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Pan <Berlin> — 1.1895-96 (Heft III, IV und V)

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https://doi.org/10.11588/diglit.3186#0196
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Aber — ?

„Ja?! . . . ich weiss, offen gestanden, nicht recht, was
ich damit machen soll. Zu einem selbständigen Bändchen ist
die Sache zu klein und . . . wer solls kaufen ?! Wer interessiert
sich für dergleichen! ? Wenn Sie einen Namen hätten, so dass
man mit einem bestimmten Absatz rechnen könnte! ... Sie
wissen ja, wie ich über Sie denke! aber es wird allmählich
zu viel. Ich kanns nicht mehr. Beim besten Willen nicht!"
Jedes Wort traf Jost wie ein lauter Vorwurf. Wenn er
einen Namen hätte! Gewiss! Doch wie zu einem Namen
kommen, wenn er nichts herausbringen konnte!

„Ich kann es wirklich nicht mehr, Doktor!" wiederholte
Stägemann. Er hatte die Enttäuschung, die bei seinen Worten
über Josts Gesicht geglitten, sehr wohl bemerkt, so gleich-
mütig dieser dreinzublicken sich bestrebte.

„Es thut mir leid, aufrichtig und herzlich leid! doch .. .
wenn wir ein einziges Mal wenigstens auf die Herstellungs-
kosten kämen! aber es ist nicht die geringste Aussicht dazu
vorhanden! Ich kann Ihnen die Konti bringen lassen; es
stecken schon über iooo Mark drin!"
Jost seufzte tief auf.

„Nun ja; Sie haben ja Recht! Ich sehe es ein, ich . .. es
ist scheusslich! Doch .. . was soll ich machen?!"

„Was ich Ihnen schon oft gesagt, liebster Doktor! doch
Sie hören ja nicht! Versuchen Sie's und schreiben Sie einmal
etwas, das nicht blos ein paar literarische Freunde und Fein-
schmecker zu würdigen wissen, sondern etwas, das einmal
ein Publikum findet und wofür man etwas bezahlen kann.
Man muss sich Marktwert zu verschaffen wissen . . . Wie's
andere machen! .. . nicht so schwer und ernst und grü-
belnd! ... ein bischen leichter und oberflächlicher! .. . was
liegt daran! .. . ein bischen harmloser!"

„Mein Gott!" entgegnete Jost müd und schwer. „Ich
hab es ja versucht! ixmal und in dieser „Lise Helmbach"
wieder, und ... Sie sehen ja! ich kann's eben nicht! ich
kann's nicht, und wenn Sie mir den Kopf abreissen! . . . Ich
setze mich hin und habe die harmlosesten Vorsätze und ...
ich kanns eben nicht!"

Eine Pause trat ein. Jost blickte trübselig vor sich hin...
erst das Reale, dann das Ideale!

„Undfür eine Zeitschrift. ..nein! Sie müssen es nehmen!"
„Ich thäte es ja von Herzen gern, wie gesagt! doch es
geht nicht! ich hab kein Geld! und ich kann wirklich nicht
blos verlegen, was ich möchte. Es muss auch was verdient
werden. Und ... wenn Sie in der Lage sind, nur schreiben zu
können, was Ihnen Vergnügen macht, so beneide ich Sie!
^h kann es nicht, ich habe mein Geschäft nicht blos zum
Vergnügen. Nehmen Sie mirs nicht übel, dass ich Ihnen das
so offen sage, Sie wissen ja, wie ich es meine!"

„Nein!" unterbrach ihn Jost. „Was wäre da übel zu-
nehmen! ich sehe das alles ja selber ein. Und das ist das
Fürchterliche!"

Also wieder nichts!

Und er war nicht einmal besonders enttäuscht!

Es wäre auch zu merkwürdig gewesen, wenn einmal
etwas geklappt hätte!

