Volkstypen auf Postkarten sprechen will. Allenfalls wären
noch die hessischen Bauern von Otto Ubbelohde (Mar-
burg, Elwert'sche Buchhandlung) zu nennen. Doch nähern sich
diese bereits stark dem biedern und braven „Gartenlauben-
Styl", in dem die schwäbischen Typen von Planck, die
Tiroler von Engl oder die Soldatenbilder von C. Becker
gehalten sind, und der im deutschen Publikum immer noch
viele Verehrer zu finden scheint. Ganz hervorragend begabt
scheint mir für diesen Zweck Emil Orlik in Prag, der un-
bestritten die besten deutschen Exlibris lithographiert hat, und
von dem ich Gelegenheit hatte, eine Reihe mit der Feder ge-
zeichneter Postkarten aus Amsterdam zu sehen, so flott und fein
beobachtet und mit so sicherer Empfindung für die Raum-
anpassung, dafs ich mir nichts Besseres denken könnte als
diese Karten in Originallithographie oder Holzschnitt ver-
vielfältigt. Vielleicht findet er trotz dieser hohen künstle-
rischen Qualitäten einen deutschen Verleger.
Endlich sei hier auch der "Wiener Künstler-Postkarten
gedacht, von denen der Verlag von Philipp & Kramer eine
unendliche Menge (bis jetzt 20 Serien) veröffentlicht hat.
Sie enthalten naturgemäfs viel Wienerisches und daher wenig
Ernstes. Am hübschesten, auch koloristisch, sind die Bilder
aus Alt-Wien von Hans Wilt (Serie XIV). Sie leiden nur
an einem etwas unklaren, grieslichen Druck. Im Allgemeinen
ist der landschaftliche Teil der bessere, der figürliche nach
Wiener Art leicht und „fesch", der ornamentale, um einen
beliebten Lokalausdruck der schönen Kaiserstadt zu gebrau-
chen: „Gschnas".
Es liefse sich hier noch ein Wörtchen von den Aus-
wüchsen der Postkartenmanie sagen, von den sogenannten
„Riesenkarten", die man nur unter Kreuzband verschicken,
aber nicht beschreiben darf, von den Transparentkarten, den
winzigen Ansichtspostkarten für Puppen, von denen auf Holz-
spahn oder dünnem Elfenbein, endlich von den Karten mit
Handmalerei und mit Radierungen. Von Letzteren hat Bern-
hard Mannfeld erst unlängst eine Folge von sechs An-
sichten aus dem Nahethal (bei Josef Meder in Höchst a. M.)
erscheinen lassen, die auf dem Umschlag ruhmredig als
„Kunstwerke ersten Ranges" gepriesen werden, und nach der
ebenda angekündigten Absicht des Künstlers dem grofsen
Publikum das Verständnis für die vornehmste der graphischen
Künste, die Original-Radierung erschliefsen sollen. Ich fürchte,
das gerade Gegenteil wird der Fall sein. Denn dafs so zarte
Arbeiten wie Radierungen durch den Massenabdruck auf
grobem und dickem Papier jeden Reiz einbüfsen und zu
Schatten Dessen werden, was sie sein sollten, ist eine
altbekannte Thatsache, für die fast alle Publikationen der
sogenannten „Radierklubs" Beweismaterial in Fülle bieten.
In England, wo die moderne Original-Radierung ihre höchste
Blüte erreicht hat und mit einem gröfseren, namentlich aber
unendlich viel feinfühligeren Publikum rechnen darf, als bei
uns in Deutschland, ist sie doch niemals durch Verbreitung
von tausend und mehr Abzügen zum Range der Kunstvereins-
blätter erniedrigt worden.
