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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Erstes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0113
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Über Selbsttäuschungen. 109

zustände, Komplexe von Empfindungen zurückzuführen sind, so ist
doch mit jeder Wahrnehmung eines psychischen Erlebnisses ein
charakteristischer Leibzustand und eine mit ihm zusammenhängende
Bewegungsintention verbunden, ohne die es die Schwelle des inneren
Sinnes nicht zu überschreiten vermag. Insofern bleibt auch hier-
nach jedes Erlebnis, sofern es wahrgenommen wird, von Zuständen
des Leibes, des Seelen- und Körperleibes, in irgend einem Maße
abhängig; niemals aber — wie der psychophysiologische Parallelis-
mus meint — das Erlebnis selbst.

Auf der Tatsache, daß zwischen die Erlebnisse und ihrer Wahr-
nehmung ein »innerer Sinn«, ein Analysator also eingeschaltet ist,
beruht es nun, daß es so etwas wie »Täuschungen der inneren
Wahrnehmung« gibt, daß es auch hier »Schein« und »Wirklichkeit«
gibt, ja eine ganze Keihe von Schichten der psychischen Gegen-
ständlichkeit desselben Erlebnisses, die in ganz verschiedenem Maße
von der Beschaffenheit des »inneren Sinnes« abhängig und darum in
verschiedenem Maße zu dem auffassenden Individuum »relativ« sind.
Es ist ja leider eine der beliebtesten Lehren der gegenwärtigen
Modephilosophie geworden, daß es »Schein« und »Wirklichkeit« in
der psychischen Welt gar nicht gäbe, daß hier nur alles da sei oder
nicht da sei, daß Psychisches so sei, wie es scheine; daß es also ein
wahrhaftes »Ding an sich« sei. Wäre das richtig, so gäbe es freilich
keine Täuschung der inneren Wahrnehmung1.

der Gegenwart) ausgegangen; eine andere (ziemlieh abstruse) von Freud (Traum-
deutung). Vgl. auch H. Bergson: Mémoire et matière.

1 Neuerdings hat auch E. Husserl, dessen Werken wir uns so tief verpflichtet
und dankbar fühlen, sich dieser Lehre angeschlossen. Er sagt: »das psychische
Sein, das Sein als »Phänomen«, ist prinzipiell nicht eine Einheit, die in mehreren
gesonderten Wahrnehmungen als individuell identische erfahrbar wäre, nicht ein-
mal in Wahrnehmungen desselben Subjekts. In der psychischen Sphäre gibt es
mit anderen Worten keinen Unterschied zwischen Erscheinung und Sein usw.
(s. auch das folgende). Wir sehen erstlich nicht, wie diese Behauptung mit den
tiefdringenden Ausführungen in den »logischen Untersuchungen« über »innere
und äußere Wahrnehmung« (S. 694), in denen nicht nur der Vorzug der Evidenz
der inneren Wahrnehmung vor der äußeren (wie sie Descartes und Brentano
lehren) bestritten wird, sondern ausdrücklich gesagt wird: »Demgegenüber will
es mir erscheinen, daß innere und äußere Wahrnehmung von ganz gleichem er-
kenntnistheoretischem Charakter sind usf. «(S. 703,4) übereinzubringen sei. Oder
hat Husserl hier seine Meinung geändert?

Sachlich aber scheint mir hier Husserl das Wesen des »Phänomens« mit
 
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