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MAX KLIN'GER, LEDARELIEF
KUNST UND PERSOENLICHKEIT
Wie unsern Lesern schon aus der Tagespresse bekannt sein dürfte, hat Richard Dehmel in den Monaten Januar
und Februar eine Reihe Vortragsabende veranstaltet, um den kunstliebenden Kreisen Berlins einen Ueberblick über den
gegenwärtigen Stand der deutschen Verskunst und rhythmischen Prosa durch eine Auswahl möglichst kennzeichnender
Erzeugnisse zu geben, und zwar auf dem Wege der Subskription, damit die landläufigen Uebelstände lyrischer Rezitationen —
zu zahlreiche Hörerschaft und stimmungswidrige Gröfse des Vortragsraumes — vermieden würden. Die 6 Abende fanden
statt in dem Ausstellungssaal der Kunsthandlung Keller Sc Reiner, welcher zu diesem Zwecke wie ein geselliger Wohnraum
mit zwanglos verteilten Sitzgelegenheiten hergerichtet war, und brachten Dichtungen folgender Künstler zur Anhörung:
Nietzsche und Liliencron — Holz und George — Schlaf, Przybyszews ki und Scheerbart — Peter Alten-
berg und Hofmannsthal ■—■ Dauthendey und Mombert — Dehmel. Die ersten 5 Abende wurden eingeleitet
durch Vorträge des Kunstschriftstellers Arthur Moeller-Bruck , die den stilistischen wie ideellen Charakter der re-
zitierten Persönlichkeiten beleuchten und ihre Stellung zu einander wie zur Gesamtheit der modernen Kultur aufzeigen
sollten. Den letzten Abend, dessen Programm ausschliesslich Dichtungen Dehmels enthielt, eröffnete der Dichter selbst
mit einer Ansprache, die wir im Wortlaut hier wiedergeben, weil sie uns auch für weitere Kreise Bedeutung zu haben scheint:
Verehrte
Ich hoffe, Sie werden es meiner Empfindlichkeit oder
Eitelkeit oder sonst einer schlechten Eigenschaft von mir
zugute halten, dafs der heutige Abend nicht wie die früheren
mit einem Vortrag über den Dichter beginnt. Die Künstler
sind ja immer der Meinung, dafs ihre Werke am besten für
sich selber sprechen. Nicht blos am unwiderleglichsten,
sondern sogar am gründlichsten; denn schliefslich sind ja in
dem Gefühl, das durch die Einwirkung eines Kunstwerks —
ob für ob wider — in uns erregt wird, alle Gedanken schon
mitenthalten, die man sich über die Wirkung — für oder
wider, wie gesagt — machen kann. Sie werden es wohl im
Laufe der ersten fünf Abende auch an Sich Selbst erfahren
haben, dafs manche der vorgetragenen Dichtungen Sie durch
den unmittelbaren Eindruck aufs Ohr in wesentlich anderer
Weise bewegten, als Sie nach irgend einer vorgefafsten Ver-
standesmeinung, sei es Ihrer eigenen, sei es vielleicht nur aus
Herrn Moeller-Brucks Einleitungen, erwartet hatten. Das
Gefühl erstreckt sich eben von Natur aufs Ganze, der
Anwesende!
