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gestanden; die bildenden Künste wie das Kunsthandwerk
mufsten dadurch der freien, individuellen Entwicklung ent-
behren und einen von der Kunst der früheren Zeit mehr oder
weniger abhängigen Charakter erhalten. Seit der Nach-
ahmung der Antike, wie sie mit dem Empire begann, hat
unser Jahrhundert alle Phasen von der Gotik bis zum Stil
Ludwigs XVI. und der Japaner durchgelebt, und zwar nicht
in freier Renaissance, sondern nur zu oft in unverstandener
Nachahmung, bis sie sich am Schlüsse zum Protest gegen
alle Vorbilder aufgerafft hat, und fast gewaltsam in eigenen
Bahnen zu einem anderen Stil sich durchzuringen strebt.
Auch die bescheidene Rahmenkunst, auf die die Malerei zur
Zeit der neuklassischen Richtung mit Verachtung herab-
blickte, sucht jetzt, nachdem sie durch alle Stadien des Verfalles
und der Nachahmung hindurchgegangen ist, wieder selbst-
ständig zu werden, indem die Maler die Schnitzarbeit,
Bemalung und Vergoldung überwachen oder selbst aus-
führen. Dadurch liegt freilich die Gefahr nahe, dafs der

Rahmen zur Fortsetzung statt zum Abschlufs des Bildes wird
und den Uebergang zur Wand nicht zu vermitteln vermag.
Eine Reihe unserer Modernsten lieben es, im Rahmen, den sie
häufig ganz bemalen, noch ein Teil von dem auszudrücken,
was sie im Bilde gesagt haben, oder haben sagen wollen: die
Stimmung in der Landschaft, um ein Beispiel zu nennen, durch
allegorische Gestalten und Bezüge noch deutlicher und stärker
zum Ausdruck zu bringen. "Wenn darin auch mancher die
Bedeutung verkennt, die der Rahmen haben soll, so ist
doch schon diese Beschäftigung der Maler mit dem Rahmen
ihrer Bilder ein entschiedener Fortschritt, der in richtige Bahnen
lenken kann. "Wenn einem dieser jungen Künstler auf seinem
"Wege gelegentlich ein schönes altes Bild in seiner ursprüng-
lichen Einrahmung auffallen und ihn zum Nachdenken über
die Absicht des alten Meisters anregen sollte, so mag er sich
diesem Studium und Genufs hingeben ohne Furcht, seiner
Eigenart Schaden zu thun.

"Wilhelm Bode

C 256 B
 
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