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Als die Rede auf die Zeisingsche Proportionslehre vom
goldnen Schnitt kam und deren Anwendung auf alle Künste
(auch Musik), meinte Böcklin, etwas Aehnliches finde sich
schon im Vitruv, der von den Verhältnissen eines Baues
spreche und dann in rätselhafter Weise zu den Tonverhält-
nissen in der Musik überspringe. Palladio habe auch über
dergleichen geschrieben (Moduleinteilung). Der Palast
Giraud-Torlonia im Borgo, der unweit S. Pietro von Bra-
mante gebaut ist, habe auch sehr klare Prinzipien und sei
nach Verhältnissen gerader Zahlen gebaut (z. B. Fenster-
breite 4, Rahmen 1, Zwischenräume 2).

Nun wendete Böcklin dies auf sein Bild an. Die Ein-
teilung war dann (vgl. die nachstehende Skizze): a, Felsen
= V.; *, Hauptmasse des Busches = *U\ die Ausladungen
treten nun aber weiter vor, dafür mufste Böcklin mit den
Luftdurchblicken an den Stämmchen je nachdem tiefer in
den Busch hineinrücken, so ferner de = '/4 de, der schmale ferne
Hügel wieder '/., das Bäumchen darauf (cf) viermal diesen
Hügel oder auch = de; das kleinere zweimal den Hügel etc.

•v-
1

dtffc.

Bei der Figur stiefs der Fufsboden erst direkt gegen die
Felsen und gab so einen Mafsstab für die Distanz der Büsche
und der Lattigblätter unten, die dadurch aber immer zu grofs
erschienen. Jetzt hat Böcklin Wasser durchgezogen und das
vordere Terrain überschneiden lassen; Auf diese Weise läfst
er den Beschauer über die Distanz ungewifs und läfst den
Zusammenhang mehr ahnen.

Ebenso mufs auch das Zusammenstofsen der Felsen (der
Senkrechten) und der Ebene durch die Büsche versteckt
werden, da sich dies immer unangenehm und
unorganisch machen würde.

Die Figur hatte Böcklin bis jetzt aus dem
Kopf gemalt und die Falten sehr schön wahr
dargestellt. Anfangs hatte er nur Gürtel a ge-
malt, da schien aber (auch nur, weil das Ver-
hältnis der Teilung nicht schön war) der untere
Teil stets zu lang, was durch Zufügung des
Gürtels b sogleich gebessert wurde. Ebenso
mufste bei den Schuhen das Band c zugefügt
werden.

Bezüglich der oben besprochenen Mafsver-
hältnisse seines Bildes, sagte Böcklin noch: Man
darf von solchen Mafsen nicht ausgehen, wo
aber etwas im Rhythmus der Darstellung oder in
den Gröfsenverhältnissen wohlthuend aufs Auge

wirke, läge gewifs ein leicht zu übersehendes oder ein wieder-
kehrendes Mafsverhältnis zu Grunde.

27. Mai, 66.

Sonntag. Nachmittags mit Böcklin, Marees und Augusto
vor Porto S. Paolo in Tre Fontane.

Alles war in herrlicher Entwicklung. Wir fuhren beim
Vestatempel und am Aventin vorbei, auf dem der Fenchel
sehr schön in üppigen gelbgrünen Doldenstengeln ■wuchs;
auch wucherte rotviolettes Löwenmaul an den Mauern. Der
Omnibus hielt bei S. Paolo. Zu Fufs ging es dann bei Pon-
ticelli vorbei, wo links schöne Situationen: Hügel mit leichten
graziösen Bäumchen, steilen Abfällen, auch schönen Fels-
abstürzen; zuweilen verdichtete sich der Baumwuchs zu
kleinen Hainen. An der Seite des Weges begleitete uns in
dichter Reihe die hohe violette Distel, rechts auch weifse
wilde Rosenbüsche (wie Jasmin). Unter vielen andern Pflanzen
auch der hellblaue Borax und eine grofse Art Natterkopf.

Bis man nach Tre Fontane kommt, sieht man über ver-
schiedene Campagnathäler nach den fernen Bergen hin. Kurz
vor Tre Fontane kommt eine schöne Fernsicht, wo die fernen
Berge ganz schmal eine hohe einförmige, etwas schiefe Weide-
fläche begleiten; vorn Bäume. Die drei Kirchen selbst liegen
einsam zwischen öden Campagnahügeln in einer kleinen
grünen etwas schilfigen Fläche zwischen einigen Bäumen.
Besonders schön war es, als die letzten Sonnenstrahlen den
oberen Teilen noch einen blassen Schimmer gaben, die unteren
Teile aber schon in blassem Schattenton waren.

Der Hauptreiz lag aber darin: dafs die Strafse scheinbar
ohne Verbindung mit den Kirchen einsam und trostlos über
dürre Hügel weiter führte (keine Spur von anlockender Ferne),
während die Kirchen zwischen Bäumen auf fruchtbarer
Wiesenfläche abseits vom Wege als trauliches Nah dalagen,
wobei es aber wieder einen ernsten Reiz dadurch erhielt, dafs
es keine Wohnplätze, sondern Kirchen waren. Und dann
endlich dazu die Grabesstille in der Landschaft (ohne irgend
ein lebendes Wesen).

Westlich von den Kirchen ist ein weites abenteuerliches,
hexenhaftes Terrain (ein Thal), das von senkrechten Puzzolan-
abfällen (vielleicht Puzzolangruben) eingeschlossen wird, mit
einigen Höhlen. Ein wahres Terrain für einen Historien-
maler! Schöne Aus- und Fernsichten jenseits des Weges. —
Sehr schön war auch ein von der Abendsonne grüngoldig
beleuchteter Hügel mit schwarzbraunen und weifsen Ziegen
mit ihrem Hirten. — In der Vigne, wo wir Wein tranken,
war ein interessantes Ziehbrunnenhäuschen, in welches antike
Bruchstücke eingemauert waren.

Wir gehen Sonntags auch öfter nach S. Carlo zur
Zeit der Messe. Man sieht dort dann die schönen Frauen
Roms. Heute fiel uns als sehr schön eine grofse etwas dicke
Römerin auf, die nach Schlufs der Messe mit zwei Kindern
draufsen promenierte. Man sah auch schöne Stoffe und
Farbenzusammenstellungen; z. B. eine mit rotbraunen Haaren
und mittelblaugrünem Hutband, was das Fleisch sehr fein
machte, nur mufste (wie hier) das rötliche Haar stumpf im
Ton sein und das Grün nicht gegen das Fleisch stehen, wie
Böcklin meinte. Zwei Schwestern (blond und brünett)

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