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Sobald das Chorlied hinter der Bühne verstummt ist, er-
scheinen im Halbdunkel des rechten Säulenganges (k) sechs
P r i e s t e r, in langen weifsen Gewändern, mit langen schwarzen
Barten, blutrote Rosenkränze um die weifsen Kopfhüllen, und
Jeder eine schwarze, bläulich brennende Fackel tragend. Sie
schreiten paarweis nach vorn, den Porphyrpfad e entlang,
bis zu dem weifsen Altar. Dort wenden sie sich, stehen
bleibend, dem Eingang des Tempels zu, erheben die Fackeln,
senken sie bis zur Erde, erheben sie wieder, drehen sich um,
treten im Kreise um den Altar und stecken die Fackeln in die
OefFnung der Opferplatte, sodass sie trichterförmig nach oben
auseinanderstehen und einen Flammenkranz bilden; alle Be-
wegungen der Priester sind streng taktmäfsig abgegliedert,
fast marionettenhaft feierlich. Nun treten sie wieder in Paare,
schreiten nach links auf das hintere Rasenstück, bleiben zu
dritt zweireihig stehen, erheben die Arme zum Morgenstern,
drehen sich um und weisen auf den Fackelkranz, wenden sich
wieder dem Morgenstern zu und heben nochmals die Arme,
knieen nieder und beugen die Stirnen zur Erde, erheben sich
und schreiten wieder dem Altar zu, umwandeln ihn im Kreise,
die Arme über die Brust gekreuzt, und gehn dann paarweis
auf dem Porphyrpfad g — in der Mitte sich nochmals gen
Morgen verneigend — durch die Gartenpforte links ab.

Während der letzten Verneigung verschwindet der Stern
hinter der Ecksäule i des Tempels, in Mannshöhe über den
Stufen. Hinter der Säule hervor, zögernd, auf den Zehen,
tritt nun Lucifer, die Hände über dem Stern gefaltet, der
zitternd über seiner Stirne schwebt, als Spitze seines Diadems.
Er ist ganz in silberschuppiges Tricot gekleidet; nur um die
Hüften läuft ein loser Gürtel aus weifsgrauen Muscheln, dessen
zwei Enden vorn herabhängen, lieber seinen Ohren stehen
zwei silberne Strahlenbüschel wie Fischflossen ab; sein Haar
ist kurzlockig dunkelblau. Er breitet die Arme dem Altar
entgegen, tänzelt die Tempelstufen herab, den Porphyrpfad
1 entlang, im Kreise um den Altar herum, und nimmt dann
die dem Tempeleingang zugeneigte und die ihm abgewandte
Fackel heraus. In jeder Hand eine, nähert er sich sehnsüchtig
dem Tempelthor, hält auf halbem Weg inne, dreht sich im
Kreise um sich selbst, die Fackeln hoch emporreckend. In
diesem Augenblick thun sich die Thorflügel nach innen auf,
und man erblickt im Hintergrunde der Tempelöffnung auf
niedrigem Postament das marmorweifse nackte Standbild
der Venus in meergrün leuchtender Nische, gleichfalls mit
silbern glitzerndem Stern über der Stirne; ihr zu Füfsen, die
Kniee der Göttin umschlingend, ebenfalls marmorweifs, sitzt
Amor mit Köcher und Bogen, geflügelt, zwölfjähriger Knabe.
Lucifer beugt ein Knie und breitet verlangend die Arme,
beide Fackeln steil aufrecht haltend. Der grünliche Himmel
links hat sich inzwischen mit rotgelben Wölkchen durch-
wirkt. Die Röte wird allmählich feuriger; links neben der
Tempelecke i geht die Sonne auf. Sie steigt dann langsam
hinter den Ecksäulen, durch die Zwischenräume sichtbar,
orangegolden nach oben; der Himmel, auch der durch den
Triumphbogen sichtbare Ausschnitt, nimmt nach und nach
ein leuchtendes Blau an.

