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Herakles’ Leidenschaft

glaubt sie das Mittel dazu in einem Vermächtnis des sterbenden
Kentauren Nessos zu haben. Das anzuwenden dünkt sie kein un-
besonnenes Wagnis: ein solches würde sie verabscheuen; wäre es
das dennoch, so' wäre es aus mit ihr. Auch das wieder eine Ahnung
des Kommenden. Der Chor zwar, den der Dichter eben deshalb
mit aus unerfahrenen Mädchen, 143, gebildet hat, stimmt ihr bei,
doch nicht bedingungslos. Kaum ist das mit dem Liebeszauber
bestrichene Gewand fort, da gewahrt Deianeira mit Schrecken an
der zum Bestreichen gebrauchten Wollflocke die verderbliche Wirkung
des Giftes, und kaum hat sie dies dem Chore, mit der Beteuerung,
den Tod des Herakles nicht überleben zu wollen, mitgeteilt, so
kommt Hyllos mit der Meldung des vernichtenden Erfolges ihrer
Sendung. Nachdem sie Alles vernommen, geht sie, von sich selbst
vorher schon verurteilt 582, 719, lautlos ab. Nur von ihrer Wärterin
hören wir ihr Ende. Deianeira hatte freilich Eros, dem Gott, die neue
Liebe des Herakles schuldgegeben, aber diese seine Freisprechung von
eigener Verantwortlichkeit war ja nur Heuchelei, um Lichas zum Ge-
ständnis zu bringen. Der Chor singt, nach seiner Weise, natürlich von
Kypris’ Bann. Wie Deianeira selbst, so spricht auch Lichas zweierlei
Sprache: gegen die Menge, in gleicher Absicht den Helden zu entschul-
digen, wie zuerst Deianeira, von Eros’Macht; gegen Deianeira dann,
die Wahrheit zu sagen genötigt, ist die Liebe des Helden ihm eine
Leidenschaft wie uns. Herakles selbst kommt nur als zu Tode Ge-
peinigter auf die Bühne. Übergewaltig, wie seine Taten, sind auch
seine Leiden. Die Ursache äusser sich suchend, klagt auch er zum
Dämon 1025, mit bitterem Vorwurf auch gegen seinen Vater
Zeus. Wie solche Klagen zu werten sind, wie zu verstehen, lediglich
als Schmerzenslaute der menschlich schwachen Seele, um Gotteswillen
nicht als Zeugnisse für des Dichters Götterglauben, lehrt gleich die
andere Klage des Helden über die Ungerechtigkeit der Hellenen,
1010, für die er so viel getan, und deren doch keiner jetzt mit
Feuer und Schwert ihm zu helfen komme. Auch die Leidenschaft
des Schmerzes macht blind und ungerecht. Wie grimmig kehrt sich
nicht Herakles Zorn auch gegen Deianeira: umbringen möchte er
sie mit eigenen Händen, Hyllos soll sie ihm holen. Kaum gibt er
diesem Gehör, der ihn zu gerechterer Beurteilung der Unglücklichen
umstimmen will, doch nicht mehr sagen kann, als dass jene ihn
durch des Kentauren Liebeszauber habe wiedergewinnen wollen.
Denn jetzt weiss er, dass das Gift seiner Pfeile die Ursache seiner
Pein, weiss, dass das Orakel vom Tode durch den Toten (Kentauren)
sich erfüllt, und nun hat er Eile, das anzuordnen, was ihm noch am
 
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