Künstlerische Postkarten aus Frankreich und Italien sind
mir nie zu Gesicht gekommen, und ich bezweifle daher, dafs
es welche giebt. Aus England sah ich eine einzige, und
zwar aus Folkestone. Dagegen hat die Firma Dietrich & Co.
in Brüssel einige Serien von Karten veröffentlicht, unter denen
freilich nur die holländischen Ansichten nach Aquarellen von
H. Cassiers ernst genommen zu 'werden verdienen. Die
kleinen, flotten Landschaften und Seestücke, unter denen ich
Delft, Edam, Scheveningen, Katwijk und Rotterdam besonders
hervorheben möchte, sind mit jener bekannten Routine hinge-
setzt, die der belgische Künstler schon früher in den ebenfalls
bei Dietrich & Co. erschienenen Aquarellvorlagen und Tisch-
karten bekundet hat. Das Problem einer geschmackvollen
Raumausnutzung versuchen sie nicht zu lösen. Man könnte
sie wenigstens ebensogut an den Kopf von Briefbogen
drucken, wie auf eine Postkarte. — Eine zweite Serie mit
holländischen Kostümen, darunter die besten die von Volen-
dam, Laren und Scheveningen, hat Cassiers kürzlich bei
de Haan in Utrecht erscheinen lassen.
Die beiden anderen Folgen von Henri Meunier und
Gisbert Combaz sind, obwohl sie von Künstlern herrühren,
die dem belgischen Plakat in erster Linie zu seiner hohen
Rangstellung unter den gleichartigen Erzeugnissen der Nach-
barländer verholfen haben, nichts als mifsglückte Versuche,
den Plakatstil auf ein Duodezblatt zu übertragen. Bei diesen
Versuchen ist Meunier, dem wir die prächtige Affiche für
das Kasino in Blankenberghe verdanken, durch die beständige
Wiederholung einer modischen Damenfigur nur langweilig
geworden, etwa wie Helleu mit seinen ewigen distinguierten
und faden Pariserinnen, Combaz aber geradezu lächerlich,
weil er die schweren, nur auf Fernwirkung berechneten
flämischen Farben und die weifsen Konturen, wie sie die
Lütticher Künstler (Emile Berchmans, Auguste Donnay etc.)
zuerst in ihren Affichen anwandten, im kleinsten Räume zur
Geltung zu bringen versuchte. Man denke sich eine violett-
graue Kuh vor der zinnoberroten Sonnenscheibe auf dunkel-
grünem Rasen liegend und vorn gelb stilisierte Pflanzen-
bildungen als Personifikation der Erde oder eine gelbe
Schwalbe vor blauen Schlangenlinien und gelbumränderten
violetten Wolken, die die Luft bedeuten soll! — Was sind
dagegen alle die sinn- und geschmacklosen Buchumschläge,
die in Deutschland während der letzten Jahre nach dem
Pariser Plakatrezept entstanden, — in „Tentakularstil", wie
ihn Justus Brinckmann treffend von den polypenartigen
Schnörkeln benannt hat, die ihn kennzeichnen!
Vor Jahresfrist erschien endlich in Brügge (bei de Haenen)
eine allerliebste Folge von Ansichtskarten aus dieser an male-
rischen Punkten so reichen, vergessenen Weltstadt.
