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Panofsky, Erwin
Die Sixtinische Decke — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 8: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.61283#0007
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Die malerische Ausschmückung eines Deckengewölbes
hat nichts Problematisches für eine Kunst, die un-
perspektivisch und atektonisch denkt, d. h. die Decke so
behandeln kann, als ob sie weder hoch zu unsern Häup-
ten sich befände, noch auch den Gesetzen von Schwere
und Spannung, Schub und Widerstand unterworfen
wäre. Anders dagegen, wenn die Kunst gewöhnt ist,
die Darstellung der Menschen und Dinge auf einen
bestimmten Augenpunkt zu beziehen und in die Ar-
chitekturgebilde ein Spiel lebendiger Kräfte und Stre-
bungen einzufühlen. Dann steht der Deckenmaler vor
einer doppelten Alternative: zum einen muß er sich
entscheiden, ob die perspektivische Konstruktion des
Gemäldes sich nach dem (realen) Standpunkt des Be-
schauers zu richten habe, oder ob umgekehrt der
(ideelle) Standpunkt des Beschauers durch die perspek-
tivische Konstruktion des Gemäldes bestimmt werden
soll, — zum andern hat er zu wählen zwischen der
Möglichkeit, die der Mauermasse immanenten Kräfte
zu bejahen, d. h. sich zum Ausdeuter der gegebenen
Architektur zu machen, oder umgekehrt sie zu ver-
neinen, d. h. sich zum Herrscher über die gegebene
Architektur aufzuwerfen. Es ist leicht einzusehen,
daß diese beiden Fragen nicht unabhängig voneinander
entschieden werden können, daß vielmehr die negative
Beantwortung der einen die positive Beantwortung
der andern bedingt: wenn die Verneinung der Decke
auf Seiten des Beschauers eine Illusionsbereitschaft
voraussetzt, die nur durch Berücksichtigung seines sub-
jektiven Standpunktes erzeugt werden kann, so wird
umgekehrt die Bejahung derselben, als einer objektiven
Gegebenheit, eine solche Rücksichtnahme notwendig
ausschließen. So hat die italienische Renaissance zwei
ganz verschiedene Systeme der Deckenmalerei ent-
wickelt: ein dekorativ-tektonisches (wobei das
Quattrocento den Nachdruck mehr auf das Dekorative,

B.D.K.S

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