Und dann:
Wenn ich heut nicht deinen leib berühre
Wird der faden meiner seele reissen . . .
Und weiter:
Als wir hinter dem beblümten thore
Endlich nur das eigne hauchen spürten
Wurden uns erdachte Seligkeiten?
Ich erinnre dass wie schwache röhre
Beide stumm zu beben wir begannen
Wenn wir leis nur an uns rührten
Und dass unsre äugen rannen —
So verbliebest du mir lang zur Seiten.
Ins Traumdickicht verstrickt ihn das dunkle Geschick,
bis ihn alles verläfst und er einsam ist wie es Algabal war,
der Eigensüchtige. Aber der Freundeslose, dem die Liebe
sein Auge geöffnet hat und seine Seele geweitet, fühlt und
findet nun des Lebens Lösung, ein von allem Fremden und
von sich selber gar Befreiter, im grofsen Weben des Alls.
Die gräser die betrübt am rande kauern,
Das Zwiegespräch der zedern und der erlen(
Die lauten tropfen die von felsen perlen
Ergriffen das den menschen fremde trauern
Des der ein königtum verlor.
Mit einer grofsen hoffnungverheifsenden Wendung zur
Natur schliefsen die Hängenden Gärten: was sie verkünden ist
im Jahr der Seele wahr gemacht. Nun die Natur der Seele
frei sich offenbart hat, bedarf diese nicht weiter wechselnder
Hüllen, ihr Leben auszudrücken. Die einfachsten Symbole
des jahreszeitlichen Geschehens verklärt ihr Eigenstes, da sie
es spiegeln. Ungeschmückt, ganz innerlich, ganz tief und
glühend ist dieses wahrhaft neue und doch in hartem Ringen
erstrittene Leben. Gewifs mit Un-
recht hat ein Beurteiler eine„Rück-
kehr ins alte Heimatgebiet der
Lyrik" in diesen Gedichten gesehen,
deren innere und äufsere Form sicht-
lich das notwendige Ergebnis orga-
nisch stetigen Fortschreitens ist;
und man würde die ganz eigenartige
Stilisierung dieser Stimmungen, die
Strenge ihrer Gliederungen und ihre
festen Bezüge ohne Georges frühere
Strophen kaum begreifen. Nur der
unbeugsame Zwang, sein Selbst in
vielartigen fremden Bildern dennoch
ungeteilt zu geben, befreite seinen
Stil von allem Triebhaften, Ueber-
schwenglichen, ohne ihm die Lebens-
fülle und -glut zu rauben. Er
findet nun in scheinbar Gestalt-
losem sich, den Rhythmus seines Daseins. „Er kann der
woge jetzt ins äuge sehen",hiefs es schon in den Hängenden
Gärten. Die Landschaft, seine Landschaft, lebt ihr Leben,
das seines ist. Als Rückkehr von langen Fahrten, als Rasten
an „den heimatlichen essen" empfindet er das neue tiefe be-
ruhigte Geschick. Nichts von allem früheren Gewinne ist
verloren: innerlichst gefestigt treten im Vorüber-Eilen der
Monde, ihrer Freuden und Fährnisse die alten Lebenstriebe
hervor, wechselnd bestrahlt, im herbstlichen Park, auf winter-
lich keuscher Strafse, im Dämmerschein des Gemaches, in
den Reife-Freuden:
Ein stolzes beben und ein reiches schallen
Durch später erde schwere fülle strich . . .
Die kurzen worte waren kaum gefallen
Als tiefer rührung ruhe uns beschlich.
Sie sanken hin wo sich am fruchtgeländer
Der purpurschein im gelben schmelz verlor.
Sie stiegen auf zum schmuck der hügelränder
Wo für die dunkle lust die traube gor.
Ich wagte dir nicht, du nicht mir zu nahen
Als schräger strahl um unsre häupter schoss
Noch gar mit rede störend zu bejahen
Was jetzt uns band, was jedes stumm genoss
Und was in uns bei jenes tages rüste
Auf zu den veilchenfarbnen wölken klomm,
War mehr als unsre träume und gelüste
In diesem gluten-abend zart erglomm.
Es ist ein Dasein reif mild und golden, voll von der
tiefen wissenden Liebe des Schaffen-
den, von der ein Dichter sie der
herbstlichen Sonne vergleichend
sagt: „Mit kühlen Strahlen greift
sie über die Welt. Nichts ist ihr
unwürdig und zu gering ... Sie
vergoldet Mienen, die der Schmerz
verzerrte und flicht Klagen und
Seufzer in den Rhythmus ihres Licht-
gesanges." Denn dieser Rhythmus
ist der geheime Sinn des Lebens, der
im Kunstwerk unverhüllter sich
offenbart. Er verleiht ihm jene
gleichsam naturgesetzliche Notwen-
digkeit der Erscheinungsform, die
aus den grofsen Werken aller Kunst-
gattungen mit fast unheimlicher
Klarheit zu uns spricht.
