vergeistigtes Wesen, als menschgewordene Empfindung, er-
scheinen. Und doch spricht aus allen seinen Werken eine
zitternde, nervöse Erregung; wenn er die Lilie als Symbol
der Reinheit malt, läfst er den betäubenden Duft ahnen, den
sie ausströmt. — In noch erhöhtem Mafse gab er sich seinem
mystischen Traumleben im Geiste des Dichters hin, als ihm
das heifsgeliebte Weib in jungen Jahren entrissen worden
war; wie Dante der Beatrice weihte er der frühverstorbenen
Geliebten einen künstlerischen Kultus, der fortan sein ge-
samtes Schaffen beherrschte. — Solchen Vorstellungskreisen
entsprang eine ganze Reihe von Bildern, wie Beata Beatrix,
La Donna della finestra, Dante begegnet Beatrice auf Erden
und in Eden, und endlich der herrliche Traum Dantes in der
Galerie zu Liverpool. Sie alle sind keine eigentlichen Illu-
strationen bestimmter Stellen der Dichtung, sondern Spiegel-
bilder des lyrischen Stimmungsgehaltes derselben, wie ihn
Rossetti empfand. Und das erklärt eben den starken
künstlerischen Eindruck, den sie ausüben; der wahlverwandte
Dichter, in dessen geistiger Welt er lebte, hat seine starke
Subjektivität nicht erdrückt, sondern sie in ihrer Eigenart
gesteigert und gehoben.
Darin liegt ja gerade die ganz eigenartige Bedeutung
Dantes für die bildende Kunst, dafs es wohl Wenige geben
dürfte, die nicht in seinen Werken in besonderer Weise ver-
wandte Saiten berührt fänden, und dies gilt natürlich mehr
noch von der Göttlichen Komödie, die in gewissem Sinne
die Weiterführung und Vollendung der Vita nuova bedeutet.
So allgemein menschlich und noch heute giltig ist der geistige
Kern, der darin enthalten ist, dafs die gröfsten Meister hoher
Phantasiekunst sich immer und immer wieder mit dem
Dichter beschäftigt haben, und gehen wir die Reihe der
Künstler durch, denen Dante Anregung zu ihren Werken
geboten hat, so ist das gröfste an ihm, dafs er jedem sich
selbst zeigte, dafs jeder in ihm sein eigenes Wesen gleichsam
wiederspiegeln konnte. Michelangelo und Cornelius fanden
bei ihm Gedankentiefe und dramatische Kraft; Botticelli —
Holdseligkeit, Anmut und mystische Innigkeit; Signorelli —
Energie und muskelstarke Lebenskraft; Führich fand tiefe
religiöse Inbrunst, Rethel Sinn für historische Gröfse;
Delacroix — rücksichtslose Wahrheit und glühende Farbe
der Schilderung; Dore — ungefesselte Phantastik; Genelli —
Wohllaut der Form. Und wenn wir sehen, wie die Be-
gnadeten unter den Sterblichen, die Künstler, im Wechsel
der Jahrhunderte allezeit von dem „Göttlichen Dichter" ge-
lernt haben, ohne an ihrem Eigensten einzubüfsen, so mufs
er wohl auch uns Anderen noch heutigen Tages mancherlei
zu sagen vermögen, wenn wir nur Ohren haben zu hören.
Der Eine wird geschichtliche oder kulturelle, der Andere
theologische oder philosophische Fragen bei ihm berührt
finden, dieser seine sprachwissenschaftlichen, jener seine
künstlerischen Interessen zu ihm in Beziehung setzen können,
gar manchem endlich wird er ein wohlthätiger Zwang sein,
sich in Dinge zu vertiefen die ihm sonst fremd geblieben
wären. — Einst, zu den Zeiten des königlichen Dante-
forschers Philalethes, haben bedeutende deutsche Männer
die Kenntnis der Werke Dantes in all ihrer Vielseitigkeit zu
fördern gesucht, indem sie sich zu einer Deutschen Dante-
gesellschaft zusammenschlössen und so den Dichter gewisser-
mafsen zum Brennpunkt ihrer eigenen wissenschaftlichen,
litterarischen oder künstlerischen Bestrebungen machten.
Ohne sich aufzulösen, ist diese edle geistige Gemeinschaft in
Vergessenheit geraten; neuerdings aber hat Professor F. X.
Kraus in Freiburg i. B. den Ruf zu ihrer Neubegründung
ergehen lassen und die Gesichtspunkte dargelegt, unter denen
dieselbe, den veränderten Zeitverhältnissen entsprechend,
wünschenswert und durchführbar erscheinen mufs. Nicht
eine Pflanzstätte einseitiger Fachgelehrsamkeit dürfte die
Neue Deutsche Dantegesellschaft werden, sondern ein Mittel-
punkt frischen geistigen Lebens, eine Universitas literarum,
wie sie der grofse Florentiner für seine Zeit in seiner Person
verkörperte. An schönen Aufgaben fehlte es ihr nicht, und
auch nicht an den Kräften, die imstande wären sie wieder-
zuerwecken, zu einer „Vita nuova."
