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Gröfse aber kann das nichts ändern. Seinem Einflufs, seiner
starken Persönlichkeit ist die mächtige Kunstbewegung, die
England in den letzten 40 Jahren erlebt hat, vornehmlich zu
danken; und in der Kulturgeschichte wird ihm stets eine der
ersten Stellen eingeräumt werden müssen.

Schon im Jahre 1 848 hatten
sich jene jungen Künstler zu-
sammengefunden, die ihren ge-
meinsamen Boden fanden in
dem Wunsche, aller tagesüb-
lichen Schablone zum Trotz nur
die ehrliche eigene Empfindung
und Anschauung wiederzugeben,
die auf diesem Boden sich ver-
wandt fühlten mit jenen em-
pfindungsreinen Florentinischen
Künstlern der Frührenaissance
und die zum Zeichen dessen sich
den — leider nicht glücklichen
— Namen Praeraphaeliten bei-
legten, unter dem sie weltbe-
kannt geworden sind. Die kleine
Gemeinde zählte auch William
Morris und Edward Burne Jones
zu ihren nächsten Freunden;
hier fand Morris die Männer,
die er brauchte. Unter seiner
Führung vereinigten sich die
Maler Ford Madox Brown,
Dante Gabriel Rossetti, Edward
Burne Jones und der Architekt
Philipp Webb mit einigen an-
deren Gesinnungsgenossen zu
dem Zweck: ihre freie Zeit der
Zeichnung und Anfertigung von
Gebrauchsgegenständen zu -wid-
men, die, bei künstlerischer Voll-
endung, zugleich Jedermann zu-
gänglich sein sollten. Man mufs
sich zurückversetzen in die da-
malige Zeit, mit ihrer Kluft
zwischen Künstler und Hand-
werker, wo nahezu jeder Maler
die Zumutung, einen Stuhl zu
zeichnen, mit Entrüstung von
sich gewiesen hätte, um ein Bild
zu gewinnen von der Bedeutung

dieses Schrittes. Seitdem haben diese Männer, neben denen
bald als einer der bedeutendsten Walter Crane in den Vorder-
grund trat, unausgesetzt an der Erreichung ihres Zieles
gearbeitet; jeder nach seinen Kräften und seiner besonderen
Begabung. Die Thätigkeit von Rossetti und Brown trat auf
diesem Gebiete mehr in den Hintergrund. Burne Jones hat
sich im besonderen um die Wiederbelebung der Glasmalerei
verdient gemacht. Seine besten Fenster von Edinburgh,
Oxford, Salisbury können getrost neben die Schätze der
Kirchen in Nürnberg und Chartres gestellt werden. Crane

J. H. CHAMBERLAIN
SIGURD UND BRÜNHILDE
KARTON FÜR THÜRVORHANG

hat der Entwicklung der Tapete, des Stoffes und der Buch-
illustration seine besondere Aufmerksamkeit zugewandt. Der
Löwenanteil der Arbeit fiel Morris zu. Das Band aber, das
diese Künstler verbindet und das ihre Werke aus dem gleichen
Geiste geboren erscheinen läfst, ist ihre ursprüngliche gesunde
Naturanschauung. Sie alle waren von einer glühenden Be-
geisterung erfüllt für die Meisterwerke, die ihnen in der
Natur auf Schritt und Tritt begegneten. Unmittelbar haben

sie aus den Vorbildern, die sich
ihnen boten, geschöpft; nie
haben sie ein neues Ornament,
eine neue Form gezeichnet, ohne
sich vorher Rat geholt zu haben
von dem Aufbau einer Pflanze,
von der Struktur eines Baumes,
von dem organischen Leben, das
sie umgab. Mehr vielleicht, als
in irgend einer anderen vorauf-
gegangenen Kunstepoche läfst
sich in ihrem gesamten Werk
die strenge Anlehnung an die in
der Natur gegebenen Motive er-
kennen; die Natur wird in ihren
Händen zum Ornament, aber
ohne dafs die Stilisierung den
organischen Aufbau je vermissen
liefse. So vermeidet ihre Kunst
die Formel, die Schablone, und
erscheint immer wieder frisch
und ursprünglich. Der Zweck
des Gegenstandes bildete selbst-
redend den ersten Ausgangs-
punkt; daneben wandten sie dem
Material ihre besondere Auf-
merksamkeit zu. Sie studierten
die Struktur des Holzes, die ver-
schiedenen Zusammensetzungen
der Metalle. Sie wufsten, dafs
jeder Stoff seine eigene Sprache
spreche, und sie sahen ihre Auf-
gabe darin, dieser Sprache den
geeignetsten Ausdruck zu geben.
In Merton Abbey, der von Morris
errichteten Werkstätte, fanden
diese Gedanken ihre Verwirk-
lichung. Hier, fern von dem
Getriebe der Grofsstadt, an den
Ufern der Wandle, inmitten
einer lieblichen Landschaft, fand
er auch Gelegenheit, die Be-
dingungen zu verwirklichen, die er für den Arbeiter herbei-
sehnte. Er wufste Jeden an die richtige Stelle zu stellen,
seiner Neigung und Begabung entsprechend, und er hielt
damit die Liebe zur Arbeit wach, die ihm als eines der ersten
Ziele jeder Arbeiter-Politik erschien.

Die Resultate der gemeinsamen Arbeit wurden dann aus-
gestellt; diese Ausstellungen gewannen unter Morris' Leitung
eine immer gröfsere Ausdehnung und öffneten späterhin ihre
Thüren Jedem, der etwas Neues und Selbständiges auf dem
Gebiete des home art zu sagen hatte. Die letzte Ausstellung

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