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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, Ergänzungsband 1.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.2775#0092
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88 Hattingberg

Die Annahme einer Hemmung ans Angst ist durch diese Worte
klar genug widerlegt; sie zeigen vielmehr ein deutliches Wider-
streben und zwar charakteristischerweise gegen die Forderung an sich.
Die Analyse der vorerwähnten Szene mit dem kleinen Otto, dessen
Verhalten man nach landläufigen Begriffen, und, wie sich zeigen wird,
auch nach unserer Definition, ohne Zwang in die Kategorie des Eigen-
sinns einreihen kann, ergab folgendes: Otto genierte sich, weil er bei
Tisch das Wort sagen sollte — vielleicht wttrde er es so aussprechen,
daß die anderen lachen, er konnte es wohl und hätte es auch ge-
wollt — aber es ging nicht — dabei hatte er Angst vor Strafe.
Wenn er Angst hat oder >sich geniert« hat er »das Gefühl, als ob
er Groß machen« (Stuhldrang) oder »als ob er Lulu machen« (uri-
nieren) müsse. Wenn er aber dieses Gefühl hat, dann wird ihm »das
Lulu fest« (Erektion) und das ist ein angenehmes Gefühl. Auf diese
Weise wurde für ihn die Angst zu einem gemischten, angenehm-
unangenehmen Gefühl, zur »Angstlust«, wie ich diese Erscheinung
nennen möchte. Diese Angstlust stellte sich ein, wenn von ihm etwas
verlangt wurde, was ihm Schwierigkeiten machte, z. B. als er 21/2 Jahre
alt war, wenu er zählen sollte — ebenso beim Rechnen; auch in der
Szene mit dem hl. Nikolaus hat sie nach Ottos eigener Angabe wohl
eine Rolle gespielt, denn er erzählte, daß er stark »das Gefühl« (die
Erektion) gehabt habe, als er vom hl. Nikolaus verklopft wurde. Es
handelte sich also hier darum, daß durch die ängstliche gleichzeitig
eine andersartige Erregung ausgelöst wurde, die man nur als eine
sexuelle ansprechen kann.

Eine nahe Beziehung zwischen Angst und Sexualität ist in der
Pathopsychologie eine lange bekannte Erscheinung. Da es aber heute
noch schwer möglich ist, diese wichtigen Probleme zu behandeln,
ohne bei manchen eine solche affektive Einstellung auszulösen, daß
sie nicht verstehen wollen, begnüge ich mich hier damit, ganz all-
gemein an die Existenz dieser Beziehung zu erinnern, über die in
der Literatur reichliche Angaben, auch von Seiten unverdächtiger
Autoren zu finden sind1.

* Nur als einer unter vielen sei Havelock Ellis genannt. Außerordentlich
viel psychologisch wertvolles Material findet man bei Freud, Frank etc., aber
dort werden nur solche auf ihre Rechnung kommen, die eine Tatsache selbst
dann zu beurteilen vermögen, wenn sie mit einer Theorie im Zusammenhang vor-
gebracht wird, die ihnen ganz oder teilweise unrichtig scheint.
 
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