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Pan <Berlin> — 5.1899-1900 (Heft III und IV)

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https://doi.org/10.11588/diglit.3165#0146
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näher einzugehen, die Gründe aus denen sie hervorgegangen
sind, die Berechtigung die sie haben und die Aussichten, die
sich für die weitere Entwicklung bieten, uns klar zu machen,
lohnt, wie ich glaube, der Mühe. Ist doch diese moderne
Bewegung, namentlich wie sie bei uns in Deutschland auf-
tritt, so überraschend, sie bricht anscheinend so völlig mit
der Tradition und bietet in ihrer Erscheinung etwas so ganz
Neues, dafs es schwer hält, für die Werke dieser Kunst in
unserer bisherigen Art der Kunstbetrachtung den richtigen
Mafsstab zu finden. Bereitet sich in der That etwas ganz
Neues vor? liegt in der modernsten Kunst der Keim zur Ent-
wicklung eines ganz neuen Stils, der unsere Kunstanschauung
ändern wird? oder hat auch sie in der vorausgehenden Zeit
ihre Quellen, und darf sie daher mit dem gewöhnlichen Mafs-
stab, wie wir ihn aus der Kunstentwicklung der Jahrtausende
gewonnen haben, gemessen werden?

Die mafsgebende Kunst im neunzehnten Jahrhundert war
die Malerei; in ihr gipfelt das künstlerische Streben der Zeit,
in ihr hat sie ihr Bestes geleistet. Was diese Zeit Neues und
Bleibendes in der bildenden Kunst gebracht hat, liegt im
Wesentlichen im Gebiete der Malerei. Es ist das einer der
Gründe, und zwar nicht der unwesentlichste, weshalb die
Kunst dieses Jahrhunderts keinen Stil ausgebildet hat; sehen
wir doch auch in Holland während des siebzehnten Jahr-
hunderts bei einem ähnlichen Vorherrschen der Malerei und
des Malerischen die stark zurücktretende Plastik und Archi-
tektur den Stil der Nachbarländer einfach übernehmen, wenn
auch mit einer starken malerischen Beimischung. Die Ent-
wicklung der Malerei im neunzehnten Jahrhundert liegt jetzt
klar vor uns, ihre Charakteristik zu geben sind wir ebenso gut
im Stande wie die einer weit zurückliegenden Kunstepoche,
wenn auch das Urteil über ihren Wert noch ein vielfach
verschiedenes ist, da die Vertreter verschiedener Kunst-
richtungen in das neue Jahrhundert hineinragen, die jeder
ihren Kreis von Verehrern haben. Doch niemand wird heute
noch leugnen, dafs diese Entwicklung im Grofsen und Ganzen
sich in Frankreich und unter der Führung von Frankreich
abgespielt hat, dafs die moderne Malerei von hier aus-
gegangen ist, dafs sie hier ihre bedeutendste Richtung und
Erscheinung gehabt und bis zum Schlufs sich stetig und
führend fortentwickelt hat, -wenn auch in anderen Ländern
die Malerei einen mehr oder weniger eigenartigen Charakter
zeigt und selbst vorübergehend einmal einen gewissen Ein-
flufs auf die französische Malerei ausgeübt hat. Charakteristisch
ist für die neuere französische Malerei von vornherein ein
ausgesprochen eigenartiger, moderner und nationaler Charakter.
Schon in David ist der Einflufs der Antike doch mehr ein
äufserlicher, der seine schlichten individuellen Bildnisse wenig
beeinflufst; durch Greuze und Prudhon rettete die Mal-
technik noch einen Rest der alten Tradition in die neue Zeit
hinüber. In Gros und namentlich in Ge'ricault und Ingres
erhält die junge Kunst ihre eigene bedeutende Formen-
behandlung; durch Eugene Delacroix wird sie eine völlig
malerische, auch in der Komposition und Behandlung; unter
Vorgang einiger englischer Maler, namentlich durch Constable,
entwickelt sich um die Mitte des Jahrhunderts jene eigen-
tümliche Stimmungsmalerei in der Landschaft, die in Corot,
Rousseau, Troyon und namentlich J. Fr. Millet ihre Blüte
erreicht, gelegentlich ganz naiv und frei von jeder Nach-
ahmung älterer Meister. Gegenüber dem Bestreben dieser

