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Züge der letzten Jahre und den ruhigen Blick bei stiller
Beobachtung, nicht wie wir ihn zu sehen gewohnt waren:
mit den beim Sprechen lebhaft erregten Mienen oder mit dem
feinen wohlwollenden Lächeln, wenn er der Rede eines Dritten
zuhörte. Lag dem Künstler für seine Arbeit doch nur eine
mäfsige Dilettantenphotographie zu Grunde, denn Jacob
Burckhardt hatte in seiner grenzenlosen Bescheidenheit eine
unüberwindliche Abneigung gegen das Photographiertwerden.
Einmal jedoch, in einer schwachen Stunde, hatten seine Freunde
und Schüler ihm das Versprechen abgerungen, einem Photo-
graphen zu sitzen. Sie hatten Alles vorbereitet, eine Zeit
verabredet, zu der sich der Photograph ganz frei hielt. Pünkt-
lich erschien Jacob Burckhardt, in seinem schlichten Anzug,
den kleinen Filz zusammengedrückt in der Hand haltend.
Auf seine Frage, ob er photographiert werden könne, ant-
wortete der Photograph, das sei jetzt leider ganz unmöglich,
da er gerade einen berühmten Professor zur Aufnahme er-
warte. „So, so", antwortete Burckhardt und schlich von
dannen, glücklich, dieser Gefahr, der Eitelkeit fröhnen zu
müssen, entronnen zu sein.

Krügers Bild, das überzeugend und eindringlich zum Auge
und Herzen spricht, bedarf nur weniger Worte der Begleitung.
Eine Würdigung der wissenschaftlichen Leistungen Jacob
Burckhardts wäre hier nicht am Platze: nur seine Stellung in
der Wissenschaft, seine Eigenart als Mensch, seine Charakter-
und Herzenseigenschaften möchte ich mit wenigen Worten zu
skizzieren suchen, um die Züge seines Bildes etwas reicher
zu beleben.

In kurzen Zwischenräumen sind unsre grofsen Lehrer in der
Geschichte der italienischen Kunst aus dem Leben geschieden,
sämtlich hochbejahrt. Vorangegangen ist der älteste von
ihnen, Karl Eduard von Liphardt, ein Livländer, der seine
Heimat in Florenz gefunden hatte; nur einem kleineren Kreise
bekannt, der aber mit gröfster Verehrung an ihn zurück-
denkt. In seiner Bildung wohl der vielseitigste von allen,
hatte er auf den verschiedensten Gebieten in langer Zeit ein
aufserordentliches Wissen aufgespeichert, aus dem er, da er
schriftstellerisch ganz unproduktiv war, nur durch persön-
lichen Umgang abgeben konnte, was er mit der gröfsten Bereit-
willigkeit und Hingabe that; durch die Schärfe seiner Kritik,
durch sein Wissen und seinen Eifer, durch die Ehrlichkeit
und Herzlichkeit seines Charakters ein Lehrer wie wenige,
unermüdlich vor den Kunstwerken selbst oder durch Nach-
bildungen den Kreis seiner jungen Verehrer zu Genufs und
Kritik anleitend. Wenige Jahre nach Liphardts Tode folgte
Giovanni Morelli, ein deutscher Schweizer nach Herkunft
und Erziehung, aber durch Geburt und durch die Revolution
von 1848 an Italien gekettet. Der jüngste in der Reihe
dieser Lehrer, ja ein ganz Moderner, da er als Dilettant und als
Sammler von italienischen Bildern erst spät dazu gekommen
war, von seinen reichen praktischen Erfahrungen im Gebiete
der älteren italienischen Malerei einem Kreise befreundeter
Sammler und Liebhaber im Umgange dieses oder jenes mit-
zuteilen, wodurch er, bei natürlicher Lust und Begabung zum
Dotieren, die Anregung zu einer sehr ausgiebigen schrift-
stellerischen Thätigkeit in seinen letzten Jahren erhielt. Ohne
besondere historische oder kunstgeschichtliche Vorbildung
hatte er, als Mediziner von Fach, bei der Betrachtung der
alten Bilder sein Augenmerk hauptsächlich auf die anato-
mische Bildung der Gestalten gerichtet und sich aus diesem