Damit dürfte wohl im Wesentlichen Alles genannt sein,
was an künstlerischen Versuchen zur Veredelung des Post-
karten-Sportes geleistet worden. Sollte dennoch ein oder das
andere übersehen sein, so bitte ich den hohen Gerichtshof,
in dem ja gewifs viele weibliche Richter sitzen, wenigstens
um Zubilligung mildernder Umstände. Es ist fast unmöglich
für Jemand, der sich nebenbei auch für andere Phasen
der „Kunstgeschichte" interessiert, also nicht zu den
orthodoxen Ansichtspostkartenspecialisten zählt, das ganze
weite Gebiet zu überblicken. — Der nach Kunst dürstende
Pilger, der diese Wüste durchzieht, kann nur in den grofsen
Oasen Halt machen, um sich zu erfrischen, und mufs, wenn
er sein Ziel erreichen will, manchen Quell aufser acht lassen,
der abseits vom Wege hinter jenen blauen Höhen liegt, die
dämmernd den Horizont begrenzen. Max Lehrs
C 192 D
noch die hessischen Bauern von Otto Ubbelohde (Mar-
burg, Elwert'sche Buchhandlung) zu nennen. Doch nähern sich
diese bereits stark dem biedern und braven „Gartenlauben-
Styl", in dem die schwäbischen Typen von Planck, die
Tiroler von Engl oder die Soldatenbilder von C. Becker
gehalten sind, und der im deutschen Publikum immer noch
viele Verehrer zu finden scheint. Ganz hervorragend begabt
scheint mir für diesen Zweck Emil Orlik in Prag, der un-
bestritten die besten deutschen Exlibris lithographiert hat, und
von dem ich Gelegenheit hatte, eine Reihe mit der Feder ge-
zeichneter Postkarten aus Amsterdam zu sehen, so flott und fein
beobachtet und mit so sicherer Empfindung für die Raum-
anpassung, dafs ich mir nichts Besseres denken könnte als
diese Karten in Originallithographie oder Holzschnitt ver-
vielfältigt. Vielleicht findet er trotz dieser hohen künstle-
rischen Qualitäten einen deutschen Verleger.
Endlich sei hier auch der "Wiener Künstler-Postkarten
gedacht, von denen der Verlag von Philipp & Kramer eine
unendliche Menge (bis jetzt 20 Serien) veröffentlicht hat.
Sie enthalten naturgemäfs viel Wienerisches und daher wenig
Ernstes. Am hübschesten, auch koloristisch, sind die Bilder
aus Alt-Wien von Hans Wilt (Serie XIV). Sie leiden nur
an einem etwas unklaren, grieslichen Druck. Im Allgemeinen
ist der landschaftliche Teil der bessere, der figürliche nach
Wiener Art leicht und „fesch", der ornamentale, um einen
beliebten Lokalausdruck der schönen Kaiserstadt zu gebrau-
chen: „Gschnas".
Es liefse sich hier noch ein Wörtchen von den Aus-
wüchsen der Postkartenmanie sagen, von den sogenannten
„Riesenkarten", die man nur unter Kreuzband verschicken,
aber nicht beschreiben darf, von den Transparentkarten, den
winzigen Ansichtspostkarten für Puppen, von denen auf Holz-
spahn oder dünnem Elfenbein, endlich von den Karten mit
Handmalerei und mit Radierungen. Von Letzteren hat Bern-
hard Mannfeld erst unlängst eine Folge von sechs An-
sichten aus dem Nahethal (bei Josef Meder in Höchst a. M.)
erscheinen lassen, die auf dem Umschlag ruhmredig als
„Kunstwerke ersten Ranges" gepriesen werden, und nach der
ebenda angekündigten Absicht des Künstlers dem grofsen
Publikum das Verständnis für die vornehmste der graphischen
Künste, die Original-Radierung erschliefsen sollen. Ich fürchte,
das gerade Gegenteil wird der Fall sein. Denn dafs so zarte
Arbeiten wie Radierungen durch den Massenabdruck auf
grobem und dickem Papier jeden Reiz einbüfsen und zu
Schatten Dessen werden, was sie sein sollten, ist eine
altbekannte Thatsache, für die fast alle Publikationen der
sogenannten „Radierklubs" Beweismaterial in Fülle bieten.
In England, wo die moderne Original-Radierung ihre höchste
Blüte erreicht hat und mit einem gröfseren, namentlich aber
unendlich viel feinfühligeren Publikum rechnen darf, als bei
uns in Deutschland, ist sie doch niemals durch Verbreitung
von tausend und mehr Abzügen zum Range der Kunstvereins-
blätter erniedrigt worden.
