JACOB BURCKHARDT
ZU DEM FARBENHOLZSCHNITT VON ALBERT KRUEGER
ein
Albanvorstadt 64", so wiederholte vor sich hin sprechend
Jn junger Kunstbeflissener die Adresse, die er sich aus dem
Baseler Wohnungsanzeiger gemerkt hatte, indem er die enge
Strafse immer weiter hinaufging, bis er in einem niedrigen
Hause mit Bäckerladen die gesuchte Nummer gefunden hatte.
Zögernd betrat er den kleinen Vorplatz. Da er aber nur die
Bäckerauslage sah und die steile schmale Stiege ihm wenig
einladend schien, so richtete er an ein paar mehlbestaubte
Männer, die müfsig in Hemdsärmeln umhersafsen die Frage,
ob er hier zum Professor Jacob Burckhardt recht käme Ja,
müssen Sie ihn denn selbst sprechen«? erwiderte der älteste
unter ihnen, ein Mann von breiter Gestalt mit offenem, starkem
Hals, ohne Kravatte, den Kopf mit kurz geschorenen Haaren,
glattem Gesicht, bis auf einen kleinen kurzgeha tenen Schnurr-
bart, kleinen Augen unter buschigen Brauen: der Typus eines
braven Bäckermeisters, wie der Fremde meinte. Auf die be-
jahende Antwort erhob er sich und führte den Ankömmling
zögernd und mit einem halb verlegenen halb mißtrauischen
Seitenblick die Treppe hinauf in das behagliche, aber äusserst
einfache Gelehrtenzimmer, in dem die Stiche und Photo-
graphien an den Wänden den Freund Italiens und der italie-
nischen Kunst verrieten. „Wenn Sie Jacob Burckhardt sprechen
wollen, so müssen sie schon mit mir vorlieb nehmen , sagte
der vermeintliche Bäckermeister, während er verlegen einen
Rock anzog und den Mangel der Halsbinde mit der abscheu-
lichen Hitze zu entschuldigen suchte. Der Fremde, nicht
wenig verdutzt, — und wie ihm, so ist es Manchen unter
bei ihrer ersten Bekanntschaft mit dem berühmten Baseler
uns
Kunstforscher ergangen— stellte sich als Kollege des Professors
vor, dessen Werken er zu höchstem Dank verpflichtet und
dessen persönliche Bekanntschaft zu machen ihm ein Herzens-
bedürfnis sei; auch habe er noch einen besonderen Wunsch:
ein paar Vorlesungen des Herrn Professors anhören zu dürfen.
„Auch das noch!" Schlimmer hätte sich der Kollege allerdings
nicht einführen können; denn Burckhardt, der frisch und frei
unter seinen jungen Zuhörern vortrug, geriet in die gröfste
Verlegenheit, wenn er unter ihnen ein fremdes älteres Gesicht
entdeckte. Erst durch ein bindendes Versprechen, die Vor-
lesungen nicht besuchen zu wollen, konnte der Besucher den
Professor wieder etwas beruhigen. Wenn es ihm dann gelang,
durch die zahlreichen Berührungspunkte in Kunst und Wissen-
schaft, durch Beziehungen zu gemeinsamen Bekannten und
Freunden das Mifstrauen zu beseitigen, das Eis zum Tauen zu
bringen, dann belebte sich die anscheinend schwerfällige Ge-
stalt, dann wurden jene hellen kleinen Augen leuchtend und
lebendig, der Mund mit seiner volltönenden fliefsenden Sprache
erhielt feine ausdrucksvolleFormenund in den Zügen wechselte
rasch der Ausdruck von feinsinniger Denkarbeit mit dem
Abglanz echter Begeisterung oder kindlicher Herzensgüte.
Das war der Burckhardt, wie die grofse Zahl seiner dank-
baren Schüler sein Bild im Herzen trägt; das war der Burck-
hardt, wie ihn Albert Krüger in seinem Farben-Holzschnitt
den Lesern des Pan vor Augen führt. Bei aller Freiheit und
Meisterschaft der Auffassung und Technik hat Krüger hier
sowohl, wie in Arnold Böcklins Bildnis am Kopf der Schick-
schen Tagebuchaufzeichnungen vor allem die eigentümliche
Bedeutung und den Charakter des Mannes zum Ausdruck
zu bringen gesucht. Freilich giebt er die schon abgemagerten
G- 105 D
h
ZU DEM FARBENHOLZSCHNITT VON ALBERT KRUEGER
ein
Albanvorstadt 64", so wiederholte vor sich hin sprechend
Jn junger Kunstbeflissener die Adresse, die er sich aus dem
Baseler Wohnungsanzeiger gemerkt hatte, indem er die enge
Strafse immer weiter hinaufging, bis er in einem niedrigen
Hause mit Bäckerladen die gesuchte Nummer gefunden hatte.