sehr bedeutsamen Hilfsmittel der Kritik eine besondere
„Methode" zur Beurteilung der Gemälde konstruiert, für deren
Unfehlbarkeit er durch ebenso rücksichtslose wie einseitige
Kritik aller bisherigen Forschung und mit Hilfe einer für
ihren Propheten begeisterten Schaar von Jüngern Propaganda
machte. Ein paar Jahre nach Morelli starb sein „Opfer",
der mehrere Jahre ältere Italiener Giovanni Battista Cavalca-
selle. Eine stille in sich gekehrte fanatische Künstlernatur,
durch die Revolution von 1848 aus seiner Heimat und aus
seinem Berufe als Maler gedrängt und rastlos von Ort zu
Ort reisend, hatte Cavalcaselle im Studium der alten Kunst,
vor allem der italienischen Malerei seine Lebensaufgabe ge-
funden, die er in späteren Jahren als Konservator der Kunst-
denkmäler Italiens auch praktisch verwerten konnte. Sein
grofses Werk über die ältere italienische Malerei, ohne
grüfsere Gesichtspunkte und inneren Zusammenhang, ist
doch durch seine nüchterne und unbestechliche vergleichende
Kritik die Grundlage für die Forschung nach dieser Richtung
geworden und hat auch nach anderen Seiten anregend
gewirkt. Sie besteht trotz der Angriffe Morelli's, der selbst
aus ihr hervorgegangen ist und dieselbe nur hie und da zu
verbessern und zu erweitern vermochte.

Völlig selbständig und eigenartig steht diesen bahn-
brechenden Männern der kritischen Forschung im Gebiete
der italienischen Malerei Jacob Burckhardt gegenüber, der
als der letzte im September vorigen Jahres aus dem Leben
schied. Burckhardt war in gewissem Sinne weniger als jene
und doch unendlich viel mehr. Er war kein Kunstkritiker
von Fach und wollte dies auch nicht sein. Als Historiker
betrachtete er auch die Kunstgeschichte, der er sich allmählich
mit Vorliebe zuwandte, als etwas Gewordenes, als ein
Ganzes und im Zusammenhange mit der gesamten Kultur-
entwicklung. Nicht die Fragen, ob dieses oder jenes Werk
nach der Eigentümlichkeit der Technik, nach der Färbung
und Zeichnung, nach Bildung von Ohren und Fingern, nach
der Form der Falten u. s. f. die Arbeit dieses oder jenes
Meisters oder vielmehr das Werk eines Schülers oder gar
eine alte Kopie sei, standen für ihn im Vordergrunde seiner
Forschung: sondern was dieser oder jener Meister an Neuem
und Bedeutendem der Kunst und Kultur gewonnen hatte, wie
sein Werk sich der Entwicklung seiner Kunst einordnet,
wie der eine Künstler, die eine Richtung der Kunst sich zu
einer anderen verhält, wie sie von der Geschichte bedingt wird,
und welche Bedeutung sie innerhalb der gesamten Kultur-
entwicklung besitzt, diese und ähnliche Fragen beschäftigten
Jacob Burckhardt neben seinen allgemeinen geschichtlichen
und kulturgeschichtlichen Studien. In seinem scharfen, klaren
Verstände und aus der Fülle seines Wissens fand er die
mannigfachsten, präcisesten Antworten auf diese Fragen.
So entstanden bei seinem aufserordentlichen SchafFensdrange
und bei seiner Leichtigkeit im Gestalten meist in kurzer Zeit
seine bekannten Werke: der „Cicerone", die „Geschichte
der Renaissance", die „Kultur der Renaissance", die seit Jahr-
zehnten die Grundlage unserer Kunstgeschichte bilden. Was
sich ihm im Geiste als klares Bild eingeprägt hatte, drängte
ihn in fester Form auszuprägen: im mündlichen Vortrag
noch mehr als in schriftstellerischen Arbeiten. Wie der echte
Künstler arbeitete er nur für sich und für seine Schüler; vor
allem um sich selbst völlig klar zu werden und seinen Schülern
nur ganz Durchdachtes vorzutragen, war es ihm Bedürfnis,

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