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Otto, Gertrud; Watzinger, Carl; Weise, Georg
Die Ulmer Plastik der Spätgotik — Tübinger Forschungen zur Archäologie und Kunstgeschichte, Band 7: Reutlingen, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.31325#0285
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Der Meister der Ortel-Madonna.

IT Martin Schaffner haben wir die Traditionen der Syrlinwerkstatt in

ivi ihrem wichtigsten und bedeutendsten Ausläufer bis in die späteste Zeit
der Ulnrer Plastik verfolgt. Das Bild dieser letzten Jahrzehnte wäre un-
votlständig, wenn wir nicht noch eine andere Richtung berücksichtigen
wollten, die neben der Werkstatt Syrlins und unabhängig von ihr ansehn-
liclre Bedeutung besessen haben muß. Als wichtigste Schöpfung können
wir in den Mittelpunkt dieser Werkstatt die in Abb. 330 wiedergegebene
Madonna der ehemaligen Sammlung Örtel stellen. Um unserer Besprechung
eine breitere Basis zu geben, empfiehlt es sich zunächst, von einer Reihe
handwerklicherer Arbeiten den Ausgang zu nehrnen.

Der sogen. Stockeraltar in O b e r s t a d i o 11 (O.A. Ehingen) gehört zu
den zahlreichen Werken der Ulmer Schule, die die dortige Pfarrkirche be-
sitzt. Er birgt im Schrein eine Anna Selbdritt (Abb. 320) umgeben von
den Heiligen Barbara und Katharina (Abb. 319). Auf den Innenssiigeln sind
in Relief der hl. Sebastian und der hl. Christophorus angebracht; auf die
Außenseiten ist ein hl. Michael mit der Seelenwage gemalt. Vor der Restau-
ration trug der Altar nach der Angabe Weyermanns die Inschrift: ,,Jörg
Stocker 1520“ b Mit dem Namen Stocker ist der Hinweis auf die Ulmer
Herkunft gegeben 1 2. Der plastische Schmuck stammt von anderer Hand.
Nur dieser letztere hat uns hier zu beschäftigen.

Die Schreinfiguren des Stockeraltars folgen Werkstatt-Typen, die sich
in einer großen Anzahl von Wiederholungen nachweisen lassen. Wiederum
ergibt sich das Bild einer geschlossenen Werkstatt-Produktion, die mit
einem eigenen, festen T^^penvorrat arbeitet. Stilistisch bestehen keine Be-
ziehungen zu dem Schaffen des jüngeren Syrlin. Unmittelbar an den Stocker-
altar läßt sich eine Madonna (Abb. 322) anreihen, die sich in der Ptarr-
kirche zu Betlinshausen (B.A. Illertissen) erhalten hat. Der Zu-
sammenhang mit Oberstadion ist deutlich. Die feingegliederte schlanke
Körperbildung und das schmale, weichgeformte Oval der Köpfe stimmen
überein. Auch die glasig-spröde Gewandgebung, wie sie besonders an den
Säumen auffällt, ist gemeinsam und unterscheidet sich von der üblichen
Ulmer Art. Rezeptmäßig genau folgen die Madonna von Betlinshausen, die
Selbdritt und die Barbara des Stockeraltars dem gleichen Drapierungs-

1 vgl. Kunst- utid Altertumsdenkmale O.A. Ehingen S. 173. 2 Jörg Stocker ist von 1484 bis 1514 in

den Urkunden zu finden. Mehrere Werke, wie die Fliigelbilder des Altars aus Knöringen (vermutlich
1484 gestiftet), jetzt im Augsburger Dom, und die des Altars von Enuetach (1496), im Museum zu Sig-
maringen, haben sich von seiner Hand erhalten. Da das Bild des hl. Michael in Oberstadion in seiner
stilistischen Haltung von den andern Stockerschen Arbeiten abweicht, und da dieser nach 1514 urkund-
lich nicht mehr nachzuweisen ist, vermutet man in dem Jörg Stocker des Oberstadioner Altars einen
sonst nicht bekannten Sohn des älteren Jörg Stocker (vgl. Baurn, Ulmer ICunst S. 20 f.). Jedenfalls werden
nur die gemalteu Teile des Altars mit Stocker in Verbindung gebracht werden dürfen.

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