Künstler, im Ton den Charakter der Tageszeit und der Be-
leuchtung zum Ausdruck zu bringen, haben die modernsten
französischen Landschafter sich der Natur noch mehr zu nähern
geglaubt, indem sie die Farben nicht mischen, sondern sie un-
gebrochen nebeneinander stellen und in ihrer Gesamtwirkung
den Eindruck der Natur wiederzugeben suchen. Sie sehen die
Landschaft daher ganz sonnig und farbig; die Formen werden
durch die Strahlenbrechung aufgelöst und flimmern un-
bestimmt im Licht, die Behandlung ist eine mosaikartige,
skizzenhafte, die die Betrachtung aus einer gröfseren Ent-
fernung notwendig macht. Durch die hervorragende Rolle,
die die Landschaft in der modernen Malerei spielt, und in-
folge unseres Bedürfnisses, alles von Luft umgeben zu denken,
hat sich diese Auffassung und Darstellungsweise auch bei
anderen Motiven, sogar in der Bildnismalerei eingebürgert.
Die wie im Nebel gespensterhaft erscheinenden Porträt-
gestalten eines Carriere, die beim grellem Schein des Kamin-
lichts oder der Lampe gemalten Bildnisse eines Besnard, eines
der talentvollsten aber willkürlichsten unter den modernen
Franzosen, sind jedenfalls Absonderlichkeiten, die keine Be-
rechtigung haben, da sie die Anforderungen des Porträts
teilweise stark beeinträchtigen.

Diese Richtung der Malerei hat aber überhaupt den
Nachteil, dafs sie die Zeichnung, die Form sehr vernachlässigt,
indem sie dieselbe nur ganz unbestimmt in dem flimmernden
Licht zur Erscheinung bringt; ist ja die Auflösung der Form
im Licht recht eigentlich die Aufgabe, die sich die „Pointilleurs"
in der Malerei stellen. Doch hat sie in der Malerei, wenn
■wir auch noch nicht beurteilen können, wie weit sie etwas
bleibend Bedeutendes leisten wird, ihre Berechtigung, da
sie mit rein malerischen Mitteln arbeitet. Wenn wir aber
die Plastik jetzt vielfach Aehnliches anstreben sehen, so ist
diese Richtung hier gewifs eine verfehlte, da die Gesetze der
Plastik andere sind -wie die der Malerei und von dieser nicht
ungestraft vergewaltigt werden. Wenn die modernsten Bild-
hauer ihre Büsten, ihre Statuen, gleichgültig ob in Marmor
oder Bronze, behandeln, als ob sie flüchtige Skizzen in Thon
wären, so versündigen sie sich in gröbster Weise gegen das
Material; wenn sie den Marmor nur anlegen, als ob man
die Gestalt oder Büste in der Ferne, von Licht umflossen vor
sich sähe, wenn sie die Bronze rauh und pockennarbig er-
scheinen lassen, als ob sie Eisenschlacken wäre, so vergessen
sie, dafs der Reiz der Marmorarbeit in der Politur und im
warmen Ton liegt, die sie dem lebenden Körper nahe bringen,
dafs der Glanz der Patina bei der Bronze wieder andere Lebens-
erscheinungen besonders reizvoll wiedergiebt.

Im Gegensatze gegen jene motiv- und formlose Malerei
der modernsten farbigen Naturalisten ist die Richtung der
„Stilisten" und '„Symbolisten" grofs geworden, die in der
strengen Form, in der Komposition und im Gedanken ihr vor-
nehmstes Ziel sucht. Weit weniger noch als jene Naturalisten
haben diese den Vorzug der Frische und Naivetät; sie leiden
vielmehr an Gesuchtheit und Unverständlichkeit, an jeder
Abwesenheit eines wirklichen Stils. Hier sucht jeder seine
eigenen phantastischen Ideen zum Ausdruck zu bringen; je
absonderlicher sie sind, um so origineller glaubt er zu sein.
Jeder möchte einen Stil für sich, seinen Privatstil erfinden,
während doch der Stil grade das ungesuchte Ergebnis der
ganzen künstlerischen Volksanschauung einer bestimmten
Zeit ist. Sehen wir doch, wie heute ein und derselbe Künstler

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