Reste alten Glaubens
109
In der Tragödie ist es gewöhnlich böses Geschick, von dem
mit Emphase gesprochen wird, also der Geschickeswender immer
noch der böse Dämon. Der Wechsel, den er gibt, seine Veränder-
lichkeit, die gescholten wird, ist der Umschlag ins Unglück, und
achtet man auf die Worte, mit denen der Dichter solchen Wechsel
ansagt, so tritt das persönliche Wesen des alten Dämons noch oft
genug hervor: er führt, richtet, treibt den Menschen, bat ihn im
Auge, bewacht ihn wie einen Gefangenen, steht ihm zur Seite,
bettet ihn ins Grab, ist mit dem Menschen eingespannt, hält die
Wage, bewirkt ihren Ausschlag. Wie die wesensgleiche abstraktere
Tyche das Symbol des Steuerruders hat, so erkennen wir den alten
Dämon Wind wieder, wenn er gleichnisweise auf Strom und Meer,
bei widrigem oder gutem Winde die Fahrt gibt, bis zum Scheitern.
Wie viel blasser aber ist bei Sophokles Elektras Wort, 999: ihr
und der Schwester fliesse der Dämon davon, gelange zu nichts, als
wenn Atossa in den Persern sagt: sei der Dämon in gutem Fluss,
dann meine man getrost, es werde stets derselbe Wind . . . wehn.
Ein Blick auf die griechische Karte bringt zum Bewusstsein, wie
leicht und oft der Grieche in die Notwendigkeit versetzt war, gerade
diesen Dämon 'zu versuchen’, -rreipdcfOai töv baipova, eine Redens-
art, die von der Seefahrt gebraucht sein möchte, bevor sie, wie in
den Choeph. 513 und Agam. 1663 vom Waffenkampf gebraucht
wird. Lange vorher schon gehn Homers Helden in den Zweikampf
mit der Erwartung, der Dämon werde entscheiden, II. 7, 291. Von
selbst wird da aus den zwei Dämonen zweier Helden einer, wie der
Chor in 'Sieben’ 812, beiden Brüdern wäre der Dämon gemeinsam,
d. h. einer und derselbe gewesen, Dämon hier, gleichbedeutend
fast mit Tod, wie in einer andern Homerischen Wendung II. 8, 166.
In diese Gedankenreihe gehören auch die Homerischen Formeln:
etwas mit oder gegen den Dämon tfuv oder irpö«; tun, auch dies
Wendungen, wo man für den Dämon den Gott einsetzen könnte,
ohne dass doch die damit verbundene Vorstellung beidemal dieselbe
sein müsste, wie sogleich deutlicher werden wird.
Denn je mehr wir die ältere Tragödie hören, und auch in
der jüngeren die leicht kenntlichen Reste altertümlicher Vorstellung
und Sprache beachten, desto krasser wird uns der alte Dämon und
seine Verschiedenheit vom Gott entgegentreten. Grausig heisst er,
verhasst, schwer und schwerzornig, wild, bös gesinnt, und geradezu
schlecht oder böse wie bei Homer. Sein Wesen, Tun und Gebaren
ist Zorn und Grimm, Stürmen, kochende Leidenschaft, Hetzen,
Schnauben, Blicken (Spähen), Lachen (Hohn). Ob die Dämonen
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In der Tragödie ist es gewöhnlich böses Geschick, von dem
mit Emphase gesprochen wird, also der Geschickeswender immer
noch der böse Dämon. Der Wechsel, den er gibt, seine Veränder-
lichkeit, die gescholten wird, ist der Umschlag ins Unglück, und
achtet man auf die Worte, mit denen der Dichter solchen Wechsel
ansagt, so tritt das persönliche Wesen des alten Dämons noch oft
genug hervor: er führt, richtet, treibt den Menschen, bat ihn im
Auge, bewacht ihn wie einen Gefangenen, steht ihm zur Seite,
bettet ihn ins Grab, ist mit dem Menschen eingespannt, hält die
Wage, bewirkt ihren Ausschlag. Wie die wesensgleiche abstraktere
Tyche das Symbol des Steuerruders hat, so erkennen wir den alten
Dämon Wind wieder, wenn er gleichnisweise auf Strom und Meer,
bei widrigem oder gutem Winde die Fahrt gibt, bis zum Scheitern.
Wie viel blasser aber ist bei Sophokles Elektras Wort, 999: ihr
und der Schwester fliesse der Dämon davon, gelange zu nichts, als
wenn Atossa in den Persern sagt: sei der Dämon in gutem Fluss,
dann meine man getrost, es werde stets derselbe Wind . . . wehn.
Ein Blick auf die griechische Karte bringt zum Bewusstsein, wie
leicht und oft der Grieche in die Notwendigkeit versetzt war, gerade
diesen Dämon 'zu versuchen’, -rreipdcfOai töv baipova, eine Redens-
art, die von der Seefahrt gebraucht sein möchte, bevor sie, wie in
den Choeph. 513 und Agam. 1663 vom Waffenkampf gebraucht
wird. Lange vorher schon gehn Homers Helden in den Zweikampf
mit der Erwartung, der Dämon werde entscheiden, II. 7, 291. Von
selbst wird da aus den zwei Dämonen zweier Helden einer, wie der
Chor in 'Sieben’ 812, beiden Brüdern wäre der Dämon gemeinsam,
d. h. einer und derselbe gewesen, Dämon hier, gleichbedeutend
fast mit Tod, wie in einer andern Homerischen Wendung II. 8, 166.
In diese Gedankenreihe gehören auch die Homerischen Formeln:
etwas mit oder gegen den Dämon tfuv oder irpö«; tun, auch dies
Wendungen, wo man für den Dämon den Gott einsetzen könnte,
ohne dass doch die damit verbundene Vorstellung beidemal dieselbe
sein müsste, wie sogleich deutlicher werden wird.
Denn je mehr wir die ältere Tragödie hören, und auch in
der jüngeren die leicht kenntlichen Reste altertümlicher Vorstellung
und Sprache beachten, desto krasser wird uns der alte Dämon und
seine Verschiedenheit vom Gott entgegentreten. Grausig heisst er,
verhasst, schwer und schwerzornig, wild, bös gesinnt, und geradezu
schlecht oder böse wie bei Homer. Sein Wesen, Tun und Gebaren
ist Zorn und Grimm, Stürmen, kochende Leidenschaft, Hetzen,
Schnauben, Blicken (Spähen), Lachen (Hohn). Ob die Dämonen