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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0185
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Versuch zu einer Darstellung u. Kritik der FREUDschen Neurosenlehre. 181

stellt hier Willensperversion, und im Gegensatz zur resignierten Un-
entschlossenheit dort, hier Staunen und Erbitterung über den unver-
ständlichen Zwiespalt.

Der hier nur hypostasierte Mechanismus der hysterischen Phäno-
mene wird durch Ausforschung in der Hypnose direkt bestätigt.
Freud berichtet von einer Hysterika (derselbe Fall, welcher später
in den »Studien über Hysterie« an zweiter Stelle als Fall »Frau
Emmy v. N.« beschrieben worden ist), welche u. a. beim Sprechen
ein tickartiges Zungenschnalzen zeigte. In der Hypnose weiß sie
anzugeben, bei welchen Gelegenheiten dieses Schnalzen zuerst auf-
getreten ist: das erste Mal, wie sie ihr krankes Kind mit Mühe ein-
geschläfert hatte und sie sich peinlich ruhig verhielt, um es nicht
aufzuwecken, das zweite Mal, wie sie während eines Gewitters im
Wagen fuhr und sich bei einem Blitzschlag nicht zu schreien zwang,
um die Pferde nicht scheuen zu machen. Interessant ist die Be-
merkung, die Freud hier anfügt: »Ich konnte mich überzeugen, daß
jenes Schnalzen kein echter Tick war, denn es war von dieser Zurück-
führung auf seinen Grund an beseitigt und blieb so durch Jahre, so
lange ich die Kranke verfolgen konnte«. Also die Therapie durch
das Wiederbewußtmachen des veranlassenden Erlebnisses, welche
später zum eigentlichen Wesen der Freud sehen therapeutischen
Methode werden sollte, kommt hier Freud selbst so unerwartet, daß
er daraus die Konsequenz zieht, die Echtheit des Ticks anzuzweifeln
(es liegt dieser Bemerkung eine Anschauungsweise Charcots zu-
grunde, wonach es zum Wesen des echten Tick gehört, daß er im
Gegensatz zum hysterischen Tick unlösbar fortbestehen bleibt). —
Zum Schluß des Aufsatzes wird noch auf Parallelen im Mechanismus
der hysterischen Anfallsdelirien und der Koprolalie hingewiesen.

Man sieht, wie die Anschauungsweise mit dem Gedankenkreis
der »Vorl. Mitt.« verwandt und doch teilweise verschieden ist. Ge-
meinsam ist zunächst die assoziationspsychologische Grundansicht;
die Willenshandlung ist eine Objektivierung der Willensvorstellung,
und entsprechend ist die Verwirklichung des Gegen willens eine Ob-
jektivierung der peinlichen Kontrastvorstellung. Aber von »psychi-
schem Trauma«, »ungenügender Reaktion«, »hypnoiden Zuständen«,
die das gedankliche Grundgerüst für die »Vorl. Mitt.« abgaben,
kommen in diesem Aufsatz überhaupt die Worte gar nicht vor.
 
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