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Sehnsucht, dessen Volk er so unendlich liebte, „diese grofsen
Kinder in Lumpen mit der grandezza eines principe oder einer
principessa", zwischen dessen Kunstwerken ihm das Herz erst
recht aufging. Welcher Genufs mit ihm durch die Strafsen
von Rom zu wandern, wo er unter den Römern ein Römer
wurde; mit ihm zum Fischessen zur Annita hinter das
Pantheon zu eilen, um rechtzeitig in der Küche noch einen
leckeren Fisch auszuwählen, beim Cesare an der Ecke Apfel-
sinen einzuhandeln, abends den Tag draufsen in einer Osteria
beim Falerner oder einer Flasche der Castelli zu beschliefsen,
und zu sehen, wie er hier unter den Leuten des Volkes wie
ihresgleichen verkehrte, ganz in ihre Interessen sich einlebte,
mit ihnen in seiner volltönenden Stimme in fliefsendem Ita-
lienisch sich unterhielt, der ächten „lingua toscana in bocca
romana". Und dazwischen vom frühen Morgen bis in die
sinkende Nacht die Besuche in den Kirchen, in den Museen
und Palästen, wo die Gestalten der Künstler unter seiner
fliefsenden Rede lebendig wurden, wo aus der Fülle seines
Wissens und Dank einem glänzenden Gedächtnis die Toten
von ihren Monumenten auferstanden, wo selbst ein beschei-
dener Kandelaber, ein Bilderrahmen oder sonst ein anscheinend
nebensächlicher Gegenstand ihm Gelegenheit bot, den Stil

und die Entwicklung dieses oder jenes Zweiges der Kunst
oder des Kunsthandwerks, das Verhältnis des einen zum
anderen und ihre Bedeutung für Kunst und Kultur überhaupt
klar zu machen.

In Jacob Burckhardt verliert das Deutschtum einen jener
genialen schöpferischen Geister, welche die freie deutsche
Schweiz aus dem Wetteifer mit den übrigen Nationalitäten und
im Drang des internationalen Treibens hervorgebracht hat,
Geister, für welche Deutschland der Schweiz zu gröfstem
Dank verpflichtet ist. Gottfried Keller, sein Altersgenosse,
der ihm vorangegangen ist, hat durch seine scharfe natur-
wahre Beobachtung, durch seinen Humor und die künst-
lerisch abgerundete Form seiner Novellen der deutschen Lit-
teratur einen Schatz gegeben, wie kein Zweiter nach ihm.
Der j üngere Arnold Boecklin, Burckhardts engerer Landsmann,
obgleich an Jahren ein Greis, in der Fülle seiner Schöpfung
durch ein halbes Jahrhundert aber ein Lebenswerk aufweisend
wie wenige vor ihm, ragt in das kommende Jahrhundert wie
eine ganz moderne Erscheinung, da das Verständnis seiner
Werke erst jetzt den rechten Boden gefunden hat. So wird
auch die Saat, die Jacob Burckhardt ausgestreut hat, noch
durch lange Zeit hindurch reiche Frucht tragen.

W. BODE

FRAU CARL NIELSEN, STtER (VGL. AUFSATZ SEITE

128)

C 108 3
 
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