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GEORGE MINNE, BRUNNENAUFSATZ
DAS PLASTISCHE ORNAMENT
IE Skulptur konnte von der mächtig auf-
strebenden dekorativen Kunst, die sich
zumal in Belgien äufsert, nicht unberührt
bleiben. In anderen Ländern wird sie
bisher von der neuen Bewegung arg stief-
mütterlich behandelt. Eine Menge Bild-
hauer beschäftigen sich mit ihr, aber ohne
sonderlichen Nutzen; es giebt Kleinskulpturen in unendlicher
Fülle, reizende Sächelchen, die man dekorativ nennt, weil
sie niedlich sind; das was dekorative Skulptur heifst, davon
haben heute nur wenige einen bestimmbaren Begriff.
Und es hat doch mal eine gegeben, damals in der Blüte-
zeit aller Kunst, nach der wir immer sehnsüchtig zurückblicken,
die uns auf neue Zeiten zu hoffen gelehrt hat; in der Gotik
gab es diese Art Bildhauerei und sie war nicht zuletzt das,
was der Norden vor dem blendenden Glänze Italiens voraus
hatte. In ihr hat sich das Germanentum in Stein gehauen,
sie gab den Welschen ein, den gotischen Stil den der Bar-
baren zu nennen; barbarisch mufste sie auf dieses Volk wirken,
an dem bereits der Wurm raffinierter Sonderkunst zu nagen
begann; sie war das Stärkste, was wir in jener starken Zeit
zu geben hatten.
Man hat die Gotik seit bald einem Menschenalter wieder-
belebt, sie ist in den Engländern und auf dem Kontinent po-
pulär geworden; alle Gebiete haben sich über sie hergemacht,
die Musik, die Litteratur, die Architektur, die bildenden
Künste vor Allem. Man hat noch nicht an jenes Gebiet ge-
rührt, von dem diese Betrachtungen ausgehen, — wohl weil
die Kraft dazu mangelte, vielleicht weil man sich schämte,
das schwächliche Aufwärmen, dem man alles andere unter-
warf, auch auf diese keusche, heilige Kunst anzuwenden;
am wahrscheinlichsten, weil diese Kunstgattung überhaupt
nicht mehr existiert.
Der Dornröschenschlaf, den sich die übrigen dekorativen
Künste jetzt langsam aus den Augen reiben, schien für die
Skulptur zum Todesschlummer geworden zu sein. Der Vor-
wurf des Unnützen, den man der abstrakten Kunst macht,
ist nirgends mehr berechtigt als hier, wo eigentlich nur noch
für abstrakte Zwecke zweifelhafter Art gearbeitet wird, die
Lichthöfe der Ausstellungen und den Staatsauftrag. Man
macht Denkmäler, die im schreienden Gegensatz zu unserem
Strafsenleben, zu allen modernen Begriffen stehen und pflanzt
in die verderbte Architektur öffentlicher Paläste beziehungs-
lose Statuen hinein. In der Masse sind wir auch hierin den
Italienern und unsern Ahnen überlegen. Man macht Denk-
mäler in Menge. In dem kleinsten Nest findet man diverse
Symbolisierungen unserer patriotischen Gefühle, in Berlin
sind sie fast mit der Regelmäfsigkeit jener Anstalten verteilt,
die andern weniger erhabenen Bedürfnissen dienen. — Ver-
zwickt ist der Begriff des modernen Denkmals überhaupt,
noch verzwickter, was sich unsere Bildhauer im allgemeinen
darunter vorstellen. Man macht eine Architektur und setzt
eine Figur darauf, das ist gar nicht übel, wenn die Architektur
zu der Skulptur gehört, wenn derselbe Geist, dieselbe Faust
in dem einen wie in dem andern wiederkehrt.
Bei uns ist beides in der Regel zweierlei; auch wenn es
derselbe gemacht hat; entweder die Architektur ist ein Riesen-
bombast, auf dem sich der gefeierte Ausgehauene befindet,
wie der versilberte Zuckerknopf auf einem rechten Baum-
kuchen, oder es ist der grofse Reiter auf der Cigarrenkiste
und dann ist es in der Regel noch schlimmer. Der erste Fall
ist bei weitem der häufigere; er entspringt dem richtigen
Instinkt, dafs die Skulptur, wie sie gang und gäbe ist, nicht
recht ausreicht, dafs man sie verstecken mufs, um den Ein-
druck von Würde zu erzeugen, den man will. Sie ist zu klein
für diese Zwecke, von jener Kleinheit, die um so miserabeler
wird, in je gröfseren Dimensionen sie auftritt. Sie ist vor
allem zu griechisch oder römisch, zu wenig von jener Eigen-
art, die sich dreist sehen lassen darf, die nach grofsen Dimen-
sionen dürstet und in der kleinsten Verkleinerung imponiert.