Verstand ist stets an Standpunkte gebunden. — Ich will Sie
deshalb hier auch nicht etwa mit einer zarten Selbstbe-
spiegelung hinters Licht führen; ich will mich nur kurz
über den Hauptgesichtspunkt äufsern, unter dem ich die
Dichtungen, die ich bis jetzt Ihnen vortragen durfte, ausgewählt
und zusammengestellt habe. Auch dies ist freilich schon ein
recht bedenkliches Unterfangen; denn grade Künstler von
eigentümlicherWillenskraft fühlen sich leicht versucht, Andere
nach Mafsgabe ihrer eigenen Wirkungsmittel aufzufassen
und so ein unwillkürlich gefälschtes Sammelbild der fremden
Eigenart als deren Bestes auszugeben. Aber es giebt eine
Kunstwirkung, die meines Erachtens über jeglichen Eindruck
persönlichen Schaffens hinausgeht, die mir überhaupt als
höchste aller Kunstwirkungen erscheint, ja deren Ausübung
mir einen Künstler erst als solchen kennzeichnet, und deren
Mächtigkeit mir bei dem einzelnen Kunstwerk den Grad der
Wertschätzung bestimmt: das ist — ich möchte sagen — das
befreiende Gefühl der Selbstvergessenheit, dasselbe Gefühl,
C 25 J)
MAX KLIN'GER, LEDARELIEF
KUNST UND PERSOENLICHKEIT
Wie unsern Lesern schon aus der Tagespresse bekannt sein dürfte, hat Richard Dehmel in den Monaten Januar
und Februar eine Reihe Vortragsabende veranstaltet, um den kunstliebenden Kreisen Berlins einen Ueberblick über den
gegenwärtigen Stand der deutschen Verskunst und rhythmischen Prosa durch eine Auswahl möglichst kennzeichnender
Erzeugnisse zu geben, und zwar auf dem Wege der Subskription, damit die landläufigen Uebelstände lyrischer Rezitationen —
zu zahlreiche Hörerschaft und stimmungswidrige Gröfse des Vortragsraumes — vermieden würden. Die 6 Abende fanden
statt in dem Ausstellungssaal der Kunsthandlung Keller Sc Reiner, welcher zu diesem Zwecke wie ein geselliger Wohnraum
mit zwanglos verteilten Sitzgelegenheiten hergerichtet war, und brachten Dichtungen folgender Künstler zur Anhörung:
Nietzsche und Liliencron — Holz und George — Schlaf, Przybyszews ki und Scheerbart — Peter Alten-
berg und Hofmannsthal ■—■ Dauthendey und Mombert — Dehmel. Die ersten 5 Abende wurden eingeleitet
durch Vorträge des Kunstschriftstellers Arthur Moeller-Bruck , die den stilistischen wie ideellen Charakter der re-
zitierten Persönlichkeiten beleuchten und ihre Stellung zu einander wie zur Gesamtheit der modernen Kultur aufzeigen
sollten. Den letzten Abend, dessen Programm ausschliesslich Dichtungen Dehmels enthielt, eröffnete der Dichter selbst
mit einer Ansprache, die wir im Wortlaut hier wiedergeben, weil sie uns auch für weitere Kreise Bedeutung zu haben scheint:
Verehrte
Ich hoffe, Sie werden es meiner Empfindlichkeit oder
Eitelkeit oder sonst einer schlechten Eigenschaft von mir
zugute halten, dafs der heutige Abend nicht wie die früheren
mit einem Vortrag über den Dichter beginnt. Die Künstler
sind ja immer der Meinung, dafs ihre Werke am besten für
sich selber sprechen. Nicht blos am unwiderleglichsten,
sondern sogar am gründlichsten; denn schliefslich sind ja in
dem Gefühl, das durch die Einwirkung eines Kunstwerks —
ob für ob wider — in uns erregt wird, alle Gedanken schon
mitenthalten, die man sich über die Wirkung — für oder
wider, wie gesagt — machen kann. Sie werden es wohl im
Laufe der ersten fünf Abende auch an Sich Selbst erfahren
haben, dafs manche der vorgetragenen Dichtungen Sie durch
den unmittelbaren Eindruck aufs Ohr in wesentlich anderer
Weise bewegten, als Sie nach irgend einer vorgefafsten Ver-
standesmeinung, sei es Ihrer eigenen, sei es vielleicht nur aus
Herrn Moeller-Brucks Einleitungen, erwartet hatten. Das
Gefühl erstreckt sich eben von Natur aufs Ganze, der
Anwesende!
Verstand ist stets an Standpunkte gebunden. — Ich will Sie
deshalb hier auch nicht etwa mit einer zarten Selbstbe-
spiegelung hinters Licht führen; ich will mich nur kurz
über den Hauptgesichtspunkt äufsern, unter dem ich die
Dichtungen, die ich bis jetzt Ihnen vortragen durfte, ausgewählt
und zusammengestellt habe. Auch dies ist freilich schon ein
recht bedenkliches Unterfangen; denn grade Künstler von
eigentümlicherWillenskraft fühlen sich leicht versucht, Andere
nach Mafsgabe ihrer eigenen Wirkungsmittel aufzufassen
und so ein unwillkürlich gefälschtes Sammelbild der fremden
Eigenart als deren Bestes auszugeben. Aber es giebt eine
Kunstwirkung, die meines Erachtens über jeglichen Eindruck
persönlichen Schaffens hinausgeht, die mir überhaupt als
höchste aller Kunstwirkungen erscheint, ja deren Ausübung
mir einen Künstler erst als solchen kennzeichnet, und deren
Mächtigkeit mir bei dem einzelnen Kunstwerk den Grad der
Wertschätzung bestimmt: das ist — ich möchte sagen — das
befreiende Gefühl der Selbstvergessenheit, dasselbe Gefühl,
C 25 J)