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es waren, die durch ihre weitgreifende Thätigkeit, durch ihre
Predigten und ihre Schriften das ganze Fühlen und Denken des
Volkes beeinflussten; jetzt werden wir des Weiteren und noch
genauer erkennen, wie sie der Phantasie und der künstlerischen
Gestaltungskraft öfters ganz bestimmte Richtungen, Anregungen
und Vorbilder lieferten. Dass die Mystiker ihrerseits nicht aus
der Kunst her ihre Vorstellungen und bildlichen Anschauungen
entnahmen, wie man vielleicht vermuten könnte, ist, von ein-
zelnen Fällen abgesehen, nicht anzunehmen, da sie meistens
Dinge bringen, die in die künstlerische Erscheinung erst treten,
nachdem wir sie schon lange vorher in der Litteratur auftauchen
sehen, wovon wir im vorigen Kapitel, als wir auf die Visionen
zu sprechen kamen, überraschende Beispiele schon sahen.
Uebrigens sei an dieser Stelle überhaupt mit Nachdruck auf
die Ausführungen und Belege hingewiesen, die wir, vorgreifend,
schon im vorigen Kapitel in Betreff des Einflusses der Visionen
auf die Kunst brachten. — Zu bemerken wäre vielleicht noch,
dass, wenn wir im Folgenden litterarische Belege und Paralell-
stellen bringen, diese in fast allen Fällen als Beispiele für eine
sehr grosse Menge gleicher und ähnlicher anzusehen sind, so
dass man von einem Ausspruch immer auf das Vorhandensein
der gegebenen Anschauung in der gesammten mystischen Litte-
ratur zu schliessen hat.
Endlich wollen wir betonen, dass es uns fern liegt zu be-
haupten, alle die im Folgenden vorgeführten künstlerischen Dar-
stellungen und Motive wären in ihrer Erfindung direkt ab-
hängig von der vorbildlichen Anregung der mystischen Litteratur
gewesen und in ihrem Vorhandensein nur durch diese bedingt.
In vielen Fällen kommt es bloss darauf an, die innige Ver-
wandtschaft der Vorstellungen, einerseits der Mystik, anderer-
seits der Kunst, aufzudecken; wie denn schon zu Beginn des
ersten Kapitels als unsere Absicht hingestellt wurde, äusser die
Beeinflussung der Kunst durch die Mystik überhaupt die geistige
Verwandtschaft beider Kulturerscheinungen nachzuweisen. Schon
dort an jener Stelle wurde als den gemeinsamen Urquell beider
die germanische Volksseele genannt; da nun aber deren reli-
giöses Fühlen und Denken und deren Weltanschauung als mys-
tisch bezeichnet werden darf, so glaube ich mich berechtigt,
 
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