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antreibend} vor dem Altare steigen sie aus, das Mädchen ver-
neigt sich, der Jüngling beugt das Knie, dann schliefsen sie
sich den Tanzenden mit Willkommwinken an, und die
Sklaven mit der Sänfte verschwinden in der Seitengasse rechts,
hinter dem Eckhaus b. Hierauf ein zweiter Trupp
Soldaten, jetzt nur vier Reihen von je drei Mann, geführt
von einem germanisch blonden Hünen; während die Zwölf
das Knie beugen, bleibt der Germane aufrecht stehen. Von
rechts her nähert sich ein dünnes, disharmonisches Geläut.

Nachdem sie linkshin abmarschiert sind, erscheint in dem
Triumphbogen — von einem fahlbraun gekleideten, grau-
bärtigen, barhäuptigen "Wandrer geleitet — ein Esel, auf
dem in mattblauer ärmlicher Kleidung eine blasse Frau
mit einem halbnackten Kindlein sitzt; unter der
blauen Kopfhülle liegt ihr ein weifses Tuch die Schläfen
nieder schulterwärts, und an der Kehle des Esels hängt eine
handgrofse, massive, blanke Messingglocke, die mit fahlblauer
Schleife am Zaumzeug befestigt ist. Während sie achtlos an
der Göttin und den Tanzenden vorüberziehen, versteckt die
Sonne sich hinter dem Tempel oben, und die Nische der Venus
wird leichenhaft gelbgrün. Hinter den Hügeln, die man durch
den Triumphbogen sieht, steigen dunkle Wetterwolken auf.
Die Tanzenden stutzen eine Sekunde — (plötzliche Pause in
der Musik) — schauen der Mutter mit dem Kinde nach,
tanzen dann umso feuriger weiter. Das Paar mit dem Esel
verschwindet links. Im selben Augenblick kommt durch den
Bogen ein Häuflein Kinder, fünf- bis siebenjährig, alle
in ärmlichem Anzug. Sie staunen kurz den bunten Chortanz
an, klatschen dann in die Händchen und hüpfen im Tanz-
takt dem Altar entgegen, dem gleichzeitig Lucifer sich von
der Pinie her nähert. Nun folgt den Kindern, eilenden
Schrittes und mit empörten Geberden, eine ganze Schaarvon
Wandrern, Männern und Frauen, in schwarzen, blauen
und braunen Gewändern, teilweis mit flachen schwarzen
Hüten. Der Vorderste hat einen grofsen Stab mit kreuz-
förmiger Endung, die Andern kürzere Wanderstäbe; Einige
tragen ein weifses Kreuz an einer Knotenschnur um den Hals.
Sie drängen sich in langer Reihe, längs des Porphyrpfades e,
abwehrend zwischen den Kinderschwarm und den Altar; die
Frauen führen die betrübten Kleinen der rechten Ecke des
Vordergrundes zu, hocken im Halbkreis um sie nieder, lassen
sie gleichfalls niederhocken, falten ihnen die Händchen und
nehmen ihre Köpfe in den Schoofs.

Hinter ihnen hat inzwischen der Führer der Wandrer den
Kreuzstab gegen Lucifer erhoben, und dieser ist entsetzt bis
unter die Pinie in den Halbkreis der Jünglinge und Mädchen

