sei, und sich dem zu überlassen, der allein begnadigen kann. Das
macht den erschütternden Ausdrucksunterschied auf den Ge-
sichtern der Christen und der Heiden. Der Heide hatte das gute
Gewissen! In seiner Seele war ein männlicher Rückhalt von Stolz,
der umso bedeutsamer ist, als man sich doch der menschlichen
Schwäche klar bewußt war. Gewisse Philosophen behaupteten
wohl, daß der Mensch aus sich selbst heraus die Vollkommen-
heit erringen könne. Aber Einsichtsvollere waren schon lange
vor ihnen zu der Überzeugung gekommen, daß keiner tugendhaft
zu sein vermöge, wenn Gott ihm nicht die Hand dazu reiche.
Wenn trotzdem der Mensch den Stolz behielt bis zu dem Tage,
wo das Christentum ihn gebrochen hat, so muß sein Welt- und
Lebensgefühl von dem christlichen im tiefsten Grunde verschie-
den gewesen sein.
3.
Dem antiken Menschen fehlte es gewiß nicht an frommem
Gefühl für die Abhängigkeit des Menschen. Der Kenner der
griechischen Religion wird vielleicht sogar geneigt sein, sie die
frömmste von allen zu nennen. Sie hat freilich eine lange und
wechselreiche Geschichte. Aber wer Sinn für Qualität besitzt,
wird nie verkennen, daß sie eine Grundgestalt hat. Unser 18. Jahr-
hundert hat diese spezifisch griechische Art am lebhaftesten in
der Kunst empfunden. Und man war nicht ganz im Unrecht.
Das Erlebnis des Schönen und die Erkenntnis der Wahrheit sind
im griechischen Wesen von Anfang an innig miteinander ver-
bunden. Aber eben darum ist die ästhetische Beurteilung allein
einseitig. Sie kann niemals bis zum Herzen des griechischen
Weltgefühls durchdringen. Fragt man aber nach einem sozu-
sagen authentischen Zeugnis für dieses Weltgefühl, so ist die
Antwort leicht. Der größte Dichter hat es zum klaren und lebens-
vollen Ausdruck gebracht: Homer. Er steht am Anfang der
historischen Kultur Griechenlands und hat dem religiösen und;
20
macht den erschütternden Ausdrucksunterschied auf den Ge-
sichtern der Christen und der Heiden. Der Heide hatte das gute
Gewissen! In seiner Seele war ein männlicher Rückhalt von Stolz,
der umso bedeutsamer ist, als man sich doch der menschlichen
Schwäche klar bewußt war. Gewisse Philosophen behaupteten
wohl, daß der Mensch aus sich selbst heraus die Vollkommen-
heit erringen könne. Aber Einsichtsvollere waren schon lange
vor ihnen zu der Überzeugung gekommen, daß keiner tugendhaft
zu sein vermöge, wenn Gott ihm nicht die Hand dazu reiche.
Wenn trotzdem der Mensch den Stolz behielt bis zu dem Tage,
wo das Christentum ihn gebrochen hat, so muß sein Welt- und
Lebensgefühl von dem christlichen im tiefsten Grunde verschie-
den gewesen sein.
3.
Dem antiken Menschen fehlte es gewiß nicht an frommem
Gefühl für die Abhängigkeit des Menschen. Der Kenner der
griechischen Religion wird vielleicht sogar geneigt sein, sie die
frömmste von allen zu nennen. Sie hat freilich eine lange und
wechselreiche Geschichte. Aber wer Sinn für Qualität besitzt,
wird nie verkennen, daß sie eine Grundgestalt hat. Unser 18. Jahr-
hundert hat diese spezifisch griechische Art am lebhaftesten in
der Kunst empfunden. Und man war nicht ganz im Unrecht.
Das Erlebnis des Schönen und die Erkenntnis der Wahrheit sind
im griechischen Wesen von Anfang an innig miteinander ver-
bunden. Aber eben darum ist die ästhetische Beurteilung allein
einseitig. Sie kann niemals bis zum Herzen des griechischen
Weltgefühls durchdringen. Fragt man aber nach einem sozu-
sagen authentischen Zeugnis für dieses Weltgefühl, so ist die
Antwort leicht. Der größte Dichter hat es zum klaren und lebens-
vollen Ausdruck gebracht: Homer. Er steht am Anfang der
historischen Kultur Griechenlands und hat dem religiösen und;
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