Gleich nachdem Lucifer inmitten des Porphyrpfades das
Knie vor der Göttin gebeugt hat, ist aus dem Tempelinnern,
von rechts und links zur Schwelle schreitend, das erste Paar
eines langen Zuges von Jünglingen und Mädchen
getreten; Lucifer erhebt sich. Die Paare folgen einander so,

dafs in dem ersten, dritten, fünften u. s. w. der Jüngling links
bei seinem Mädchen geht (vom Zuschauer aus) — im zweiten,
vierten, sechsten u. s. w. rechts. Die Jünglinge sind schwefel-
gelb gekleidet und haben violett gefärbtes Haar, die Mädchen
orangerot gekleidet mit dunkel kirschrotem Haar; alle tragen
sie Theerosenkränze. Die Kleidung der Jünglinge läfst den
einen Fufs bis zum Knie, den andern bis zur Wade frei, so-
dafs man die bis an die Mitte des Unterschenkels reichenden
Sandalenriemen sieht; die Sandalen der Mädchen, vorläufig
noch nicht völlig sichtbar, schliefsen an den Knöcheln ab.
Die Paare schreiten Hand in Hand die Tempelstufen herunter,
in den nicht angefafsten Händen weifse Thyrsusstäbe mit hell-
grünen Flatterbändern tragend; sie halten die Stäbe ziemlich
in der Mitte umfafst und heben sie dem winkenden Lucifer
entgegen. Er tänzelt mit erhobenen Fackeln rückwärts vor
dem Zug her dem Altar zu. Diesen umwandelt der Zug,
immer dem tänzelnden Lucifer folgend, in ösenförmiger
Doppelschlinge, dabei die Thyrsusstäbe über sich dachgiebel-
fürmig zusammenhaltend. Dann, paarweis abschwenkend,
teilt sich der Zug in zwei Halbkreise, die hinter dem Porphyr-
pfad e nach links und rechts hin vom Altar abflügeln,
während Lucifer gradlinig bis unter die Pinie h zurückweicht,
immer dem Zuge das Gesicht zukehrend; in den beiden Halb-
zügen folgen die Jünglinge und Mädchen nun also nicht mehr
abwechselnd aufeinander, sondern je in einer Reihe, und zwar
die Mädchen auf der Vorderseite beider Zughälften.

Jetzt schürzen die Mädchen des linken Halbkreises ihre
Kleider an der rechten Hüfte auf, die des rechten an der linken
Hüfte, sodafs der eine Schenkel jedes Mädchens (auch der
Oberschenkel) frei wird, und es entwickelt sich ein Chortanz
zwischen den Jünglingen und Mädchen einerseits, den beiden
Zügen und Lucifer anderseits. Der Tanz drückt Liebesver-
langen aus, fängt reigenartig zurückhaltend an und wird all-
mählich immer feuriger. Lucifer flieht immer zwischen Pinie
und Altar gradlinig hin und her; immer wenn er den Altar
umkreist, vereinen sich die beiden Halbzüge jenseits zu Einem
Halbkreis, dessen linken Flügelpunkt die Gartenpforte g,
dessen rechten Flügelpunkt der Tempeleingang c, und dessen
Scheitelpunkt die Pinie bezeichnet. Lucifer schwingt stets die
beiden Fackeln taktgemäfs. Ab und zu erlischt ihm eine;
dann zündet er sie immer, sobald er dem Altar naht, an den
dort brennenden vier Fackeln wieder an.

Während dieses Tanzes kommen durch den Triumph-
bogen allerlei Leute nach Rom herein und ziehen vorn die
Via sacra entlang. Zuerst ein kleiner Trupp Soldaten
im Marschtritt, fünf Reihen von je drei Mann, geführt von
einem römischen Centurio, Alle mit Spiefs und Schild. Etwas
rechts vor dem Altare machen sie Halt, wenden die Köpfe
dem Tempeleingang zu und beugen ein Knie vor der Göttin,
die Spiefse aufs Pflaster stemmend; dann schultern sie die
Spiefse wieder und marschieren linkshin ab. Hierauf ein
Bauer mit zwei Weibern, die einen schweren Karren
ziehen; der Bauer beugt gleichfalls ein Knie, die Weiber
verneigen sich mit überbrust gekreuzten Armen, worauf sie
hinter dem Bauern her weiterziehen. Hierauf, keuchend,
vier Negersklaven mitweifs und grün gestreiftem Lenden-
schurz, eine weifse offene Sänfte mit hellgrünen Polstern
tragend, worin ein Jüngling und ein Mädchen sitzen,
ebenso gekleidet und frisiert wie die Tanzenden und mit den
umgekehrten Thyrsusstöcken die Sklaven derb zur Eile

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