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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Erstes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0188
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184 Kuno Mittenzwey

sein, weil die Hysterie sich bei den Lähmungen und anderen
Äußerungen so verhält, als ob die Anatomie nicht exi-
stierte, oder als ob sie keine Kenntnis davon hätte. Die
Hysterie weiß nichts von der Verteilung der Nervenfasern, sie nimmt,
wie schon Janet gezeigt hat, die Organe im Sinne ihrer vulgären
Namen: das Bein ist das Bein bis zu seiner Einfügung in die Hüfte usw.
Diese Namen sind in den Vorstellungen von den Organen fundiert.
Wenn nun die hysterische Lähmung in ihrer Erscheinungsweise durch
die Vorstellung von dem betreffenden Organ determiniert erscheint,
so dürfte damit ein Hinweis gegeben sein, daß ihr eine Veränderung
der betreffenden Vorstellung zugrunde liegt. Das Wesen dieser Ver-
änderung ist darin zu erblicken, daß die assoziative Verknüpf barkeit
dieser Vorstellung gestört ist. — Der weitere Gedankengang folgt
durchaus dem Inhalt der »Vorl. Mitt.«. Die Ursache für die Störung
des Assoziativverkehrs besteht darin, daß die betreffende Vorstellung
in eine unbewußte Assoziation von großem Affektwert ausschließlich
verstrickt uiW dadurch dem freien Spiel der anderen Assoziationen
entzogen ist; ihre ganze assoziative Affinität ist in der Assoziation
mit der Erinnerung an das veranlassende »Trauma« sozusagen »ge-
sättigt». — Reizend sind die Bilder, die Freud anführt, um die
assoziative Isolierung der traumatischen Vorstellung zu veranschau-
lichen. Er erinnert an die Anekdote von dem gesinnungstreuen
Untertanen, der seine Hand nicht mehr waschen wollte, weil sein
König sie berührt hatte, er erinnert daran, wie wir das Glas zer-
schellen, aus dem wir auf die Gesundheit eines neuvermählten Paares
getrunken haben, an die alten Völker, die mit dem Leichnam ihres
toten Führers sein Pferd, seine Waffen und gar seine Frauen ver-
brannten. Das Motiv ist immer das gleiche: der Affektwert, der
einer ausgezeichneten Beziehung eines Gegenstandes zuerteilt wird,
ist so groß, daß es widerstrebt, diesen Gegenstand in neuerliche
Beziehungen zu anderen Gegenständen zu bringen. — Wir werden
noch öfter Gelegenheit haben zu bemerken, wie sich an glücklich
gefundenen Bildern Freuds intuitiver Blick aufs schönste bewährt.
Für uns liegt der Wert dieses Aufsatzes wie gesagt in der Ent-
schiedenheit, mit der die ideogene Wendung gemacht wird. Weil
die Symptome der hysterischen Lähmung zureichend nur mit Zuhilfe-
nahme der vulgären Vorstellungen von den gelähmten Organen be-
 
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