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Panofsky, Erwin; Michelangelo; Michelangelo [Editor]
Handzeichnungen Michelangelos — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 34: Leipzig: Verlag von E. A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.50964#0029
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solchen Blatte aus begreiflich, daß dem Künstler nun-
mehr der weichere und durch die bloße Verstärkung
oder Abschwächung des Druckes nuancierbare Strich
der „matita“ als ein geeigneteres Ausdrucksmittel er-
schien, denn der dünne und relativ gleichförmige Duktus
der Feder; allein wie die Gleichheit des Materials sti-
listische Differenzen zuläßt, so schließt die Verschieden-
heit des Materials nicht ohne weiteres stilistische Ana-
logien aus: auch die Kohle- und Rötelzeichnungen ver-
einigen zunächst eine weiche, manchmal wie gewischte
Innenmodellierung, die immer noch durch Kreuzlagen
bewirkt wird, mit straff geführtem Linearkontur, so
daß selbst die Intervalle zwischen Körper und Körper,
Gliedern und Rumpf als gleichsam ornamental umrissene
Formen stehen bleiben — auch sie erscheinen oft
partiell vollkommen durchgeführt, während sie in an-
deren Teilen nicht über den Umriß hinausgebracht sind
(Abb. 16).
Erst um die Wende der dreißiger Jahre, als alle Kon-
flikte an Schärfe verlieren, verschwindet auch der Gegen-
satz von Innenzeichnung und Kontur: der Umriß er-
weicht sich, indem der Stift die Formen nicht mehr
durch einfache starke Linien umrandet, sondern mit
zarteren und vielfach wiederholten Strichen umspielt —
er erweicht sich so sehr, daß die anfänglich nackte Figur
ex post mit Gewandung umgeben werden kann, ohne
daß die ursprünglichen Grenzen dem Auge sofort er-
kennbar würden (Abb. 19).
Allein auch in dieser Wandlung dokumentiert sich
nur eine veränderte Auffassung vom Wesen der Körper
als solcher, nicht eine veränderte Auffassung vom Ver-
hältnis der Körper zum Raum: die Formen werden
„weich“, nicht weil das Licht des Freiraums sie zer-
setzen würde, sondern weil sie von sich aus einem
neuen Bildungsgesetz unterworfen sind — auch der
gelockerte Kontur bewahrt seine Kontinuität,

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