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digem Bart und mit einer hohen Krone auf dem Haupte; er
belehrt die «minnende Seele», die vor ihm auf dem grünen
Boden als holde Jungfrau in rotem oder blauem Gewände kniet
und ihm mit über der Brust gekreuzten Armen oder betend gefal-
teten Händen andächtig zuhört». Dieses einfache Motiv ist bei
jeder der vielen Wiederholungen abwechslungsvoll variiert und
in Bewegung und Geberden recht lebendig aufgefasst; die Bild-
chen sind mit der Feder gezeichnet und mit Wasserfarben la-
viert. Am anziehendsten ist jedoch eine grosse Darstellung zu
Beginn des Buches: eine Kreuzigungsscene. Sie zeigt den Hei-
land am Kreuze mit schmerzlich gesenktem Haupt und mit ei-
nem Leib voller Blutstropfen; neben ihm sind die beiden
Schächer an niederen Kreuzen gebunden ; dem guten von ihnen
zieht ein Engel die Seele in Gestalt eines kleinen menschlichen
Körpers aus dem Munde, bei dem bösen thut es ein Teufel. Zu
Füssen des Kreuzes stehen auf dem abschüssigen Wiesengrunde
Maria, von Maria Magdalena gestützt und Johannes, der mit ge-
rungenen Händen entsetzt zu Jesus aufschaut. Hinter ihm steht
noch ein bärtiger Heiliger mit einem Buch; vor dem Kreuze
liegen Schädel und Knochen am Boden. Also eine Komposition,
wie sie in der Tafelmalerei gang und gäbe ist; von einem
Altarbild wird sie auch Meister Leistenmacher abgesehen haben.
Man sieht, dass die ausführende Hand die eines Dilettanten ist;
wenn man aber bedenkt, dass sie sonst gewohnt war den Pfriem
zu handhaben, so kann man dem wackeren Schuhmacher seine
Bewunderung nicht versagen. Ist die Zeichnung auch etwas un-
geschickt und sind die Proportionen der Körper auch bisweilen
bedenklich, so wird man versöhnt durch das manchmal recht
erfolgreiche Streben nach guter Charakterisierung der Beweg-
ung und nach starkem seelischem Ausdruck, welches deutlich
zeigt, wie ernst es der Meister nahm und wie sehr er erfüllt
war von seinen mystischen Anschauungen, die ihn zu solchem
Unternehmen gedrängt haben. Unwillkürlich wird man erinnert
an zwei bedeutendere Kollegen in der ehrbaren Schuhmacherzunft:
an unseren evangelisch gesinnten grossen Volksdichter Hans
Sachs und an den grössten Vertreter der späteren Mystik, Jakob
Böhme.
Ein anderes Büchlein wollen wir noch erwähnen, das uns
digem Bart und mit einer hohen Krone auf dem Haupte; er
belehrt die «minnende Seele», die vor ihm auf dem grünen
Boden als holde Jungfrau in rotem oder blauem Gewände kniet
und ihm mit über der Brust gekreuzten Armen oder betend gefal-
teten Händen andächtig zuhört». Dieses einfache Motiv ist bei
jeder der vielen Wiederholungen abwechslungsvoll variiert und
in Bewegung und Geberden recht lebendig aufgefasst; die Bild-
chen sind mit der Feder gezeichnet und mit Wasserfarben la-
viert. Am anziehendsten ist jedoch eine grosse Darstellung zu
Beginn des Buches: eine Kreuzigungsscene. Sie zeigt den Hei-
land am Kreuze mit schmerzlich gesenktem Haupt und mit ei-
nem Leib voller Blutstropfen; neben ihm sind die beiden
Schächer an niederen Kreuzen gebunden ; dem guten von ihnen
zieht ein Engel die Seele in Gestalt eines kleinen menschlichen
Körpers aus dem Munde, bei dem bösen thut es ein Teufel. Zu
Füssen des Kreuzes stehen auf dem abschüssigen Wiesengrunde
Maria, von Maria Magdalena gestützt und Johannes, der mit ge-
rungenen Händen entsetzt zu Jesus aufschaut. Hinter ihm steht
noch ein bärtiger Heiliger mit einem Buch; vor dem Kreuze
liegen Schädel und Knochen am Boden. Also eine Komposition,
wie sie in der Tafelmalerei gang und gäbe ist; von einem
Altarbild wird sie auch Meister Leistenmacher abgesehen haben.
Man sieht, dass die ausführende Hand die eines Dilettanten ist;
wenn man aber bedenkt, dass sie sonst gewohnt war den Pfriem
zu handhaben, so kann man dem wackeren Schuhmacher seine
Bewunderung nicht versagen. Ist die Zeichnung auch etwas un-
geschickt und sind die Proportionen der Körper auch bisweilen
bedenklich, so wird man versöhnt durch das manchmal recht
erfolgreiche Streben nach guter Charakterisierung der Beweg-
ung und nach starkem seelischem Ausdruck, welches deutlich
zeigt, wie ernst es der Meister nahm und wie sehr er erfüllt
war von seinen mystischen Anschauungen, die ihn zu solchem
Unternehmen gedrängt haben. Unwillkürlich wird man erinnert
an zwei bedeutendere Kollegen in der ehrbaren Schuhmacherzunft:
an unseren evangelisch gesinnten grossen Volksdichter Hans
Sachs und an den grössten Vertreter der späteren Mystik, Jakob
Böhme.
Ein anderes Büchlein wollen wir noch erwähnen, das uns