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Er suchte Gott und Gottes Gnadenport
So brünstig, so mit glühender Leidenschaft,
Dafs ihm dafür so Leib wie Seele dorrt.

Sein Geist ward schwach durch die verpuffte Kraft.
Auf der Terrasse seh ich nun ihn sitzen,
Er stützt die Stirn, sie schimmert leichenhaft.

Wie ihn die Sonne, Tag und Licht umblitzen!
Ich halte meinen Gaul auf einen Ruck,
Dafs Sand und Kieselsteine mich umspritzen.

Und stund ich vor ihm auch in Christi Schmuck,
Mein armer Irrer hätt nicht aufgeschaut,
So unterjocht ihn seines Hirnes Druck.

Als sah ich ihn das erste Mal, mir graut:
Minutenlang hält er die Augen fest,
Bewegungslos und ohne Klagelaut.

Dann hält er seine Hand ums Kinn geprefst,

Minutenlang, und dann, minutenlang,

Starrt er zum Himmel aus des Wahnsinns Nest.

Es kommt sein alter Diener sorgenbang,
Die dunkelroten Plüschgamaschen stechen
Wie Feuer durch den grünen Sommerdrang.

Er bringt ihm Wein, ich hör ihn deutlich sprechen,
Er bittet, er beschwört ihn, doch zu trinken.
Vergebens. Jener starrt zum Herzzerbrechen.

Nun läfst er schwer den Kopf aufs Tischtuch sinken;
Da liegt er, struppig wie ein dürrer Straufs,
Dem keine Auferstehungsfreuden winken.

Ich ritt betrübt in trägem Trott nach Haus,
Gedanken trabten mit mir hin, ein Heer,
Schwarz wie ein mitternächtiger Fratzengraus.

Am Abend kam ein Reitknecht en carriere:
Ich möchte doch so rasch wie möglich eilen,
Sein Herr befinde sich sehr übel! sehr!

In Todesahnung jag ich die zwei Meilen,
Und bin bei meinem Freund, eh ichs gedacht,
Die letzte Stundenflucht mit ihm zu teilen.

Es ruht die wundervollste, wärmste Nacht,
Nur von Fontänen, Quellen unterbrochen,
Die ländlich lallen durch die Blumenpracht.

Aus weifsen Wölkchen kommt der Mond gekrochen,
Der volle Mond, und segnet Busch und Feld,
Sanft wie ein Himmelswort, unausgesprochen.

Es träumt das Fabeltier, die Sphinx: die Welt.
Faul, schläfrig dringt ihr Blinzeln durch den Schleier:
Das ewige Goldrätsel „Sternenzelt".

Auf der Terrasse, bei der Sterbefeier,
Umstehn und stützen ich und Josef ihn,
Den endlich niederzwang der Allbefreier.

Auf einmal, jäh, als hätt ihm Kraft verliehn
Der letzte Tag, die allerletzte Stunde,
Reckt er sich auf, als ob ihn Geister ziehn.

Er ringt nach Worten, ringt nach einer Kunde,
Den Teufeln sie zu künden, seinen Siegern,
So stirbt er, wühlend in der Todeswunde.

Wie Mansfeld, stehend zwischen zweien Kriegern,
Hakt er um unsre Schultern seine Hände,
Ein trotzig Beispiel allen Unterliegern.

Sein Auge glüht wie ferne Fackelbrände,

Und plötzlich reifst, nach sieben langen Jahren,

Reifst seine Zunge ein die stummen Wände.

Er spricht, befreit sich, will sich offenbaren,
Verstand und Unsinn kämpfen, Zeit und Raum,
Die sich zu seltsamen Gebilden paaren,

Wie sich verschlingt, entwirrt, verschlingt ein Traum:

Im Erbstuhl, über meiner Dorfgemeinde,

Im Kirchenstuhl, vergittert, abgeschlossen,

Safs ich als Kind, verwahrt vorm bösen Feinde.

Safs auch die Mutter. Strenger Zucht entsprossen,
Mufst ich zur Kanzel jeden Sonntag mit,
Und habe viele Thränen da vergossen.

Und hab verlernt den lustigen Knabenschritt.
Denn schrecklich hing der Cruzifixus dort,
Defs Qual in meine junge Seele schnitt.

Ganz unnatürlich langgereckt, verdorrt,
Von Blut besudelt, mit verrenkten Gliedern.
Und furchtbar schnob des Predigers Donnerwort.

Und dann ein Ozean von Himmelsliedern:
Das Orgelschiff: Phantasterein und Tänze
Umrauschten mich mit bunten Prachtgefiedern.

Erzengel winkten: Ruhm und Lorbeerkränze!
Die Welt durchziehn, ein Grofser wollt ich sein:
O Rausch, o Ewigkeit und — Erdengrenze.

Ernüchtrung, Zweifel kam: Ist Alles Schein?

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