Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Mir war bei Tag und Nacht als ob man hinter den Wänden Särge schliefst und eilig hämmert.
Durch seine Zimmer geht der alte Mann, sein Aug' scheint stark im starken Licht des Meeres,
Mit Liebe sieht er und mit Herrscherernst über den grofsen Ring des weiten Wassers.
Er sieht dort Länder die er selbst bevölkert, und lebt bei Menschen die er selbst erschafft.
Von ihrem Schicksal spricht er laut mit sich, und läfst die Menschen sterben wenn sie sehr gealtert.
Doch kommen mit dem Herbst die fürchterlichen Nächte, wo hilferufend Meer und Steine schreien,
Und liegen draufsen im verstörten Morgen sehr weifse Leichen an dem Fufs der Steine und

strecken tote Arme aus der Flut,
Dann sitzt der Alte in dem Tang und weint, wie nur die Kinder weinen ohne Atem.

Noch eine Klippe ist der letzte Stein im Meer, es wohnen keine Menschen da, nur nisten Möven.
Ich hörte dort die Mövenmütter, die von den Eiern aufgeflohen wie Geister in den Lüften klagen.
Am hohen Mittag lag ich auf den Steinen, die waren warm wie junge Menschenkörper,
In blauen Stufen stieg das Meer zur Sonne, und draufsen schlugen sich in Brunst die Schwäne.
Des Meeres wunderliche Sterne hingen verirrt und bleichten an den Steinen,
Die Wellen trugen roten Tang herbei und rote Kränze fielen auf die Insel.
Sie sagen es, auf diesem letzten Stein wird einst der letzte Mensch geboren,
Und seine Seele steht im tiefen Himmel, und seine Seele liegt im tiefen Meer,
Und festlich gehen Wolken und die Sonnen und alle Wellen in ihm auf und nieder.
Ich hatte mich auf einem öden Stein geglaubt, und wurde es gewahr, es lebt noch um den letzten

Stein ein Fest.

LUDWIG VON HOFMANN, KNABE AM BRUNNEN

C 219 b

28*
 
Annotationen