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E. VAN OFFEL, LE JEUNE HOMME DEVANT LA VIE C^^lsaGx^e^at^ex^^cläHJff&j^CGXWlWXWtwew
MAURICE MAETERLINCK
NUN die Franzosen des Positivismus, Materialismus und
der Schreckensherrschaft des brutalen Naturalismus
müde geworden sind, geben sie sich wieder, wie die
Kinder sterbender Kulturperioden, neu-idealistischer Gefühls-
schwelgerei hin. Symbolismus und Mysticismus sind macht-
voll in ihre Litteratur (vorwiegend in die Lyrik) und bil-
dende Kunst eingedrungen. Eine leidenschaftliche Schwärmerei
entstand für die sanfte Anmut und rührend kindliche
Frömmigkeit der Madonnen und Heiligen der italienischen
„Primitifs", für die englischen Präraphaeliten, das Neu-
Christentum T o 1 s t o i' s und die naiv geheimnisvolle Glaubens-
welt der alten Mystiker. In diese Geistesverfassung hinein, die
den gröfsten aller Symbolisten, den genialen Stimmungs-
künstler Paul Verlaine Triumphe feiern liefs, klang die
Stimme eines jungen belgischen Dramatikers: Maurice
Maeterlinck, der köstlich süfse, weltfremde Träumereien
für Marionetten schrieb und die neue Weise auf eine ungeahnt
treffliche Art zu singen verstand. Und Maeterlinck wuchs
mit seiner Aufgabe. Von Werk zu Werk streifte er die fast
kindische Schreibweise, die allzu durchsichtige, lächerlich
wirkende Symbolik ab und lernte, seinen Gestalten grofse
Züge rein menschlicher Wahrheit zu verleihen. Wohl darf
Maeterlinck keineswegs auf den Namen: „Shakespeare
des Nordens" Anspruch machen, den ihm allzu fanatische
Bewunderer beigelegt haben, doch liegt in den kleinsten
Figuren eine erschütternde Tragik — nicht eine Tragik ge-
waltiger äufserer Ereignisse, grofser Leidenschaften, es ist
vielmehr eine tragische Sinfonie, die sich auf den zartesten
Saiten des Empfindens abspielt und mit einem resignierten
Wehlaut endet.
Was nun will Maeterlinck darstellen? Das innerste
Leben der Menschen unter einem Symbol, das geheimste
Vibrieren der Seele, die Manifestationen unseres verborgensten
„Ich", die uns selbst oft durch ihr plötzliches ans Lichttreten
in Staunen versetzen. „Nous mourrons tous inconnus" —
dieses Wort Balzacs scheint Maeterlinck scharfsinnig
durchdacht zu haben; er versucht dieses geheimnisvolle „un-
bekannte" Leben der Psyche zu erlauschen und zu offenbaren.
Denn ein Geheimnis ruht tief in der Brust eines jeden Wesens
verschlossen „eile est un petit etre myste'rieux comme
C 254 3
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E. VAN OFFEL, LE JEUNE HOMME DEVANT LA VIE C^^lsaGx^e^at^ex^^cläHJff&j^CGXWlWXWtwew
MAURICE MAETERLINCK
NUN die Franzosen des Positivismus, Materialismus und
der Schreckensherrschaft des brutalen Naturalismus
müde geworden sind, geben sie sich wieder, wie die
Kinder sterbender Kulturperioden, neu-idealistischer Gefühls-
schwelgerei hin. Symbolismus und Mysticismus sind macht-
voll in ihre Litteratur (vorwiegend in die Lyrik) und bil-
dende Kunst eingedrungen. Eine leidenschaftliche Schwärmerei
entstand für die sanfte Anmut und rührend kindliche
Frömmigkeit der Madonnen und Heiligen der italienischen
„Primitifs", für die englischen Präraphaeliten, das Neu-
Christentum T o 1 s t o i' s und die naiv geheimnisvolle Glaubens-
welt der alten Mystiker. In diese Geistesverfassung hinein, die
den gröfsten aller Symbolisten, den genialen Stimmungs-
künstler Paul Verlaine Triumphe feiern liefs, klang die
Stimme eines jungen belgischen Dramatikers: Maurice
Maeterlinck, der köstlich süfse, weltfremde Träumereien
für Marionetten schrieb und die neue Weise auf eine ungeahnt
treffliche Art zu singen verstand. Und Maeterlinck wuchs
mit seiner Aufgabe. Von Werk zu Werk streifte er die fast
kindische Schreibweise, die allzu durchsichtige, lächerlich
wirkende Symbolik ab und lernte, seinen Gestalten grofse
Züge rein menschlicher Wahrheit zu verleihen. Wohl darf
Maeterlinck keineswegs auf den Namen: „Shakespeare
des Nordens" Anspruch machen, den ihm allzu fanatische
Bewunderer beigelegt haben, doch liegt in den kleinsten
Figuren eine erschütternde Tragik — nicht eine Tragik ge-
waltiger äufserer Ereignisse, grofser Leidenschaften, es ist
vielmehr eine tragische Sinfonie, die sich auf den zartesten
Saiten des Empfindens abspielt und mit einem resignierten
Wehlaut endet.
Was nun will Maeterlinck darstellen? Das innerste
Leben der Menschen unter einem Symbol, das geheimste
Vibrieren der Seele, die Manifestationen unseres verborgensten
„Ich", die uns selbst oft durch ihr plötzliches ans Lichttreten
in Staunen versetzen. „Nous mourrons tous inconnus" —
dieses Wort Balzacs scheint Maeterlinck scharfsinnig
durchdacht zu haben; er versucht dieses geheimnisvolle „un-
bekannte" Leben der Psyche zu erlauschen und zu offenbaren.
Denn ein Geheimnis ruht tief in der Brust eines jeden Wesens
verschlossen „eile est un petit etre myste'rieux comme
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