II. Sitzung, 19. September 1913, nachmittags 3 Uhr.
Über das Verhältnis der Tierpsychologie zur Phy-
siologie und Biologie.
Von
Gustav Kafka,
München.
Auszug1.
Die anthropomorphistische Tendenz, die nicht nur dem naiven
Bewußtsein, sondern auch der primitiven Wissenschaft innewohnt,
hat zwar von jeher zu psychologisierenden Erklärungen der tierischen
Reaktionen Anlaß gegeben, der empirischen Naturforschung aber ge-
rade deshalb, weil diese ihre Fortschritte der Ausschaltung aller trans-
zendenten Erklärungsprinzipien verdankt, ein schwer ansrottbares
Mißtrauen gegen alle Tierpsychologie eingepflanzt. Physiologie und
Biologie pflegen vielmehr ihren Standpunkt als den einzig »wissen-
schaftlichen« dahin zu präzisieren, daß nur der Mechanismus und
der Chemismus, höchstens noch die teleologische Bedingtheit der Re-
aktionen, mit denen der Organismus auf die Reize der Umwelt ant-
wortet, den Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung bilden
können, daß dagegen Bewußtseinsvorgänge der objektiven Beobach-
tung nicht zugänglich und daher prinzipiell von der Untersuchung
auszuschließen seien. Ja sogar das »Psychoid«, dessen Tätigkeit
die Lücke des mechanischen Geschehens in jeder echten »Handlung«
ausfüllen soll, wird zwar durch psychologische Analogien erläutert,
gilt aber nach authentischer Definition nicht als subjektiv-psychischer,
sondern als objektiver Naturfaktor.
1 Den im folgenden skizzierten Gedankengang hat Keferent in der Ein-
leitung zum 1. Bd. seiner »Einführung in die Tierpsychologie auf experimen-
teller und ethologischer Grundlage« weiter ausgeführt.
Über das Verhältnis der Tierpsychologie zur Phy-
siologie und Biologie.
Von
Gustav Kafka,
München.
Auszug1.
Die anthropomorphistische Tendenz, die nicht nur dem naiven
Bewußtsein, sondern auch der primitiven Wissenschaft innewohnt,
hat zwar von jeher zu psychologisierenden Erklärungen der tierischen
Reaktionen Anlaß gegeben, der empirischen Naturforschung aber ge-
rade deshalb, weil diese ihre Fortschritte der Ausschaltung aller trans-
zendenten Erklärungsprinzipien verdankt, ein schwer ansrottbares
Mißtrauen gegen alle Tierpsychologie eingepflanzt. Physiologie und
Biologie pflegen vielmehr ihren Standpunkt als den einzig »wissen-
schaftlichen« dahin zu präzisieren, daß nur der Mechanismus und
der Chemismus, höchstens noch die teleologische Bedingtheit der Re-
aktionen, mit denen der Organismus auf die Reize der Umwelt ant-
wortet, den Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung bilden
können, daß dagegen Bewußtseinsvorgänge der objektiven Beobach-
tung nicht zugänglich und daher prinzipiell von der Untersuchung
auszuschließen seien. Ja sogar das »Psychoid«, dessen Tätigkeit
die Lücke des mechanischen Geschehens in jeder echten »Handlung«
ausfüllen soll, wird zwar durch psychologische Analogien erläutert,
gilt aber nach authentischer Definition nicht als subjektiv-psychischer,
sondern als objektiver Naturfaktor.
1 Den im folgenden skizzierten Gedankengang hat Keferent in der Ein-
leitung zum 1. Bd. seiner »Einführung in die Tierpsychologie auf experimen-
teller und ethologischer Grundlage« weiter ausgeführt.