C 257 I)
33
GEORGE MINNE, BRUNNENAUFSATZ
DAS PLASTISCHE ORNAMENT
IE Skulptur konnte von der mächtig auf-
strebenden dekorativen Kunst, die sich
zumal in Belgien äufsert, nicht unberührt
bleiben. In anderen Ländern wird sie
bisher von der neuen Bewegung arg stief-
mütterlich behandelt. Eine Menge Bild-
hauer beschäftigen sich mit ihr, aber ohne
sonderlichen Nutzen; es giebt Kleinskulpturen in unendlicher
Fülle, reizende Sächelchen, die man dekorativ nennt, weil
sie niedlich sind; das was dekorative Skulptur heifst, davon
haben heute nur wenige einen bestimmbaren Begriff.
Und es hat doch mal eine gegeben, damals in der Blüte-
zeit aller Kunst, nach der wir immer sehnsüchtig zurückblicken,
die uns auf neue Zeiten zu hoffen gelehrt hat; in der Gotik
gab es diese Art Bildhauerei und sie war nicht zuletzt das,
was der Norden vor dem blendenden Glänze Italiens voraus
hatte. In ihr hat sich das Germanentum in Stein gehauen,
sie gab den Welschen ein, den gotischen Stil den der Bar-
baren zu nennen; barbarisch mufste sie auf dieses Volk wirken,
an dem bereits der Wurm raffinierter Sonderkunst zu nagen
begann; sie war das Stärkste, was wir in jener starken Zeit
zu geben hatten.
Man hat die Gotik seit bald einem Menschenalter wieder-
belebt, sie ist in den Engländern und auf dem Kontinent po-
pulär geworden; alle Gebiete haben sich über sie hergemacht,
die Musik, die Litteratur, die Architektur, die bildenden
Künste vor Allem. Man hat noch nicht an jenes Gebiet ge-
rührt, von dem diese Betrachtungen ausgehen, — wohl weil
die Kraft dazu mangelte, vielleicht weil man sich schämte,
das schwächliche Aufwärmen, dem man alles andere unter-
warf, auch auf diese keusche, heilige Kunst anzuwenden;
am wahrscheinlichsten, weil diese Kunstgattung überhaupt
nicht mehr existiert.
Der Dornröschenschlaf, den sich die übrigen dekorativen
Künste jetzt langsam aus den Augen reiben, schien für die
Skulptur zum Todesschlummer geworden zu sein. Der Vor-
wurf des Unnützen, den man der abstrakten Kunst macht,
ist nirgends mehr berechtigt als hier, wo eigentlich nur noch
für abstrakte Zwecke zweifelhafter Art gearbeitet wird, die
Lichthöfe der Ausstellungen und den Staatsauftrag. Man
macht Denkmäler, die im schreienden Gegensatz zu unserem
Strafsenleben, zu allen modernen Begriffen stehen und pflanzt
in die verderbte Architektur öffentlicher Paläste beziehungs-
lose Statuen hinein. In der Masse sind wir auch hierin den
Italienern und unsern Ahnen überlegen. Man macht Denk-
mäler in Menge. In dem kleinsten Nest findet man diverse
Symbolisierungen unserer patriotischen Gefühle, in Berlin
sind sie fast mit der Regelmäfsigkeit jener Anstalten verteilt,
die andern weniger erhabenen Bedürfnissen dienen. — Ver-
zwickt ist der Begriff des modernen Denkmals überhaupt,
noch verzwickter, was sich unsere Bildhauer im allgemeinen
darunter vorstellen. Man macht eine Architektur und setzt
eine Figur darauf, das ist gar nicht übel, wenn die Architektur
zu der Skulptur gehört, wenn derselbe Geist, dieselbe Faust
in dem einen wie in dem andern wiederkehrt.
Bei uns ist beides in der Regel zweierlei; auch wenn es
derselbe gemacht hat; entweder die Architektur ist ein Riesen-
bombast, auf dem sich der gefeierte Ausgehauene befindet,
wie der versilberte Zuckerknopf auf einem rechten Baum-
kuchen, oder es ist der grofse Reiter auf der Cigarrenkiste
und dann ist es in der Regel noch schlimmer. Der erste Fall
ist bei weitem der häufigere; er entspringt dem richtigen
Instinkt, dafs die Skulptur, wie sie gang und gäbe ist, nicht
recht ausreicht, dafs man sie verstecken mufs, um den Ein-
druck von Würde zu erzeugen, den man will. Sie ist zu klein
für diese Zwecke, von jener Kleinheit, die um so miserabeler
wird, in je gröfseren Dimensionen sie auftritt. Sie ist vor
allem zu griechisch oder römisch, zu wenig von jener Eigen-
art, die sich dreist sehen lassen darf, die nach grofsen Dimen-
sionen dürstet und in der kleinsten Verkleinerung imponiert.
C 257 I)
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