zurückgewichen; der Himmel färbt sich immer dunkler, links
graugrün, rechts violett, man hört schon fernen Donner und
sieht rotgelbes Blitzlicht durch den Titusbogen, die Nische
der Venus verfinstert sich. Lucifer stürmt, die Fackeln reckend,
an der Spitze der Thyrsusschwinger, die in zwei Halbkreisen
rechts und links ihm folgen, der Reihe der Wandrer entgegen
und treibt sie bis zur Mittellinie der Via sacra zurück, vor
dem Altar hochaufgebäumt stillstehend. Die Wanderer
bringen, mit beiden Händen ihre Stäbe quer vorstreckend,
die anprallenden Kreisflügel der Thyrsusschwinger in Ver-
wirrung und drängen sie wieder hinter den Altar zurück,
sodafs auch Lucifer weichen mufs. In der Gartenpforte g
erscheinen nun von neuem die sechs Priester, paarweis
hintereinander; beim Anblick Lucifers sinken sie, dicht neben
der Pforte, mit gekreuzten Armen in die Kniee. Lucifer dringt
nochmals gegen die Wanderer vor, wieder an der Spitze der
Thyrsusschwinger, die aber jetzt in eng geschlossener Keil-
form folgen; der Donner wird lauter, das Blitzlicht greller.
Der Führer der Wandrer erhebt den Kreuzstab über den Altar;
die Andern umringen ihn im Knäuel, reifsen die vier Fackeln
heraus und werfen sie, sodafs sie erlöschen, vor Lucifer zu
Boden. Die sechs Priester fahren ruckhaft in die Höhe; des-
gleichen die Frauen und Kinder der Wandrer. Lucifer kreist
zweimal auf den Zehen um sich selbst, steil seine zwei
brennenden Fackeln hebend. Ein knatternder Donnerschlag
folgt, ein Blitz fahrt blendend über die Bühne, das Standbild
der Venus steht eine Sekunde lang in bläulichem Phosphor-
glanz; Alle aufser Lucifer, der verzückt nach Oben starrt,
stürzen in die Kniee, ein schwerer Ast fällt krachend
von dem vordersten Eukalyptusbaum links auf die Bühne,
Feuerschein glüht in den Baumwipfeln auf. Lucifer dreht sich
nochmals im Kreise, ein neuer Blitz-und-Donnerschlag folgt.
Hinter der Gartenmauer quellen Rauchwolken vor und
legen sich über die Bühne; eine aschgrau gewölkte Florwand,
unten mit gelbroten Zickzackborten gesäumt, schiebt sich von
links nach rechts vor die Scene. Hinter dem Vorhang erhebt
sich, während der Donner hohl verrollt, ein Chorgesang
von tiefen Männer- und Frauen-Stimmen:

Kyrie, eleison,

Herr, erbarme dich unser,

dein Reich komme!

Er wird allmählich übertönt von einem Chorlied heller
Jünglings- und Mädchen-Stimmen:

Lucifer, Lichtwecker,

Venus, Allentzünderin,

kommt, o kommt und freut euch unser!

* *

Der Rauchwolkenvorhang verschwindet nach rechts.
Man sieht in einen abendlich beleuchteten Uferhain:

Die linke Bühnenseite ist zu zwei Dritteln von einer
Tempelfront ausgefüllt, die schräg dem Hintergrund zuläuft.
Die vordere Ecke des Tempels ist durch zwei alte dunkle
Silberpappeln verdeckt; durch die Säulenzwischenräume der
hinteren Ecke sieht man den fahlblauen Himmel und ein
Stück Meer. Der Tempel ist niedrig und eintönig graugelb;
nur das breite Thor a, das schmale Mittelstück des Archi-
travs und die beiden Dachkanten des Giebels sind Jeerschwarz

angestrichen und in gleichmäfsigen Abständen mit faust-
grofsen goldgelben Kreisbuckeln beschlagen. Der hintere
Thorflügel steht nach innen offen, sodafs der dunkle Raum
herausgähnt. Im Feld des Giebels ein vergilbtes Relief: an
einem abgebrochenen Säulenschaft hockt rechts der greise
Saturn mit Sense und Sanduhr, links lehnt der Knabe Thanatos
mit zwei gesenkten Fackeln. Die Tragsäulen des Architravs
— zur rechten Seite des Thores drei, zur linken nur zwei
sichtbar — sind glatt und plump, etruskischen Stils, und stehen
auf flachen Wulstsockeln. Der Tempel hat nur Eine Stufe.

C 95 D
 
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