Ludwig Volkmann
LUDWIG VON HOFMANN, ADAM UND EVA (II)
scheinen. Und doch spricht aus allen seinen Werken eine
zitternde, nervöse Erregung; wenn er die Lilie als Symbol
der Reinheit malt, läfst er den betäubenden Duft ahnen, den
sie ausströmt. — In noch erhöhtem Mafse gab er sich seinem
mystischen Traumleben im Geiste des Dichters hin, als ihm
das heifsgeliebte Weib in jungen Jahren entrissen worden
war; wie Dante der Beatrice weihte er der frühverstorbenen
Geliebten einen künstlerischen Kultus, der fortan sein ge-
samtes Schaffen beherrschte. — Solchen Vorstellungskreisen
entsprang eine ganze Reihe von Bildern, wie Beata Beatrix,
La Donna della finestra, Dante begegnet Beatrice auf Erden
und in Eden, und endlich der herrliche Traum Dantes in der
Galerie zu Liverpool. Sie alle sind keine eigentlichen Illu-
strationen bestimmter Stellen der Dichtung, sondern Spiegel-
bilder des lyrischen Stimmungsgehaltes derselben, wie ihn
Rossetti empfand. Und das erklärt eben den starken
künstlerischen Eindruck, den sie ausüben; der wahlverwandte
Dichter, in dessen geistiger Welt er lebte, hat seine starke
Subjektivität nicht erdrückt, sondern sie in ihrer Eigenart
gesteigert und gehoben.
Darin liegt ja gerade die ganz eigenartige Bedeutung
Dantes für die bildende Kunst, dafs es wohl Wenige geben
dürfte, die nicht in seinen Werken in besonderer Weise ver-
wandte Saiten berührt fänden, und dies gilt natürlich mehr
noch von der Göttlichen Komödie, die in gewissem Sinne
die Weiterführung und Vollendung der Vita nuova bedeutet.
So allgemein menschlich und noch heute giltig ist der geistige
Kern, der darin enthalten ist, dafs die gröfsten Meister hoher
Phantasiekunst sich immer und immer wieder mit dem
Dichter beschäftigt haben, und gehen wir die Reihe der
Künstler durch, denen Dante Anregung zu ihren Werken
geboten hat, so ist das gröfste an ihm, dafs er jedem sich
selbst zeigte, dafs jeder in ihm sein eigenes Wesen gleichsam
wiederspiegeln konnte. Michelangelo und Cornelius fanden
bei ihm Gedankentiefe und dramatische Kraft; Botticelli —
Holdseligkeit, Anmut und mystische Innigkeit; Signorelli —
Energie und muskelstarke Lebenskraft; Führich fand tiefe
religiöse Inbrunst, Rethel Sinn für historische Gröfse;
Delacroix — rücksichtslose Wahrheit und glühende Farbe
der Schilderung; Dore — ungefesselte Phantastik; Genelli —
Wohllaut der Form. Und wenn wir sehen, wie die Be-
gnadeten unter den Sterblichen, die Künstler, im Wechsel
der Jahrhunderte allezeit von dem „Göttlichen Dichter" ge-
lernt haben, ohne an ihrem Eigensten einzubüfsen, so mufs
er wohl auch uns Anderen noch heutigen Tages mancherlei
zu sagen vermögen, wenn wir nur Ohren haben zu hören.
Der Eine wird geschichtliche oder kulturelle, der Andere
theologische oder philosophische Fragen bei ihm berührt
finden, dieser seine sprachwissenschaftlichen, jener seine
künstlerischen Interessen zu ihm in Beziehung setzen können,
gar manchem endlich wird er ein wohlthätiger Zwang sein,
sich in Dinge zu vertiefen die ihm sonst fremd geblieben
wären. — Einst, zu den Zeiten des königlichen Dante-
forschers Philalethes, haben bedeutende deutsche Männer
die Kenntnis der Werke Dantes in all ihrer Vielseitigkeit zu
fördern gesucht, indem sie sich zu einer Deutschen Dante-
gesellschaft zusammenschlössen und so den Dichter gewisser-
mafsen zum Brennpunkt ihrer eigenen wissenschaftlichen,
litterarischen oder künstlerischen Bestrebungen machten.
Ohne sich aufzulösen, ist diese edle geistige Gemeinschaft in
Vergessenheit geraten; neuerdings aber hat Professor F. X.
Kraus in Freiburg i. B. den Ruf zu ihrer Neubegründung
ergehen lassen und die Gesichtspunkte dargelegt, unter denen
dieselbe, den veränderten Zeitverhältnissen entsprechend,
wünschenswert und durchführbar erscheinen mufs. Nicht
eine Pflanzstätte einseitiger Fachgelehrsamkeit dürfte die
Neue Deutsche Dantegesellschaft werden, sondern ein Mittel-
punkt frischen geistigen Lebens, eine Universitas literarum,
wie sie der grofse Florentiner für seine Zeit in seiner Person
verkörperte. An schönen Aufgaben fehlte es ihr nicht, und
auch nicht an den Kräften, die imstande wären sie wieder-
zuerwecken, zu einer „Vita nuova."
Ludwig Volkmann
LUDWIG VON HOFMANN, ADAM UND EVA (II)