Eigentum des Fran^ois zog sich bis dicht an den
See herunter wie eine Wüste. Ich dachte, wie
nun auch hier die Arbeit wieder beginnen würde.
Ich sagte mir, dafs diese alte vornehme Kultur un-
bewufst in mir gewirkt hätte, dafs ich nur ein
willenloses Werkzeug in ihrem Dienst gewesen sei.
Das gab mir in der reinen Luft, die über den klar-
blauen See herfegte, solche Sicherheit und Ruhe;
dafs ich wie ein Sieger weiter und weiter ging,
durch das Thal von Divonne bis hoch in den
waldigen Jura hinauf. —
Aber wie ich am Abend müde durch den Wein-
berg herunter kam, hörte ich schon von weitem
sprechen und wäre fast wieder zurückgelaufen. Als
ich näher kam, standen Leute aus dem Ort mit
ängstlich vorgesteckten Köpfen und spähten in den
Wallgraben hinunter, wie wenn unten etwas Schreck-
erregendes wäre. Auf einmal fuhren die Köpfe
zurück.
„Sie schiefst!"" hörte ich rufen. Dann sahen
sie mich: „Wo ist der Francois?"
Einer überschrie den andern: Sie hätten sein
Boot gefunden, bei der Zollstation, vollständig zer-
schlagen. Sie wären gekommen, um die Leontine
nach ihm zu fragen. Die hätte sich verbarrikadiert
und wolle auf jeden schiefsen. Ob ich nichts
wüfste?
Ich erriet das mehr aus dem französischen Ge-
schnatter, als ich es verstand. Ich fand auch keine
Antwort, fühlte nur, dafs diese Menschen an mir
herum zerrten und rifs mich los. In dem Augen-
blick kreischte alles auseinander. Ich lief mit,
stolperte aber und fiel über einen Knaben, der
furchtbar zu schreien anfing. Wie ich mich auf-
richten wollte, war die Wahnsinnige da. Ich wollte
sie von mir stofsen. Sie hängte sich an mich wie
ein Affe und jammerte nach ihrem Francois. Die
andern sahen, dafs sie kein Gewehr bei sich hatte
und kamen zurück. Sie wollte in den Ort, wurde
aber festgehalten und die Treppe hinunter geführt.
Sie liefs es geschehen mit tiefen stillen Klagetönen.
Einer holte das Gewehr heraus. Dann sperrten sie
das arme Wesen ein. Ich lief in meine Wohnung
und schlofs die Thür hinter mir zu. Sie wollten
mich wieder heraus haben, ldopften und riefen.
Als sie endlich gingen, war es Nacht. Ich safs in
dem dunklen Zimmer wie in einem Gefängnisturm.
All meine Fröhlichkeit war erschüttert. Ich spürte
jetzt, wie ich trotz dem noch immer auf seine
Rettung gehofft hatte. Nun war er tot. Ich fühlte
nur noch meine Schuld.
Aber das Geräusch der anlaufenden Wellen
kam so gleichmäfsig. Dazu war ich den ganzen Tag
durch den starken Wind gelaufen. So schlief ich end-
lich auf dem Stuhl ein. Mitten in der Nacht wurde
ich wach. Von unten her kam ein Geräusch. Ich
lief ans Fenster, sah nichts als die halbgeöffneten
Läden unter mir. Es blieb auch still. Aber als
ich im Stehen an dem geöffneten Fenster fast schon
wieder einschlief, hörte ich etwas an der Mauer
scharren. Es war seltsam hell, trotzdem der Mond
nicht schien. Ich konnte die ganze Wand unter
mir überblicken. Nur den Schatten unter den halb-
geöffneten Läden nicht. Und gerade daher kam
das Geräusch. Plötzlich sah ich etwas zur Seite
ins Gebüsch huschen. Gleich darauf knarrte das
Gitterthor. Ich glaubte einen Augenblick deutlich
die Irre zu sehen. In einer Minute war ich unten
am Thor. Ganz am Ende der Dorfstrafse sah ich
ihren Schatten an den Häusern herlaufen. Alles
war unendlich still. Ohne zu wissen warum, lief
ich auf den Zehen, wie wenn ich von niemand
gehört werden dürfte. Trotzdem erschreckte mich
dann und wann mein harter Tritt. Die Gestalt
vor mir huschte lautlos. Der ganze Lauf hatte
etwas Traumhaftes an sich. Sie nahm den Weg
zum Hafen. Der Sturm hatte nachgelassen. Aber
die Wellen gingen noch hoch. Mitten in dem Ge-
spritz und Gewehe sprang sie auf die Hafenmauer
und lief nach vorn. Ueber den ganzen Damm hin,
traumhaft, verweht. Und dann am Ende der
Mauer geschah das sonderbare: ich sah deutlich,
wie sie auf den Wellen weiterlief, zwei, drei
Schritte, und dann erst verschwand.
