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LUDWIG VON HOFMANN, ADAM UND EVA (l)

VITA NUOVA

[ CH bin in den Abendstunden in Dantes Vita nuova
vertieft. Ich sehe, dafs die Herzen des dreizehnten
Jahrhunderts ebenso ängstlich geklopft haben, wie
die unsrigen, dafs geistiges Schwanken und
Schwärmen den jungen Dichter zu untergraben
drohte und dafs der Mann, welcher die Göttliche
Komödie schreiben konnte, viel Leiden an Leib
und Seele erfahren mufste." — Anselm Feuer-
bach ist es, der diese Worte in wehmütiger Be-
ziehung aufsein eigenes Künstlerlos am 15. Januar
1857 heimwärts sandte, aus der ewigen Stadt,
deren Betreten für ihn selbst den Beginn eines
künstlerischen neuen Lebens bedeuten sollte. Wie mufste
auch dieses hohe Lied von der äufseren und inneren Schön-
heit der Geliebten seine empfängliche Seele berühren, deren
ganzes Empfinden in dem einen Worte „Schönheit" um-
schlossen lag. Und es ist, als habe dieser erste tiefe Ein-
druck, den er von Dante gewann, ihn nicht verlassen; wie
bei dem Dichter, so zieht sich auch bei ihm ein Frauen-Ideal
durch alle Bilder hindurch, die seiner Phantasie erwuchsen,
und wie bei jenem war es ein wirkliches, geliebtes Weib,
das er künstlerisch verklärt zum Typus der Gattung erhob.
Unwillkürlich steigt da das Bild eines anderen Künstlers
vor uns auf, der fast genau gleichzeitig mit Feuerbach lebte,
lind der in noch gesteigertem Mafse Dantes „Liebesfrühling"
— wie F. X. Kraus übersetzen möchte — nachempfunden,
ja nachgelebt hat: Dante Gabriel Rossetti. Ueberblickt
man Leben und Schaffen dieses merkwürdigen Meisters, dessen

Kunst eine so seltsame Mischung italienischer und englischer
Elemente aufweist, so möchte man fast sagen, er sei mit der
Gedankenwelt des Dichters, auf dessen Namen er getauft
war, erblich belastet gewesen. Denn nahezu krankhaft, über-
reizt ist die Art, wie seine sensitive Natur sich bis zur förm-
lichen Autosuggestion in den mystischen Stimmungsgehalt
der Vita nuova versenkte, ohne wie Dante selbst durch Hölle
und Läuterung zur Verklärung zu gelangen. Durch seinen
Vater, den bekannten Danteforscher Gabriele Rossetti, hatte
er von Kindheit auf die Liebe für die frühe italienische
Litteratur so innig eingesogen, dafs er selbst eine Anzahl
altitalienischer Dichtungen, darunter eben die Vita nuova, in
ein archaisierendes Englisch übersetzte, und unter dem Titel
„Early Italian Poets" mit einem reizenden Titelblatt, das er
dazu zeichnete, herausgab. Als dann für ihn selbst, seit
seinem ersten Zusammentreffen mit Elisabeth Siddal, der
„Liebesfrühling" anbrach, als er selbst in der schlanken
blonden Geliebten, an der er freilich in sehr irdischer Glut
hing, zugleich sein künstlerisches Ideal gefunden hatte, da
übertrug er das Empfinden seines Dichters innerlich ganz auf
sich selbst, ohne der tiefen Kluft zu achten, welche in den
wirklichen, äufseren Verhältnissen bestand. Ja während er
sich an dem Besitz des üppig schönen Weibes berauschte,
schwelgte er in seinen Dantebildern in einer Art wollüstiger
Entsagung, und nach dem Beispiel seines Vaters, der die
Realität der Beatrice völlig bestritten hatte, liefs er Beatrice,
trotzdem er ihr die verführerischen Züge der Geliebten gab,
nicht als ein Weib von Fleisch und Blut, sondern als ätherisch

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