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Trug der Erbarmer seine Dornenkrone
Für die Gewaltigen der Welt allein?

Zum Schutz für ihren Geldsack, ihre Throne?
Dafs sich die blöde Masse nicht empöre?
Dazu das Teufelswerk der Dogmenfrohne?

Wenn ich des Heilands Liebeslehre höre,
So weifs ich, dafs er den Geplagten sagt:
„Euch send ich meiner Pfingsten frohe Chöre.

Und wer es von den Erdgebietern wagt,

Für seinen Zweck durch mich euch zu mifsbrauchen,

Der wird durch alle Höllen einst gejagt!"

Und Christi Flammenfluch kann nie verrauchen!
Das rief ehmals ein Priester in Sankt Veit,
Defs gotische Türme in die Wolken tauchen.

Sankt Vitus, der Hradschin! Prags Herrlichkeit!
Eins aber ist noch herrlicher in Prag:
Der Wallenstein-Palast — o Sternenzeit!

Dort safs ich mal an einem Sommertag
Mit dem Genie und seinen Offizieren
In hoher offner Halle beim Gelag.

Im Garten vor uns, zwischen Pikenieren,
Tanzt ein Mongolentrupp in wildem Flufs,
Indessen wir erstaunlich pokulieren.

Da ballert plötzlich ein Karthaunenschufs,
Wie weggeblasen sind die Asiaten,
Und auf die Leere zeigt Octavius.

Musik begleitet seufzende Kantaten,

Und seht: Da links, solo, tanzt nun der Tod.

He, Seni! wie ist der hierhergeraten?

Trübselig, melancholisch und devot,

Schwankt hin und her der Schwager sein Gerippe,

Mit einem Ausdruck wie ein Idiot.

Und eine Pfauenfeder statt der Hippe,
Schlank, lang und schwank wie eine Gerte, hält
Er überm Kopf mit winkendem Gewippe.

Und seht: Ein alter schöner Mann gesellt

Sich zu ihm, ernsten Blicks, mit wilden Locken:

Der Gott der Künstler hat sich eingestellt.

Mit einem Becken tritt er unerschrocken
An unsern Tisch und sammelt Batzen ein,
Von Gast zu Gast, und hat zerlatschte Socken.

Und wieder poltert die Karthaune drein:
Die beiden schwinden. Und ein Siegesbogen
Zeigt seinen kühnen Wuchs aus Marmelstein.

Da kommt der Tod noch einmal angezogen,
Und schwingt die Sense jetzt, mit Herrschermiene,
Und hat uns freundlich mitzugehn bewogen

In seine grofse Nacht; Lichtbaldachine
Erfüllten sie mit siebenfarbigen Prächten,
Da schliefen lächelnd seine Paladine.

Da schliefst auch du, mein Richard, ob den Nächten,

Du, Richard Dehmel, der das Wort ersann,

Das uns gewachsen macht den Schicksalsmächten.

Und dir zur Seite stand ein Rittersmann,
Sanctus Georgius, der am Bändel schleift
Das Ungetüm, der Hölle Guardian.

Und wie mein Blick hin zu dem Heiligen schweift,
Kommt mir ein Georgsthaler in Gedanken,
Der wie mit Krallen in mein Leben greift.

Ein blutarm Mädchen tritt aus Frühlingsranken
Und spricht nichts weiter, nur: Ich liebe dich.
Und ihre Liebe kannte keine Schranken.

Ich nehms so mit, und spiel den Täuberich

Mit ihrem süfsen Herzen eine Zeit,

Und lafs sie dann erbarmungslos im Stich.

Beim Abschied langt sie schluchzend aus dem Kleid
Den Reiterthaler, ihren einzigen Schmuck:
Nimm! bat sie; denk an unsre Seligkeit!

Bald nach dem letzten Kufs und Händedruck
Vergafs ich sie. Bei einer Orgie, später
Traf ich sie wieder. Wars Gespensterspuk?

Ich kam mir plötzlich vor wie ein Verräter.
Ich trat ans Fenster; mir im Rücken schrien
Die Tanzenden, wie Belialsanbeter.

Ich schaute finster auf ein Gärtchen hin,

Das, winzig ldein, vor mir im Dämmer schieiert,

Kaum sichtbar noch, wie unter Musselin.

Ein dünner, milchigblauer Himmel bleiert,
Darin der feinste, blasseste Neumond steht,
Der seinen Eintritt in den Monat feiert.

Das einzige Beet, ein Sonnenblumenbeet,

Zeigt strotzend seine gelbe Gästeschar,

Die sehnsuchtvoll das Haupt gen Osten dreht.

C 75 D

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