Alles geschah so unwirklich und still gegen den
Lärm des Wassers. „Es ist ja nur ein Traum",
flüsterte ich fortwährend. Dann aber starrte ich in
die leblose Gegend hinter mir. Wie ein langer Tier-
rücken hob sich der schwarze Rand der Weinberge
vor dem hellen Himmel. Nur die Tannen vom
Chäteau ragten hinein. Ich hatte auf einmal die
Vorstellung, dafs die Erde wirklich eine Kugel und
hinter dem schwarzen Rand da oben der unend-
liche Weltraum war. Eine Furcht fafste mich, hin-
einzufallen in den lichten Raum. Und dann
wufste ich auf einmal wieder, dafs soeben in
dem Wasser hinter mir ein Mensch gestorben
war. Ich spürte fröstelnd etwas Kaltes, das vom
See herkam und mein heifses Gesicht umstrich;
wie eine Seele, fühlte ich. Und dann war in der
leeren Nacht ein Ton, keine Worte, nur der harte
Klang einer Rede, die ich trotzdem verstand:
Ich war kein Werkzeug. Wem sollte ich es sein?
Ich war eine Macht in diesen unendlichen Mächten,
C 83 D
u*
See herunter wie eine Wüste. Ich dachte, wie
nun auch hier die Arbeit wieder beginnen würde.
Ich sagte mir, dafs diese alte vornehme Kultur un-
bewufst in mir gewirkt hätte, dafs ich nur ein
willenloses Werkzeug in ihrem Dienst gewesen sei.
Das gab mir in der reinen Luft, die über den klar-
blauen See herfegte, solche Sicherheit und Ruhe;
dafs ich wie ein Sieger weiter und weiter ging,
durch das Thal von Divonne bis hoch in den
waldigen Jura hinauf. —
Aber wie ich am Abend müde durch den Wein-
berg herunter kam, hörte ich schon von weitem
sprechen und wäre fast wieder zurückgelaufen. Als
ich näher kam, standen Leute aus dem Ort mit
ängstlich vorgesteckten Köpfen und spähten in den
Wallgraben hinunter, wie wenn unten etwas Schreck-
erregendes wäre. Auf einmal fuhren die Köpfe
zurück.
„Sie schiefst!"" hörte ich rufen. Dann sahen
sie mich: „Wo ist der Francois?"
Einer überschrie den andern: Sie hätten sein
Boot gefunden, bei der Zollstation, vollständig zer-
schlagen. Sie wären gekommen, um die Leontine
nach ihm zu fragen. Die hätte sich verbarrikadiert
und wolle auf jeden schiefsen. Ob ich nichts
wüfste?
Ich erriet das mehr aus dem französischen Ge-
schnatter, als ich es verstand. Ich fand auch keine
Antwort, fühlte nur, dafs diese Menschen an mir
herum zerrten und rifs mich los. In dem Augen-
blick kreischte alles auseinander. Ich lief mit,
stolperte aber und fiel über einen Knaben, der
furchtbar zu schreien anfing. Wie ich mich auf-
richten wollte, war die Wahnsinnige da. Ich wollte
sie von mir stofsen. Sie hängte sich an mich wie
ein Affe und jammerte nach ihrem Francois. Die
andern sahen, dafs sie kein Gewehr bei sich hatte
und kamen zurück. Sie wollte in den Ort, wurde
aber festgehalten und die Treppe hinunter geführt.
