geschaffen sind, ein immer helleres und reicheres und volleres
Licht scheinen zu lassen aus der Welt in die "Welt; dafs freie
Bahn gemacht ist für einen freien Willen ; Luft und Licht
und freies Land für der Welt Blühen.
S5$>
Unter den Bildern, die von Richtung und Bewegung der'
Welten-Entwicklung eine sinnliche Vorstellung zu erwecken
suchen ist das treffendste, die auf ansteigender Fläche ruhende
Spirale. Dieses Bild in seiner Anwendung auf unser Menschen-
geschlecht darf nicht vergessen lassen, dafs über eine relativ
so kurze Zeitspanne, wie sie uns in unserer Geschichte vor-
liegt, die steigende Bewegung kaum bemerkbar und in ihrem
Gange für uns relativ Nahestehende kaum zu bestimmen ist.
Andererseits darf die Beobachtung, dafs durch unsere ganze
Geschichte hindurch die Führer der Menschheit auf gleicher
Warte ragen, nicht zu der Gefahr verleiten, von hier aus auf
die Gesamtheit zurückzuschliessen, denn der Stand der Ent-
wicklung dieser Höchsten ist vorläufig für uns unmefsbar
und liegt hoch über unserem Wege. Der Grund, weshalb
die Entwicklung des Ganzen so unendlich verlangsamt er-
scheint gegen die mögliche Entwicklung des Individuums,
liegt darin, dafs der im Individuum souveräne Einzelwille
einen völlig adäquaten Willen in den anderen Individuen
nicht vorfindet, womit die Möglichkeit fehlt, die Gesamtheit
zu einem solchen Gesamt willen zusammenzuschliefsen, der
ihre fernere Entwicklung bewufst leiten könnte. Aber das
souveräne Individuum darf und muss sich zu der Erkenntnis
durchleben, dafs, wo auch immer der Punkt ist, dahin seine
bisherige Entwicklung ihn gestellt hat, es in seine Hand ge-
geben ist, von nun an seine weitere Entwicklung selbst zu
bestimmen, Stein auf Stein zu schichten in stiller, treuer
Arbeit und so die Treppe sich zu bauen, hinauf zu jenen
Höhen, wo Beethoven und Plato sich die Hände reichen.
S$>
Kunst ist das Blühen der Natur im Menschen. Kunst
ist die Sprache der Seele durch den Menschen.
Je mehr ich den Boden bereitet habe, um dem tiefen
Sinn lauschen zu können dieser Natur, deren meine Seele ein
Teil ist und ein Spiegel, um so reinere Erkenntnis werde ich
von dem Jenseits unserer Erscheinungswelt gewinnen, um
so tiefer wird alles werden, was ich lebe und sage und mit-
teile, um so gewaltiger werde ich meine Seele zu einem
neuen auf den Bedingungen ihrer Erscheinungsform ruhenden
Leben, zur Kunst erwecken.
Gewifs sind die Aeufserungen der Seelenkraft so wenig
auf die Bedingungen ihrer heutigen Erscheinungsform be-
schränkt, wie ihre Grenzen endliche sind. Aber dieses Ge-
biet eines Jenseits, diese Regionen einer neuen, weiteren,
ferneren Kunst können wir nur ahnen, nicht begreifen. Sie
scheiden aus der Aesthetik aus, die es nur mit Dingen zu
thun hat, die unseren Sinnen zugänglich sind. Teilweise in
dieses Gebiet hinein, soweit hier nicht mitteilbar, ragt die
höchste Form der Kunst, die Religion; wie sie zu begreifen
ist als vom Individuum selbst erlebt und in die That um-
gesetzt; als der Wille der Erscheinungsform, in dem Willen
der Seele restlos aufzugehen und so die unendliche Einheit
herbeizuführen.
Schrankenlos, wie die Natur, so ist die Kunst; schranken-
los in die Höhe, wie in die Breite. Es wird die Zeit kommen,
da Beethovens Offenbarungen anmuten werden mit den
Empfindungen, die in Beethoven das einfache Ornament
eiaes Urvolkes auslösen mochte; und doch steht jene Offen-
barung Beethovens mit jener Kunst der Zukunft wie mit
jenem Ornament auf gleicher Stufe insoweit, als alle drei
die tiefsten Deutungen sind, die derzeit die Seele ihrem
Leben geben konnte. Und auf gleicher Stufe, aus gleichem
Grunde, steht jede schöpferische That der Seele, steht ein in
allen seinen Teilen harmonisches Leben, eine grosse Freund-
schaft, eine grosse Liebe.
