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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Zweites und drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0555
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Stottern als assoziative Aphasie. 551

ten, wesentlich ohne jede mechanische Übung diese Erscheinung
in wenigen Tagen zu beseitigen ist.

Daß die Vorstellungen des Störungsbewußtseins nicht in der
Richtung einer sozialen Vollwertigkeit liegen, bedarf keiner weiteren
Erörterung. Die Gesamtpsyche bewertet sich sehr häufig auch dort
gering, wo das Störungsbewußtsein eine Pseudorestitutio in integrum
dadurch erreicht hat, wo, unter Anerkennung, daß man krank sei,
eine leidlich verwendbare Sprache sich hat erzwingen lassen; solche
Patienten sind ungeheuer reizbar, geradezu paranoisch, und ermüd-
bar für die Alltäglichkeiten des Berufes und des Lebens. In Rück-
sicht auf die Tatsache, daß kein Stotterer der Mensch ist,
der er sein könnte, daß er unbedingt relativ heilbar ist
(sofern eine exakte, vor allem moralische Willensbildung sich er-
reichen läßt, und das ist möglich), daß ferner seine Symptome
unmittelbar in Form eines circulus vitiosus, den nur der
eigene Vorsatz zu sprengen vermag, abhängig sind von dem Zu-
stande seines Störungsbewußtseins, daß endlich das Vor-
handensein des letzteren alle Grade der Depersonalisation
der Gesamtpsyche anzeigt: — in Anbetracht aller dieser
Verhältnisse hatte Denhaedt Recht, wenn er das ausgebil-
dete Stottern, von der Seite der Normalpsyche her be-
trachtet, als Psychose bezeichnete. Diese Bezeichnung ist auch
m dem Begriff der assoziativen Aphasie enthalten. Es wird sich
für die Klinik meines Erachtens mehr empfehlen, diese letztere Be-
zeichnung zu wählen, da in dem allgemeinen Ausdruck der >Psychose«
die notwendige Trennung von lediglich sprachlichen Symptomen von
andersartigem Vorstell en nicht enthalten ist. Diese Beziehungen sind in
vorstehender Arbeit hoffentlich deutlich genug, besonders in Kapitel 3
und 4, behandelt, so daß wir nunmehr wohl keine Härte begehen mit
der Forderung, die Erforschung des ausgebildeten Stotterns der
medizinischen Psychologie, der Psychopathologie, also einem Zweige
«er psychiatrischen Klinik, und die Behandlung des Übels der ärzt-
lichen Pädagogik, der Kunst der höchst individualisierenden analyti-
schen und imperativen Vorstellungskorrektur und damit der weit-
getaßtesten Menschen- und Menschheitserziehung zuzuweisen. Würden
eide Punkte in größtem Umfange und gewissenhaftester Exaktheit
urchgeführt, so würde die Zahl der Leidenden sowohl durch Heilung
 
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