Sie liefs es geschehen mit tiefen stillen Klagetönen.
Einer holte das Gewehr heraus. Dann sperrten sie
das arme Wesen ein. Ich lief in meine Wohnung
und schlofs die Thür hinter mir zu. Sie wollten
mich wieder heraus haben, ldopften und riefen.
Als sie endlich gingen, war es Nacht. Ich safs in
dem dunklen Zimmer wie in einem Gefängnisturm.
All meine Fröhlichkeit war erschüttert. Ich spürte
jetzt, wie ich trotz dem noch immer auf seine
Rettung gehofft hatte. Nun war er tot. Ich fühlte
nur noch meine Schuld.
Aber das Geräusch der anlaufenden Wellen
kam so gleichmäfsig. Dazu war ich den ganzen Tag
durch den starken Wind gelaufen. So schlief ich end-
lich auf dem Stuhl ein. Mitten in der Nacht wurde
ich wach. Von unten her kam ein Geräusch. Ich
lief ans Fenster, sah nichts als die halbgeöffneten
Läden unter mir. Es blieb auch still. Aber als
ich im Stehen an dem geöffneten Fenster fast schon
wieder einschlief, hörte ich etwas an der Mauer
scharren. Es war seltsam hell, trotzdem der Mond
nicht schien. Ich konnte die ganze Wand unter
mir überblicken. Nur den Schatten unter den halb-
geöffneten Läden nicht. Und gerade daher kam
das Geräusch. Plötzlich sah ich etwas zur Seite
ins Gebüsch huschen. Gleich darauf knarrte das
Gitterthor. Ich glaubte einen Augenblick deutlich
die Irre zu sehen. In einer Minute war ich unten
am Thor. Ganz am Ende der Dorfstrafse sah ich
ihren Schatten an den Häusern herlaufen. Alles
war unendlich still. Ohne zu wissen warum, lief
ich auf den Zehen, wie wenn ich von niemand
gehört werden dürfte. Trotzdem erschreckte mich
dann und wann mein harter Tritt. Die Gestalt
vor mir huschte lautlos. Der ganze Lauf hatte
etwas Traumhaftes an sich. Sie nahm den Weg
zum Hafen. Der Sturm hatte nachgelassen. Aber
die Wellen gingen noch hoch. Mitten in dem Ge-
spritz und Gewehe sprang sie auf die Hafenmauer
und lief nach vorn. Ueber den ganzen Damm hin,
traumhaft, verweht. Und dann am Ende der
Mauer geschah das sonderbare: ich sah deutlich,
wie sie auf den Wellen weiterlief, zwei, drei
Schritte, und dann erst verschwand.
Alles geschah so unwirklich und still gegen den
Lärm des Wassers. „Es ist ja nur ein Traum",
flüsterte ich fortwährend. Dann aber starrte ich in
die leblose Gegend hinter mir. Wie ein langer Tier-
rücken hob sich der schwarze Rand der Weinberge
vor dem hellen Himmel. Nur die Tannen vom
Chäteau ragten hinein. Ich hatte auf einmal die
Vorstellung, dafs die Erde wirklich eine Kugel und
hinter dem schwarzen Rand da oben der unend-
liche Weltraum war. Eine Furcht fafste mich, hin-
einzufallen in den lichten Raum. Und dann
wufste ich auf einmal wieder, dafs soeben in
dem Wasser hinter mir ein Mensch gestorben
war. Ich spürte fröstelnd etwas Kaltes, das vom
See herkam und mein heifses Gesicht umstrich;
wie eine Seele, fühlte ich. Und dann war in der
leeren Nacht ein Ton, keine Worte, nur der harte
Klang einer Rede, die ich trotzdem verstand:
Ich war kein Werkzeug. Wem sollte ich es sein?
Ich war eine Macht in diesen unendlichen Mächten,
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