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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0034
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30 Wilhelm Specht

trübt statt klärt und mir zugleich für meine therapeutischen Maß-
nahmen die Hände bindet. Dieser Rekurs auf das Gehirn ist ebenso
ungereimt, als wenn ich die Tatsache, daß ich yon jemand eine
Arbeit dadurch erreiche, daß ich ihm dafür eine Belohnung in Aus-
sicht stelle, anders als psychologisch erklären wollte, wenn ich den
Wunsch, eine Belohnung zu erhalten, zunächst auf das Gehirn ein-
wirken und dieses zurück auf das psychische Verhalten des Arbeiten-
den wirken lassen wollte.

Also — in den Beispielen des Kopfsturzes, der Schußverletzung,
der Alkoholvergiftung haben wir es mit psychischen Veränderungen
zu tun, für die Gehirnveränderungen verantwortlich zu machen sind,
in dem Beispiel der traumatischen Neurose und ihrer Abhängigkeit
von der Unfallgesetzgebung mit einer psychischen Krankheit, für
die psychische Ursachen greifbar sind. Die Frage nach den letzten
realen Beziehungen von Gehirn und Seelenleben scheidet in beiden
Fällen aus. Gewiß, die Frage kann aufgeworfen werden, wie denn,
d. h. wie weit und in welchem Sinne Zerstörung des Gehirns Psychi-
sches verändern oder vernichten kann, ob es wirklich vernichtet
werde oder ob ihm mit der Zerstörung des Gehirns nur die Mög-
lichkeit genommen werde, in Erscheinung zu treten. Und selbst
da, wo bei Lebzeiten des Kranken weitgreifende psychische Ver-
änderungen konstatiert werden können, auch da ist die Frage zu-
lässig, was von dem Seelischen einer Zerstörung zugänglich ist.
Ist es der naturhafte seelische Mechanismus, der naturhafte Charak-
ter des Menschen, der den Einflüssen der Vererbung, Erziehung, der
Gesellschaft unterliegt, der durch die Krankheit zerstört werden
kann, oder gilt das auch für die intime Persönlichkeit selbst, jenen
Rest, der zurückbleibt, wenn wir alles, was Natur und Gesellschaft
an dem einzelnen zu wirken vermag, aus ihm ausscheiden, jene
intime Persönlichkeit, die keiner Naturgesetzgebung untersteht und
die keiner irgendwie mechanistischen Psychologie zugängig ist?
Auch die Antwort auf diese Frage macht sich, wie es uns scheinen
will, die Psychiatrie zu leicht, wenn sie einfach behauptet, daß Para-
lyse oder chronischer Alkoholismus auch diese Persönlichkeit zu
zerstören vermag. Der Psychiater wird zugeben, daß der sittliche
Zerfall, den chronischer Alkoholismus bewirken kann, in dem Bilde
des Professor Crampton glänzend gezeichnet ist. Aber ist es nicht
 
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