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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Erstes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0070
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66 Hugo Münsterberg, Psychologie und Pathologie.

stellen, wenn der Psychologe heute bereits ebenso ohne Rücksicht
auf Philosophie an die Arbeit gehen will, wie es der Astronom oder
der Botaniker sich erlauben kann. Zeigt aber die Entwicklung der
letzten Jahre, daß diese wichtigste Forderung selbst beim Normal-
psychologen so häufig außer acht gelassen wird und die Psychologie
dadurch so häufig in Sackgassen geführt und zu unfruchtbaren Frage-
stellungen verleitet wird, so liegt diese Gefahr des philosophischen
Orientierungsmangels bei dem von der Medizin herkommenden Psy-
chopathologen natürlich noch näher. Irgend welche willkürlich auf-
gegriffene Theorie wird ohne Prüfung der Beobachtung der Tat-
sachen zugrunde gelegt und wird dann später triumphierend aus
den Tatsachen selbst scheinbar abgeleitet. Dieselben Tatsachen
würden sich auf dem Grunde anderer Voraussetzungen als Beweis-
material für die entgegengesetze Theorie ergeben haben. Der Psy-
chologe aber, der mit berechtigtem Kespekt den von ihm nicht nach-
prüfbaren Tatsachen des Pathologen gegenübersteht, befindet sich
dann beinahe in der Zwangslage, hastige Theorien mit den Tat-
sachen selbst akzeptieren zu müssen. Eine wirkliche Förderung wird
der Psychologie von Seiten der Kliniker mithin nur dann geboten
werden können, wenn auch die Pathologen sich die methodologische
Grundtatsache klar machen, daß die Voraussetzungen für die Auf-
fassung der Erscheinungen innerhalb einer bestimmten Wissenschaft
nicht innerhalb dieser Wissenschaft wieder aufgehoben werden können,
ohne die besondere Wissenschaft selbst dadurch preiszugeben.
 
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