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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Zweites und drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0228
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Besonderes Interesse erweckt das vierte Kriterium, nach dem
sich die motorische Apraxie nicht psychologisch, d. h. durch Annahme
von Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und Auffassungsstörungen ver-
stehen lasse. Wenn z. B. Liepmanns Patient auf die Aufforderung
die Zunge zu zeigen das Tintenfaß emporhebt, so ist diese Fehl-
handlung aus einer Alteration jener allgemeinen, psychologischen
Faktoren schwerlich zu erklären. Aber dieses Kriterium dürfte nur
zutreffen, wenn man die ideatorische Apraxie auf eine allgemeine
Störung der bezeichneten Art zurückführt. Tut man das nicht, gibt
man zu, daß auch hier speziellere Läsionen möglich sind, wie sie
durch bekannte Störungen im Gebiete des Gedächtnisses nahe gelegt
sind, so versagt das sogenannte psychologische Verständnis auch hier.
Könnte z. B. jemand auf Grund ideatorischer Apraxie die Feder nicht
mehr richtig gebrauchen, wohl aber die Zahnbürste, oder die Kerze
nicht mehr anzünden, wohl aber die Zigarre, so lägen hier ebenso
unverständliche, d. h. nur physiologisch oder psychophysisch zu er-
klärende Tatbestände vor. In seiner Bemühung, die ideatorische und
die motorische Apraxie möglichst scharf voneinander zu sondern,
scheint uns Liepmann etwas zu weit gegangen zu sein. Die ideatorische
Apraxie ist ihm zu einer Allgemeinerkrankung geworden, die moto-
rische zu einer Spezialerkrankung. Darin spiegelt sich abermals die
Unzweckmäßigkeit seines Begriffes der Vorstellung wider. Er ist zu
einem Ausdruck von unbrauchbarer Weite geworden. Wenn Descartes
und Locke mit dem Namen idea alle intellektuellen Bewußtseinsinhalte
bezeichneten, so hatte schon Hume es notwendig gefunden, ihn auf
die Gedächtnis- und Phantasiebilder einzuschränken. Seitdem sind
noch Bewußtseinslagen und Gedanken entdeckt worden, seitdem ist
vor allem die große Gruppe der psychischen Funktionen für die
Psychologie zugänglich geworden. Wer die Unzulänglichkeit der
Assoziationspsychologie so deutlich erkennt wie Liepmann, sollte auch
mit dem alten Vorurteil brechen, als wenn es neben den Empfindungen
und Gefühlen nur noch Vorstellungen in unserer Seele gäbe.

III. Zum Problem der Seelenblindheit.

Unter den vielen interessanten pathopsychischen Erscheinungen ver-
dienen die Agnosien, die Erkenntnisstörungen als besonders inter-
essant hervorgehoben zu werden. Sie bieten eine Grundlage für die
 
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