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Paul, Eberhard
Die falsche Göttin: Geschichte der Antikenfälschung — Heidelberg, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.29307#0106
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schende Vorstellung von praxitelischer Kunst in ein breites Publikum getra-
gen hat.

Auch unter den gefälschten Jünglingsköpfen gibt es solche, die „Praxitelisches“
vortäuschen wollen. Einen Hermeskopf in Berlin92 (Abb. 42) hat man mit Recht
als Fälschung ausgesondert, da - abgesehen von dem angesetzten riesenhaften
Bruststück und der ergänzten Nasenspitze - der Kopf aus parischem Marmor
nicht nur überarbeitet, sondern wohl vollständig neu hergestellt worden ist. Das
Haar weist sehr unschön wirkende, dicke Lockenbüschel auf; daß es vor dem
Ohr in die Wange gedreht ist, wie wir das bereits an der sogenannten Hera von
Girgenti beobachten konnten, entspricht der Kunst des Praxiteles in keiner Weise.
Auch die Neigung des Kopfes, die der Fälscher von einem Hermes als Seelen-
geleiter übernommen hat, und die kraftlosen Züge verstärken den faden, spät-
klassizistischen Ausdruck des Gesichtes.

In einem zweiten Jiinglingskopf aus Berlin93 (Abb. 43) spricht sich bereits der
Geist des späteren 19. Jahrhunderts aus. Obwohl der Kopf die Formen des
frühen 4. Jahrhunderts in etwas altertümlicher Weise nachahmt, könnte er als
ein Werk von Max Klinger oder Sascha Schneider angesprochen werden, denen
die antike Plastik zu so merkwürdig erstarrten Gebilden Vorbild gewesen ist.
Der Ausdruck des Berliner Kopfes wird durch die schwarzen Augenhöhlen be-
stimmt, die mit Glasfluß oder Edelsteinen eingesetzt gedacht werden könnten,
in diesem Fall aber - wie auch das zusammengekniffene linke Auge bestätigt -
von vornherein die mondäne Wirkung des Gesichtes hervorrufen sollten. Das
volle Oval des Kopfes mit der starken Betonung der Mittelsenkrechten, die
wellenförmig bewegten Lippen und die auffallend kurze Lockenfrisur geben die-
sern Werk des 19. Jahrhunderts einen ausgesprochen unangenehmen Zug.
Fälschungen im Stil des späteren Hellenismus sind nicht allzu häufig und auch
selten erfreulich. Die bewegte Formenspradie des 3. oder 2. Jahrhunderts v. Chr.
schien dem Fälscher weniger zur Nachahmung geeignet als die Werke des 5.
oder 4. Jahrhunderts.

Noch einmal sollte die archäologische Welt im 20. Jahrhundert von „praxiteli-
schen“ Schöpfungen überrascht werden. Aber angesichts der beiden Aphroditen,
deren „außerordentlich feine Arbeit. vollendete Modellierung und scharmante
Haltung eines großen athenischen Meisters“ der Sammler, Herr Grueneisen. her-
vorhebt94, hat dieses Urteil nur allgemeines Gelächter zur Folge gehabt. Die
Statuetten sind derartig schlecht gearbeitet und haben einen so süßlichen Aus-
druck, daß man auf die Beweisführung der Falsdiheit nahezu verzichten
konnte.95

An dieser Stelle soll über die mehrfach genannte Sammlung des russischen Grafen

Abb. 42
Büste des Hermes
nach Praxiteles

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