Gleichmütig schritt er die Strasse hinunter und kletterte
nach einer Weile auf einen Omnibus 5 den ersten besten, der

des Weges kam. Das war so seine Gewohnheit, wenn er sich
auf andere Gedanken bringen wollte. Wohin es ging, war
dann einerlei. Nur einmal in eine andere Gegend. Man kam
in Berlin ja so wie so kaum aus dem Viertel heraus, in dem
man gerade wohnte und drehte sich ewig in seinen drei,
vier täglichen Strassen herum, wenn nicht etwas besonderes
los war. Die verschiedenen Stadtteile waren eigentlich nur
einzelne Kleinstädte. Jede wieder mit eigenem Charakter. Man
fand das beim ersten Blick heraus.

Nirgends aber machte dieser Haufe von Kleinstädten neben
einander so sehr den Eindruck der Grossstadt, als wenn man
sie so . .. hoch oben auf dem Verdeck eines dieser Vehikel
durchfuhr. Für zehn Pfennig ■weiss Gott wie weit!

Ob im Westen aber, im Südwesten, im Centrum, oder
im Osten, überall das gleiche Getriebe und Gewimmle, überall
das gleiche Hin- und Her-Geflute und Gedränge, und überall
Haus an Haus und Laden an Laden, und immer blitz und
blank und schmuck und sauber! Ja! was da alles zusammen-
gearbeitet wurde! Es war ungeheuer. Bios an einem Tage.
Und obwohl es aussah, als ob die Menschen alle nur zu
ihrem Vergnügen da hin- und herliefen. Rastlos und uner-
müdlich, bis man nicht mehr konnte oft, und Alles nur,
um . . . am Abend seine kleine Freude zu haben, in irgend
einem heimlichen Winkel dieses lärmende Labyrinths, fünf
Treppen hoch vielleicht, bei Weib und Kind zu sitzen, seiner
Liebsten ein paar Rosen zu bringen oder sie in ein Theater
abzuholen! Tagelange Mühe und Last um eine Stunde
Freude. Und das ganze Jahr so! Es war fast rührend.

Und doch: Wie stolz sich das Alles dann wieder gab!
und -welche Grösse in dieser Genügsamkeit lag! Es musste
eine Lust sein, da mit zu kämpfen!

Dann und wann freilich, wenn es kein Ende nehmen
wollte: immer und immer wieder Häuser und Strassen und
nichts als Häuser und Strassen, als ob es in alle Ewigkeit so
fort gehe, und überall Stadt und nichts als Stadt und immer
und immer das gleiche atemlose Gedränge und Gehaste —
überschlich es ihn doch wie eine leise Furcht:

Gegen das Alles wollte er sich zur Geltung bringen!?
Gegen dies ganze Getriebe rings! ? Gegen all diese Hunderte
und Tausende von Menschen, die da an ihm vorüberstürmten! ?
Sie alle wollte er zwingen, und wenn auch eine Stunde
nur: was sie beschäftigte, beiseite zu legen und ihm zuzu-
hören!? und nicht blos zuzuhören, sondern auch mit ihm zu
denken!? seine Gedanken mit ihm zu denken und sie zu den
ihrigen zu machen! ? Für diese alle wollte er das rechte Wort
haben: sie neue Wege zu führen, neuen Zielen entgegen,—denn
daran that es not! — Zielen aber, die vielleicht in ganz ent-
gegen gesetzter Richtung lagen!? Sie sollten wollen, was er
wollte, was er dachte und träumte, wenn er in seinem ein-
samen Zimmer sass und den Rauchwolken nachsann, die er
zur Decke blies oder was er mit Hannie durchsprach, wenn
sie Abends hie und da ein Stückchen durch die Strassen
gingen! alle diese Hunderte und Tausende, die keine Ahnung
von seiner Existenz hatten, sie alle wollte er zwingen recht
und wahr und gut zu finden, was er recht und wahr und
gut nannte! ?

War das nicht Vermessenheit! würden sie nicht einfach
lachen, wie ... er wahrscheinlich selber lachen würde,
wenn einer vor ihn träte, wie er vor sie treten möchte!
Wollten sie denn überhaupt was anderes!? neue Wege oder

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