30 Äussere Einflüsse auf BafaeVs Kunst.
sich von der Mauer herablassende Jüngling', die Zeichnung
höchst naturgetreu, charakteristisch und fein ist, während in
der Ausführung im Frescogemälde, wobei er nach des Michel
Angelo Weise eine grössere Mächtigkeit und Fülle der For-
men erstreble, er die Naivetät und Grazie der Zeichnung
verlor, und dagegen ins Schwerfällige verfiel. Er erreichte
darin eben sowenig die dem Genius des Michel Angelo eigen-
tümliche Grossartigkeit, noch besass er in gleichem Masse
dessen ans Unglaubliche grenzende, bis in die kleinste Fi-
ber gehende anatomische Kenutniss des Körpers, welche
zusammen gerade die Eigenschaften waren, welche von jeher
die höchste Bewunderung für ihn erregt haben.
Dass Rafael in seinem ersten Versuch, den Michel An-
gelo in der Grossartigkeit der Couception zu erreichen, ge-
scheitert sei, indem er die Malerei des Propheten Jesajas im
Jahre 1512 ausgeführt, müssen wir zugeben. Dagegen sehen
wir ihn bald darauf, wieder zu sich selbst zurückgekehrt,
Werke hervorbringen, wie die Vision des Ezechiel, jetzt im
Palast Pitti, welche, selbst in ganz kleinem Raum, ein Bild
von nicht minderer Erhabenheit gibt, als die bewundertsten
der kolossalen Malereien des Buouarotli.
Diese neue Richtung bei Rafael wurde von den Zeit-
genossen auch sogleich bemerkt, wie dieses aus einem Briel
des Sebastian del Piombo an Michel Angelo vom 15. Octoher
1512 erhellt, worin er den Papst Julius IL in einer ihm er-
theilten Audienz sagen lässt: „Betrachte die Werke Rafael's,
welcher, sobald er die des Michel Angelo gesehen, die Ma-
nier des Perugino verliess und sich, so viel er konnte, der
des Michel Angelo anschloss1)."
Als Beweise, welchen tiefen Eindruck die Malereien des
Michel Angelo auf Rafael gemacht, glaubte man ein paar
Zeichnungen anführen zu dürfen, welche Letzterer nach zwei
Frescobildern in der Sixlinischen Kapelle gemacht habe, näm-
lich die Zeichnung nach dem Sündenfall, ehedem in der
Sammlung des Sir Thomas Lawrence, und die nach der eher-
nen Schlange bei dem Grafen Leicester in Holkham; allein
1) Gaye, Carteggio etc., II, p. 489.
sich von der Mauer herablassende Jüngling', die Zeichnung
höchst naturgetreu, charakteristisch und fein ist, während in
der Ausführung im Frescogemälde, wobei er nach des Michel
Angelo Weise eine grössere Mächtigkeit und Fülle der For-
men erstreble, er die Naivetät und Grazie der Zeichnung
verlor, und dagegen ins Schwerfällige verfiel. Er erreichte
darin eben sowenig die dem Genius des Michel Angelo eigen-
tümliche Grossartigkeit, noch besass er in gleichem Masse
dessen ans Unglaubliche grenzende, bis in die kleinste Fi-
ber gehende anatomische Kenutniss des Körpers, welche
zusammen gerade die Eigenschaften waren, welche von jeher
die höchste Bewunderung für ihn erregt haben.
Dass Rafael in seinem ersten Versuch, den Michel An-
gelo in der Grossartigkeit der Couception zu erreichen, ge-
scheitert sei, indem er die Malerei des Propheten Jesajas im
Jahre 1512 ausgeführt, müssen wir zugeben. Dagegen sehen
wir ihn bald darauf, wieder zu sich selbst zurückgekehrt,
Werke hervorbringen, wie die Vision des Ezechiel, jetzt im
Palast Pitti, welche, selbst in ganz kleinem Raum, ein Bild
von nicht minderer Erhabenheit gibt, als die bewundertsten
der kolossalen Malereien des Buouarotli.
Diese neue Richtung bei Rafael wurde von den Zeit-
genossen auch sogleich bemerkt, wie dieses aus einem Briel
des Sebastian del Piombo an Michel Angelo vom 15. Octoher
1512 erhellt, worin er den Papst Julius IL in einer ihm er-
theilten Audienz sagen lässt: „Betrachte die Werke Rafael's,
welcher, sobald er die des Michel Angelo gesehen, die Ma-
nier des Perugino verliess und sich, so viel er konnte, der
des Michel Angelo anschloss1)."
Als Beweise, welchen tiefen Eindruck die Malereien des
Michel Angelo auf Rafael gemacht, glaubte man ein paar
Zeichnungen anführen zu dürfen, welche Letzterer nach zwei
Frescobildern in der Sixlinischen Kapelle gemacht habe, näm-
lich die Zeichnung nach dem Sündenfall, ehedem in der
Sammlung des Sir Thomas Lawrence, und die nach der eher-
nen Schlange bei dem Grafen Leicester in Holkham; allein
1) Gaye, Carteggio etc., II, p. 489.