Darum, weil ihre Schranken erst enden mit den Grenzen,
die ihnen für unser Begreifen durch die Erscheinungswelt
gesteckt sind, und weil sie deren ganzen Umfang umfassen,
darum sind die Werte Kunst und Schönheit relativ, wie
Glück und Seligkeit, und können nur dem Menschen blühen,
der sie mit sich im Herzen trägt. Darum wird auch alle die
Schönheit, die wir so zum Leben erweckt haben, immer nur
dann durch die Sinne einer anderen Seele zu dieser selbst
sprechen können, wenn ihrer Entfaltung verwandte Be-
dingungen entwickelt ■wurden. Du kannst Hunderte von
Büchern lesen über Aesthetik und Kunst und Schönheit —
es ist ein Zeichen eines gesunden Sinnes, jede Abhandlung
über Schönheit ungelesen bei Seite zn legen — du kannst
dich ausrüsten mit allen Waffen, die bessere oder schlechtere
Beobachter, als du es bist, für dich geschliffen haben; du
wirst nie einen anderen Mafsstab finden, mit dem du Natur
und Kunst messen kannst, als nur dich selbst. Soweit du
deiner Seele Raum geschaffen hast, soweit wird sie dir die
Natur zur Schönheit deuten; soweit wird das, was anderen
sich zur Schönheit deutete, in dir zu gleichem, neuen Leben
auferstehen. Und weil du selbst es bist, der dir die Werte
bestimmt, darum sollst du auch den vollen Mut haben deiner
Ueberzeugung, sollst deiner Schönheit ein Geniefsender und
ein Apostel sein. Das soll gewifs nicht heifsen, dafs du die
Welt deiner Schönheit gefragt und ungefragt allenthalben
auskramen sollst. Du wirst bald die Klugheit lernen, das
Beste für dich und deine Freunde zu behalten, damit die
Welt nicht mit plumpen Fingern an dem tastet, das dir dein
Heiligtum ist. Aber vor dir selber und vor dem, dem es
ernsthaft um deine Meinung zu thun ist, bekenne dich zu
deiner Ueberzeugung. Dann wird auch die gleiche Erkennt-
nis, die dich zur vollen Wertung deiner Schönheit leitet, die
Achtung gegen die Schönheit anderer in dir wecken; und
wird dich lehren, dafs die Kunst vielzählig ist, wie die
Menschen und dafs du deinem Nachbar das gleiche Anrecht
lassen sollst auf seine Kunstwelt, das du für die deine in
Anspruch nimmst. Es ist ein Zeichen für die Verwirrung,
die die Schönheits-Aesthetiker angerichtet haben, dafs die
Klage: „ach, ich verstehe ja nichts von Kunst" auf allen
Gassen liegt. Aber nein! es ist ja nicht wahr. Sieh dich
doch um. Und wenn ein Anblick der Natur dir das Herz
weitet, wenn dir ein Buch ein inneres Erlebnis wiedergiebt,
wenn du in einem Bilde, einer Harmonie die Empfindung
findest, die die Natur dir geben konnte, dann hast du deine
Kunst, dann halte sie doch fest und bekenne dich dazu und
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Licht scheinen zu lassen aus der Welt in die "Welt; dafs freie
Bahn gemacht ist für einen freien Willen ; Luft und Licht
und freies Land für der Welt Blühen.
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Unter den Bildern, die von Richtung und Bewegung der'
Welten-Entwicklung eine sinnliche Vorstellung zu erwecken
suchen ist das treffendste, die auf ansteigender Fläche ruhende
Spirale. Dieses Bild in seiner Anwendung auf unser Menschen-
geschlecht darf nicht vergessen lassen, dafs über eine relativ
so kurze Zeitspanne, wie sie uns in unserer Geschichte vor-
liegt, die steigende Bewegung kaum bemerkbar und in ihrem
Gange für uns relativ Nahestehende kaum zu bestimmen ist.
Andererseits darf die Beobachtung, dafs durch unsere ganze
Geschichte hindurch die Führer der Menschheit auf gleicher
Warte ragen, nicht zu der Gefahr verleiten, von hier aus auf
die Gesamtheit zurückzuschliessen, denn der Stand der Ent-
wicklung dieser Höchsten ist vorläufig für uns unmefsbar
und liegt hoch über unserem Wege. Der Grund, weshalb
die Entwicklung des Ganzen so unendlich verlangsamt er-
scheint gegen die mögliche Entwicklung des Individuums,
liegt darin, dafs der im Individuum souveräne Einzelwille
einen völlig adäquaten Willen in den anderen Individuen
nicht vorfindet, womit die Möglichkeit fehlt, die Gesamtheit
zu einem solchen Gesamt willen zusammenzuschliefsen, der
ihre fernere Entwicklung bewufst leiten könnte. Aber das
souveräne Individuum darf und muss sich zu der Erkenntnis
durchleben, dafs, wo auch immer der Punkt ist, dahin seine
bisherige Entwicklung ihn gestellt hat, es in seine Hand ge-
geben ist, von nun an seine weitere Entwicklung selbst zu
bestimmen, Stein auf Stein zu schichten in stiller, treuer
Arbeit und so die Treppe sich zu bauen, hinauf zu jenen
Höhen, wo Beethoven und Plato sich die Hände reichen.
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Kunst ist das Blühen der Natur im Menschen. Kunst
ist die Sprache der Seele durch den Menschen.
