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Frauen und Männer schlichten Gewandes

in Eintracht mit stolzen Tieren schreiten,

geweihten Hirschen, frei laufenden Pferden,

und rings mit sorglosen Geberden

schaukeln auf den wirbelnden Wogen

Liebespaare, von Schwänen gezogen —

wirklich, dann glaub'ich, so mufs es wol sein

auf Deiner Insel bei Frankfurt am Main,

oder wo sonst Deine Heimat liegt;

denn dafs der Schwarzwald Dich grofsgewiegt,

das ist mir nicht immer gleich im Klaren,

weil dann auf einmal zwischen den Stämmen

meine Heimat liegt, der Wald von Kremmen,

und ich schaue auf Wiesen, worüber sich fern

im Nebel Himmel und Erde paaren,

und suche kindlich den höchsten Stern —

bis mich das Heulen der Hafensirenen
aufstört aus meinem Sinnen und Sehnen.

Und Einmal, ja, da sah ich ihn auch

— noch war in der Luft kein Rufs und Rauch,

die Morgenröte küfste den Flufs

und die kahle Insel schien zu erbeben —

da sah ich ihn, den Genius

Deiner Insel, darüber schweben:

auf einem Wölkchen kam er einher

mit ruhigen Flügeln durchs himmlische Meer,

kaum die kräftigen Schwungfedern spreitend,

auf einer durchsichtigen Kugel gleitend,

drin spiegelte sich die bunte Erde

samt meiner überraschten Geberde:

den Stern, er trug ihn als Blume in Händen,

kein Gewand um die hellen Lenden,

eine Einsicht auf dem Jünglingsgesicht

wie im Traum, im Halbtraum, ich weifs es nicht -

so flog er, ohne sich umzuwenden,

an der fremden Insel vorüber,

aus der Heimat

in die Heimat

hinüber.

E. R. WEISS

c 70 a
 
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