Künstlerische Postkarten aus Frankreich und Italien sind
mir nie zu Gesicht gekommen, und ich bezweifle daher, dafs
es welche giebt. Aus England sah ich eine einzige, und
zwar aus Folkestone. Dagegen hat die Firma Dietrich & Co.
in Brüssel einige Serien von Karten veröffentlicht, unter denen
freilich nur die holländischen Ansichten nach Aquarellen von
H. Cassiers ernst genommen zu 'werden verdienen. Die
kleinen, flotten Landschaften und Seestücke, unter denen ich
Delft, Edam, Scheveningen, Katwijk und Rotterdam besonders
hervorheben möchte, sind mit jener bekannten Routine hinge-
setzt, die der belgische Künstler schon früher in den ebenfalls
bei Dietrich & Co. erschienenen Aquarellvorlagen und Tisch-
karten bekundet hat. Das Problem einer geschmackvollen
Raumausnutzung versuchen sie nicht zu lösen. Man könnte
sie wenigstens ebensogut an den Kopf von Briefbogen
drucken, wie auf eine Postkarte. — Eine zweite Serie mit
holländischen Kostümen, darunter die besten die von Volen-
dam, Laren und Scheveningen, hat Cassiers kürzlich bei
de Haan in Utrecht erscheinen lassen.
Die beiden anderen Folgen von Henri Meunier und
Gisbert Combaz sind, obwohl sie von Künstlern herrühren,
die dem belgischen Plakat in erster Linie zu seiner hohen
Rangstellung unter den gleichartigen Erzeugnissen der Nach-
barländer verholfen haben, nichts als mifsglückte Versuche,
den Plakatstil auf ein Duodezblatt zu übertragen. Bei diesen
Versuchen ist Meunier, dem wir die prächtige Affiche für
das Kasino in Blankenberghe verdanken, durch die beständige
Wiederholung einer modischen Damenfigur nur langweilig
geworden, etwa wie Helleu mit seinen ewigen distinguierten
und faden Pariserinnen, Combaz aber geradezu lächerlich,
weil er die schweren, nur auf Fernwirkung berechneten
flämischen Farben und die weifsen Konturen, wie sie die
Lütticher Künstler (Emile Berchmans, Auguste Donnay etc.)
zuerst in ihren Affichen anwandten, im kleinsten Räume zur
Geltung zu bringen versuchte. Man denke sich eine violett-
graue Kuh vor der zinnoberroten Sonnenscheibe auf dunkel-
grünem Rasen liegend und vorn gelb stilisierte Pflanzen-
bildungen als Personifikation der Erde oder eine gelbe
Schwalbe vor blauen Schlangenlinien und gelbumränderten
violetten Wolken, die die Luft bedeuten soll! — Was sind
dagegen alle die sinn- und geschmacklosen Buchumschläge,
die in Deutschland während der letzten Jahre nach dem
Pariser Plakatrezept entstanden, — in „Tentakularstil", wie
ihn Justus Brinckmann treffend von den polypenartigen
Schnörkeln benannt hat, die ihn kennzeichnen!
Vor Jahresfrist erschien endlich in Brügge (bei de Haenen)
eine allerliebste Folge von Ansichtskarten aus dieser an male-
rischen Punkten so reichen, vergessenen Weltstadt.
Damit dürfte wohl im Wesentlichen Alles genannt sein,
was an künstlerischen Versuchen zur Veredelung des Post-
karten-Sportes geleistet worden. Sollte dennoch ein oder das
andere übersehen sein, so bitte ich den hohen Gerichtshof,
in dem ja gewifs viele weibliche Richter sitzen, wenigstens
um Zubilligung mildernder Umstände. Es ist fast unmöglich
für Jemand, der sich nebenbei auch für andere Phasen
der „Kunstgeschichte" interessiert, also nicht zu den
orthodoxen Ansichtspostkartenspecialisten zählt, das ganze
weite Gebiet zu überblicken. — Der nach Kunst dürstende
Pilger, der diese Wüste durchzieht, kann nur in den grofsen
Oasen Halt machen, um sich zu erfrischen, und mufs, wenn
er sein Ziel erreichen will, manchen Quell aufser acht lassen,
der abseits vom Wege hinter jenen blauen Höhen liegt, die
dämmernd den Horizont begrenzen. Max Lehrs
C 192 D