt sind,
geben ihre schönsten Liebesgeschichten zum besten. So
entstand ein höchst unterhaltsames Buch, das besonders
denen angenehm sein wird, die die in begrenzten Auf-
lagen erschienenen Gesamtwerke der alten Novellisten
nicht besitzen .... Rieh, Riess.

Bemerkungen der Schriftleitung: Das Titelblatt zeichnete Max Leidlein.

Richtigstellung : Das Titelblatt zu Nr. 23 „Elektrodämonen"’ zeichnete nicht M. Leidlein, sondern OttoLinnekogel.

V«-antwortlich : Für die Schriftleituna AJf von Czibullta, München. Für den Anzeigenteil Kurt Reichardt* München, Herausgeber und verantwort-
licher Redakteur für Österreich : Hans Ho fmann-T^lcmtanus, Wien, XIII.. Hietzinger Haupt«tr. 15. Druck : Afünc\nerBuch&cwerbehaus 7*1. JSdüJler &Sohn.

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