Karl Wolfskehl,
LUDWIG VON HOFMANN, AKT
C 235 a
50*
Wenn ich heut nicht deinen leib berühre
Wird der faden meiner seele reissen . . .
Und weiter:
Als wir hinter dem beblümten thore
Endlich nur das eigne hauchen spürten
Wurden uns erdachte Seligkeiten?
Ich erinnre dass wie schwache röhre
Beide stumm zu beben wir begannen
Wenn wir leis nur an uns rührten
Und dass unsre äugen rannen —
So verbliebest du mir lang zur Seiten.
Ins Traumdickicht verstrickt ihn das dunkle Geschick,
bis ihn alles verläfst und er einsam ist wie es Algabal war,
der Eigensüchtige. Aber der Freundeslose, dem die Liebe
sein Auge geöffnet hat und seine Seele geweitet, fühlt und
findet nun des Lebens Lösung, ein von allem Fremden und
von sich selber gar Befreiter, im grofsen Weben des Alls.
Die gräser die betrübt am rande kauern,
Das Zwiegespräch der zedern und der erlen(
Die lauten tropfen die von felsen perlen
Ergriffen das den menschen fremde trauern
Des der ein königtum verlor.
Mit einer grofsen hoffnungverheifsenden Wendung zur
Natur schliefsen die Hängenden Gärten: was sie verkünden ist
im Jahr der Seele wahr gemacht. Nun die Natur der Seele
frei sich offenbart hat, bedarf diese nicht weiter wechselnder
Hüllen, ihr Leben auszudrücken. Die einfachsten Symbole
des jahreszeitlichen Geschehens verklärt ihr Eigenstes, da sie
es spiegeln. Ungeschmückt, ganz innerlich, ganz tief und
glühend ist dieses wahrhaft neue und doch in hartem Ringen
erstrittene Leben. Gewifs mit Un-
recht hat ein Beurteiler eine„Rück-
kehr ins alte Heimatgebiet der
Lyrik" in diesen Gedichten gesehen,
deren innere und äufsere Form sicht-
lich das notwendige Ergebnis orga-
nisch stetigen Fortschreitens ist;
und man würde die ganz eigenartige
Stilisierung dieser Stimmungen, die
Strenge ihrer Gliederungen und ihre
festen Bezüge ohne Georges frühere
Strophen kaum begreifen. Nur der
unbeugsame Zwang, sein Selbst in
vielartigen fremden Bildern dennoch
ungeteilt zu geben, befreite seinen
Stil von allem Triebhaften, Ueber-
schwenglichen, ohne ihm die Lebens-
fülle und -glut zu rauben. Er
findet nun in scheinbar Gestalt-
losem sich, den Rhythmus seines Daseins. „Er kann der
woge jetzt ins äuge sehen",hiefs es schon in den Hängenden
Gärten. Die Landschaft, seine Landschaft, lebt ihr Leben,
das seines ist. Als Rückkehr von langen Fahrten, als Rasten
an „den heimatlichen essen" empfindet er das neue tiefe be-
ruhigte Geschick. Nichts von allem früheren Gewinne ist
verloren: innerlichst gefestigt treten im Vorüber-Eilen der
Monde, ihrer Freuden und Fährnisse die alten Lebenstriebe
hervor, wechselnd bestrahlt, im herbstlichen Park, auf winter-
lich keuscher Strafse, im Dämmerschein des Gemaches, in
den Reife-Freuden:
Ein stolzes beben und ein reiches schallen
Durch später erde schwere fülle strich . . .
Die kurzen worte waren kaum gefallen
Als tiefer rührung ruhe uns beschlich.
Sie sanken hin wo sich am fruchtgeländer
Der purpurschein im gelben schmelz verlor.
Sie stiegen auf zum schmuck der hügelränder
Wo für die dunkle lust die traube gor.
Ich wagte dir nicht, du nicht mir zu nahen
Als schräger strahl um unsre häupter schoss
Noch gar mit rede störend zu bejahen
Was jetzt uns band, was jedes stumm genoss
Und was in uns bei jenes tages rüste
Auf zu den veilchenfarbnen wölken klomm,
War mehr als unsre träume und gelüste
In diesem gluten-abend zart erglomm.
Es ist ein Dasein reif mild und golden, voll von der
tiefen wissenden Liebe des Schaffen-
den, von der ein Dichter sie der
herbstlichen Sonne vergleichend
sagt: „Mit kühlen Strahlen greift
sie über die Welt. Nichts ist ihr
unwürdig und zu gering ... Sie
vergoldet Mienen, die der Schmerz
verzerrte und flicht Klagen und
Seufzer in den Rhythmus ihres Licht-
gesanges." Denn dieser Rhythmus
ist der geheime Sinn des Lebens, der
im Kunstwerk unverhüllter sich
offenbart. Er verleiht ihm jene
gleichsam naturgesetzliche Notwen-
digkeit der Erscheinungsform, die
aus den grofsen Werken aller Kunst-
gattungen mit fast unheimlicher
Klarheit zu uns spricht.
Karl Wolfskehl,
LUDWIG VON HOFMANN, AKT
C 235 a
50*