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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Erstes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0112
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108 Max Scheler

Sinne« erfaßt. Was abhängig ist vom Leibe, das ist nicht das reale
seelische Erlebnis, sondern seine Auffassung durch den inneren Sinn.
Diese auch allein kann »gestört«, pertubiert werden, und nicht psy-
chische Störungen, sondern Störungen der Auffassung durch den
»inneren Sinn« sind es, die alle Psychopathologie behandelt. Hierbei
ist nicht das unsere Meinung (wie es Kants Lehre Tom »inneren
Sinn« in sich schließt), daß nun das Psychische, wie es unabhängig
vom inneren Sinn und seiner Erscheinung »wirklich« ist, transzendent
wäre im metaphysischen Sinn *. Wir scheiden innere Wahrnehmung
von »innerem Sinn«; auch der innere Sinn ist wie der äußere Sinn
nur ein Analysator des Wahrnehmens, nicht etwas, was positiv den
Gehalt der Anschauung gibt; dies leistet allein die innere Wahr-
nehmung, in deren Gehalt durch den inneren Sinn nur das heraus-
geschnitten und abgestuft hell beleuchtet wird, was am psychischen
Erlebnis für die Tätigkeits- und Interessensphäre des Leibes von ent-
sprechend abgestufter Bedeutung ist. Wie wir aber durch Anschau-
ung und Denken uns hinsichtlich der Außenwelt von der momentanen
Sinneserscheinung frei machen können, so vermögen wir dies auch
in der Sphäre der inneren Wahrnehmung, in der Psychologie, — und
zwar in jedem denkbaren Grade; prinzipiell bis zur Anschauung des
absoluten Gegenstandes — wenn wir so den Gegenstand nennen, der
nur durch den Akt äußerer und innerer Wahrnehmung und sonst
durch nichts bedingt ist.

Der innere Sinn in unserem Verstände hier ist keine Hypothese,
geschweige gar eine metaphysische. Er ist ein Tatbestand. Er ent-
hält nichts weiter als die Anerkennung, daß jedes psychische Erlebnis,
das einem Lebewesen zur inneren Wahrnehmung kommen soll, in
dessen Leibzustand irgend eine charakteristische Variation setzen
muß, die zu den Bewegungsimpulsen eine bestimmte Gesetzmäßig-
keit aufweist2. So wenig die psychischen Erlebnisse auf Leib-

1 Überhaupt hat unser Begriff des »inneren Sinnes« mit jenen Kants nicht
das mindeste zu tun. Kant setzt innere Wahrnehmung und inneren Sinn gleich)
was wir gerade zurückweisen. Auch seine Lehre, daß die Zeit die Form des
»inneren Sinnes« sei, ist ganz unstichhaltig.

2 Eine genauere Begründung dieses Satzes soll eine selbständige der Lehre
vom »inneren Sinn« gewidmete Arbeit geben. Eine Anregung zur Wiederauf-
nahme des Begriffes »innerer Sinn« ist neuerdings von 0. KüLpe in seinen Ar-
beiten zur Psychologie der Abstraktion (s. auch Einleitung in die Philosophie
 
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