Je mehr ich den Boden bereitet habe, um dem tiefen
Sinn lauschen zu können dieser Natur, deren meine Seele ein
Teil ist und ein Spiegel, um so reinere Erkenntnis werde ich
von dem Jenseits unserer Erscheinungswelt gewinnen, um
so tiefer wird alles werden, was ich lebe und sage und mit-
teile, um so gewaltiger werde ich meine Seele zu einem
neuen auf den Bedingungen ihrer Erscheinungsform ruhenden
Leben, zur Kunst erwecken.
Gewifs sind die Aeufserungen der Seelenkraft so wenig
auf die Bedingungen ihrer heutigen Erscheinungsform be-
schränkt, wie ihre Grenzen endliche sind. Aber dieses Ge-
biet eines Jenseits, diese Regionen einer neuen, weiteren,
ferneren Kunst können wir nur ahnen, nicht begreifen. Sie
scheiden aus der Aesthetik aus, die es nur mit Dingen zu
thun hat, die unseren Sinnen zugänglich sind. Teilweise in
dieses Gebiet hinein, soweit hier nicht mitteilbar, ragt die
höchste Form der Kunst, die Religion; wie sie zu begreifen
ist als vom Individuum selbst erlebt und in die That um-
gesetzt; als der Wille der Erscheinungsform, in dem Willen
der Seele restlos aufzugehen und so die unendliche Einheit
herbeizuführen.
Schrankenlos, wie die Natur, so ist die Kunst; schranken-
los in die Höhe, wie in die Breite. Es wird die Zeit kommen,
da Beethovens Offenbarungen anmuten werden mit den
Empfindungen, die in Beethoven das einfache Ornament
eiaes Urvolkes auslösen mochte; und doch steht jene Offen-
barung Beethovens mit jener Kunst der Zukunft wie mit
jenem Ornament auf gleicher Stufe insoweit, als alle drei
die tiefsten Deutungen sind, die derzeit die Seele ihrem
Leben geben konnte. Und auf gleicher Stufe, aus gleichem
Grunde, steht jede schöpferische That der Seele, steht ein in
allen seinen Teilen harmonisches Leben, eine grosse Freund-
schaft, eine grosse Liebe.
Darum, weil ihre Schranken erst enden mit den Grenzen,
die ihnen für unser Begreifen durch die Erscheinungswelt
gesteckt sind, und weil sie deren ganzen Umfang umfassen,
darum sind die Werte Kunst und Schönheit relativ, wie
Glück und Seligkeit, und können nur dem Menschen blühen,
der sie mit sich im Herzen trägt. Darum wird auch alle die
Schönheit, die wir so zum Leben erweckt haben, immer nur
dann durch die Sinne einer anderen Seele zu dieser selbst
sprechen können, wenn ihrer Entfaltung verwandte Be-
dingungen entwickelt ■wurden. Du kannst Hunderte von
Büchern lesen über Aesthetik und Kunst und Schönheit —
es ist ein Zeichen eines gesunden Sinnes, jede Abhandlung
über Schönheit ungelesen bei Seite zn legen — du kannst
dich ausrüsten mit allen Waffen, die bessere oder schlechtere
Beobachter, als du es bist, für dich geschliffen haben; du
wirst nie einen anderen Mafsstab finden, mit dem du Natur
und Kunst messen kannst, als nur dich selbst. Soweit du
deiner Seele Raum geschaffen hast, soweit wird sie dir die
Natur zur Schönheit deuten; soweit wird das, was anderen
sich zur Schönheit deutete, in dir zu gleichem, neuen Leben
auferstehen. Und weil du selbst es bist, der dir die Werte
bestimmt, darum sollst du auch den vollen Mut haben deiner
Ueberzeugung, sollst deiner Schönheit ein Geniefsender und
ein Apostel sein. Das soll gewifs nicht heifsen, dafs du die
Welt deiner Schönheit gefragt und ungefragt allenthalben
auskramen sollst. Du wirst bald die Klugheit lernen, das
Beste für dich und deine Freunde zu behalten, damit die
Welt nicht mit plumpen Fingern an dem tastet, das dir dein
Heiligtum ist. Aber vor dir selber und vor dem, dem es
ernsthaft um deine Meinung zu thun ist, bekenne dich zu
deiner Ueberzeugung. Dann wird auch die gleiche Erkennt-
nis, die dich zur vollen Wertung deiner Schönheit leitet, die
Achtung gegen die Schönheit anderer in dir wecken; und
wird dich lehren, dafs die Kunst vielzählig ist, wie die
Menschen und dafs du deinem Nachbar das gleiche Anrecht
lassen sollst auf seine Kunstwelt, das du für die deine in
Anspruch nimmst. Es ist ein Zeichen für die Verwirrung,
die die Schönheits-Aesthetiker angerichtet haben, dafs die
Klage: „ach, ich verstehe ja nichts von Kunst" auf allen
Gassen liegt. Aber nein! es ist ja nicht wahr. Sieh dich
doch um. Und wenn ein Anblick der Natur dir das Herz
weitet, wenn dir ein Buch ein inneres Erlebnis wiedergiebt,
wenn du in einem Bilde, einer Harmonie die Empfindung
findest, die die Natur dir geben konnte, dann hast du deine
Kunst, dann halte sie doch fest und bekenne dich dazu und
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