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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Zweites und drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0293
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Über Ressentiment und moralisches "Werturteil. 289

ein Aktwert, der Wert der Liebe selbst als Liebe — nicht als das,
was sie wirkt und leistet, sondern so, daß alle Leistungen nur als Sym-
bole und Erkenntnisgründe ihres Daseins in der Seele gelten, — ist nun
das »summum bonum<. Und so wird Gott von selbst zur »Person«,
die keine »Idee des Guten«, keine »formvolle Ordnung«, keinen ^dóyog
mehr über sich, sondern nur mehr unter sich hat — als Folge seiner
Liebestat. Und er wird selbst »liebender Gott« — ein hölzernes
Eisen für den antiken Menschen, eine unvollkommene Vollkommen-
heit! Wie scharf hat dies die neuplatonische Kritik hervorgehoben,
daß Lieben als »Bedürfen« und »Streben« Unvollkommenheit anzeige,
die von der Gottheit auszusagen falsch und Sünde sei! Aber auch
dies ist eine große Neuerung! Nach der christlichen Vorstellung
ist Liebe ein unsinnlicher Akt des Geistes (kein bloßer Gefühls-
zustand wie für die Modernen), aber gleichwohl kein Streben und
Begehren, und noch weniger ein Bedürfen1. Für diese ist es ein
Gesetz, daß sie sich in der Verwirklichung des Erstrebten verzehren,
während die Liebe das nicht tut. Sie wächst in ihrer Aktion2! Und
nun gibt es keine rationalen Prinzipien mehr, kein Gesetz und keine
Gerechtigkeit, die unabhängig von der Liebe und über ihr ihre Aktion
und deren Verteilung an die Wesen, je nach deren Werte leiten
durfte ! Alle, die Freunde und Feinde, die Guten und die Bösen, die
Edlen und die Gemeinen sind der Liebe wert3. Und bei jeder Er-

1 Die tiefste Befriedigung ist daher nicht verbunden mit dem, was die Liebe
erreicht (als Strebensakt genommen], sondern mit ihr selbst. »Größer ist also
die Freude Gottes, seine Gaben zu spenden, als die unsrige, dieselben zu emp-
fangen.« (S. Theotimus von Franz vox Sales, I. -Bd., XI. Kap.)

2 Es war auch sachlich der Grundirrtum der antiken Liebeskonzeption, sie unter
ein Streben, Bedürfen zu subsumieren. "Was immer Liebe an Streben, Sehnen
nach dem Geliebten bedingen mag, so ist sie doch ein davon ganz unterschiedener
Akt, ein Akt, in dem wir in einem "Werte befriedigt ruhen, gleichgültig ob er
realisiert ist oder in einem Streben zu realisieren gegeben ist.

3 So prüft Aristoteles genau in seiner (Nikoma einsehen) Ethik, wie viel
Liebe den einzelnen Klassen der nahestehenden Menschen zuzuwenden ist — ge-
rechtermaßen — den Eltern, Freunden, Kindern, Fremden usw. Nach der sitt-
lichen Grundidee des Christentums hätte dies zwar noch Sinn für das "Wohlwollen
(und erst recht für das Wohltun), welches indes nur eine Folge der Liebe ist.
Für die Liebe selbst hat es keinen Sinn, da die Größe des jeweiligen Aktwertes
der Liebe erst entscheidet, was der "Wert der Menschen ist. Auch sachlich gilt,
daß die Idee der Gerechtigkeit, soweit sie ihren rationalen Faktor, daß »Gleiches
Gleichen zukommen soll« überragt und irgendwie schon bestimmt gedacht wird,
 
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