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die freventlich über sich hinausgegangen war, und
die nun zermalmt wurde. Ueber das Wasser her
kam ein Geschofs, das hoch in der Luft zerplatzte
und auf mich niederregnete, immer dichter, bis
ich ganz zugedeckt war.

Am Morgen fand ich mich in meinen Kleidern
auf meinem Bett liegend. Entsetzlich matt. Die
Sonne war strahlend aufgegangen und der See lag
völlig klar. Ich dachte an einen Traum? Aber
ich sah unten die Läden halb offen stehen, wie sie in
der Nacht gewesen waren, auch waren meine Kleider
nafs und beschmutzt. Als ich noch trüb zweifelnd
hinaus starrte, ging einer von den Arbeitern des
Francois mit einem Korb auf den Schultern die
Freitreppe hinunter. Er sah mich, grinste herauf
und sagte: „Sie haben ihn."

„Wen?" schrie ich und war mit einem Schlage
wach.

Er verstand mich nicht, kauderwelschte etwas,
woraus ich nur das Wort „Lordshafen" verstand,
lachte und schleppte seinen Korb weiter. Ich
kannte die Stelle genau. Es war ein kleines ver-
stecktes Wirtshaus da, in dem ich oft mit dem
Francois gesessen hatte, noch eine Viertelstunde
oberhalb der Zollstation. Ich hatte gedacht, ich
würde mich fürchten, seine Leiche zu sehen. Nun
lief ich die ausgedorrte Strafse hinunter wie in
Angst, zu spät anzukommen. Als ich den Hohl-
weg zwischen den Hecken zum See hinabbog,
wunderte ich mich, dafs ich niemand hörte; ich
hatte geglaubt, sein Tod würde den Leuten im
Ort näher gehen. Der weite Grasplatz vor der
Schenke lag still und leer in der Morgensonne.
Ich sah auf einmal meine beschmutzten Kleider
und fühlte mich unsäglich leer und müde. Es war
etwas da, das mich langsamer gehen liefs. Am
ersten Fenster blieb ich stehen, legte die Hand
an die Scheiben und sah hinein. In dem Augen-
blick hörte ich hinter mir furchtbar brüllen. Eine
Hand hieb mir fast die Schulter herunter. Als ich mich
umsah, stand der Francois hinter mir mit rotem
Kopf, lallend vor Betrunkenheit, den grofsen Stroh-
hut zerfetzt im Nacken. Er umarmte mich, schüttelte
mich und hielt mir das Glas an den Mund, schüttete
über, sodafs mir der kalte Wein an der nackten
Brust herunterlief. Ich mufste mich an ihm halten.
Mir wirbelte alles. Er lallte und lachte nur und
schleppte mich hinein. Der alte Wirt, ein ehe-
maliger Schiffer mit Ohrringen, der hier Sommer
und Winter einsam hauste, war auch betrunken. Er
war mir immer wie ein rotes Seetier vorgekommen,
mit Schuppen und Warzen. So safs er auch jetzt

mitten in der Stube auf dem Boden, glotzte mich
von unten an, gluckste und gröhlte. Ich mufste
mich auf die Bank setzen, Glas um Glas trinken
und die Rettungsgeschichte hören. Er war mit
dem umgestürzten Boot angetrieben und hierher
gekrochen. Der Alte hatte gemeint, dafs sie auf
seine wunderbare Rettung trinken müssten. Das
thaten sie nun schon zwei Tage lang. Ich sollte
mit trinken, erst auf das alte Seetier, dann aber auf
seine Leontine. Ich hatte ein furchtbares Gefühl
von dem, was ich ihm sagen mufste. Aber ich
konnte mich auf nichts besinnen. Eine Mattigkeit
war in mir und ein Schwindel. Aus meinen Knieen
kam ein zerrender Schmerz. Alles um mich war
wie verhüllt.

Ich hörte ihn weinen. Er klagte sich an und
wollte nach Hause zurück. Dann waren wir draufsen
und gingen durch den Uferkies. Er war schon
wieder ausgelassen, schrie und tanzte und warf
mit Steinen ins Wasser. Ich zitterte bei jedem
Wurf. Die Sonne lag auf dem glatten See und
blendete. Wir waren noch keine zweihundert
Schritt gegangen, da schwamm etwas Dunkles auf
dem blitzenden Spiegel. Ich hatte darauf gewartet
und wufste gleich, dafs es die Leiche war. Ich
wollte laufen und konnte nicht fort. Dadurch sah
es der Francois auch.

„Haha! Da ist Wassermaus, grofser Wassermaus.
Ich gehe holen Wassermaus!" johlte er und platschte
in den See hinein. Ich wollte ihm nach, schrak
aber zurück.

„Mich will sehen, was da ist!" Er schlug mit
Armen und Beinen in das Wasser, dafs es hoch
um ihn aufspritzte. Als es ihm bis unter die Achseln
ging, war er an der Leiche. Er fafste sie an, war
still, hob sie hoch auf, schrie jauchzend wie ein
Tier und raste damit in den See hinein.

Ich rief um Hilfe und hörte meine Stimme hilf-
los wie aus der Ferne. Das alte Seetier kam an-
gewackelt und schrie auch. Wir liefen beide ins
Wasser, hinter dem Francois her, sahen ihn plötz-
lich die Gestalt hochheben und mit ihr verschwin-
den. Ich stand tief in dem kalten Wasser und wufste
es nicht. Der Alte holte mich heraus. Ich hörte
ihn lallen und war wie das kleinste Kind, weinte
in einem fort. Als ich im Trockenen war, über-
fiel mich ein Frost. Das Ziehen in meinen Knieen
kam so heftig, wie wenn sie auseinander wollten.
Auf einmal sank ich hin wie abgeschnitten in den
Beinen. Das war der Anfang von meinem Typhus,
an dem ich lange Wochen lag und bald gestorben
wäre.

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