Zögernd betrat er den kleinen Vorplatz. Da er aber nur die
Bäckerauslage sah und die steile schmale Stiege ihm wenig
einladend schien, so richtete er an ein paar mehlbestaubte
Männer, die müfsig in Hemdsärmeln umhersafsen die Frage,
ob er hier zum Professor Jacob Burckhardt recht käme Ja,
müssen Sie ihn denn selbst sprechen«? erwiderte der älteste
unter ihnen, ein Mann von breiter Gestalt mit offenem, starkem
Hals, ohne Kravatte, den Kopf mit kurz geschorenen Haaren,
glattem Gesicht, bis auf einen kleinen kurzgeha tenen Schnurr-
bart, kleinen Augen unter buschigen Brauen: der Typus eines
braven Bäckermeisters, wie der Fremde meinte. Auf die be-
jahende Antwort erhob er sich und führte den Ankömmling
zögernd und mit einem halb verlegenen halb mißtrauischen
Seitenblick die Treppe hinauf in das behagliche, aber äusserst
einfache Gelehrtenzimmer, in dem die Stiche und Photo-
graphien an den Wänden den Freund Italiens und der italie-
nischen Kunst verrieten. „Wenn Sie Jacob Burckhardt sprechen
wollen, so müssen sie schon mit mir vorlieb nehmen , sagte
der vermeintliche Bäckermeister, während er verlegen einen
Rock anzog und den Mangel der Halsbinde mit der abscheu-
lichen Hitze zu entschuldigen suchte. Der Fremde, nicht
wenig verdutzt, — und wie ihm, so ist es Manchen unter
bei ihrer ersten Bekanntschaft mit dem berühmten Baseler
uns
Kunstforscher ergangen— stellte sich als Kollege des Professors
vor, dessen Werken er zu höchstem Dank verpflichtet und
dessen persönliche Bekanntschaft zu machen ihm ein Herzens-
bedürfnis sei; auch habe er noch einen besonderen Wunsch:
ein paar Vorlesungen des Herrn Professors anhören zu dürfen.
„Auch das noch!" Schlimmer hätte sich der Kollege allerdings
nicht einführen können; denn Burckhardt, der frisch und frei
unter seinen jungen Zuhörern vortrug, geriet in die gröfste
Verlegenheit, wenn er unter ihnen ein fremdes älteres Gesicht
entdeckte. Erst durch ein bindendes Versprechen, die Vor-
lesungen nicht besuchen zu wollen, konnte der Besucher den
Professor wieder etwas beruhigen. Wenn es ihm dann gelang,
durch die zahlreichen Berührungspunkte in Kunst und Wissen-
schaft, durch Beziehungen zu gemeinsamen Bekannten und
Freunden das Mifstrauen zu beseitigen, das Eis zum Tauen zu
bringen, dann belebte sich die anscheinend schwerfällige Ge-
stalt, dann wurden jene hellen kleinen Augen leuchtend und
lebendig, der Mund mit seiner volltönenden fliefsenden Sprache
erhielt feine ausdrucksvolleFormenund in den Zügen wechselte
rasch der Ausdruck von feinsinniger Denkarbeit mit dem
Abglanz echter Begeisterung oder kindlicher Herzensgüte.
Das war der Burckhardt, wie die grofse Zahl seiner dank-
baren Schüler sein Bild im Herzen trägt; das war der Burck-
hardt, wie ihn Albert Krüger in seinem Farben-Holzschnitt
den Lesern des Pan vor Augen führt. Bei aller Freiheit und
Meisterschaft der Auffassung und Technik hat Krüger hier
sowohl, wie in Arnold Böcklins Bildnis am Kopf der Schick-
schen Tagebuchaufzeichnungen vor allem die eigentümliche
Bedeutung und den Charakter des Mannes zum Ausdruck
zu bringen gesucht. Freilich giebt er die schon abgemagerten
G- 105 D
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