Sn Md Wird vrrMnkt
Von HansSchomaker.
Benediktgaste 1b , . . Gabriele fingert in ihrem winzigen Notizbuch.
Täschler; Familie Franz Täschler; erwerbslos. Dritte Etage. Ga-
briele läßt den Blick über die glatte, gefängnisartige Hausfront glei-
ten. Typische Mietskaserne. Rachitis, Tuberkulose, Anämie, Unter-
ernährung sind neben anderen Krankheiten vertreten. Ein Kranken-
> Haus ohne Arzt, ohne Sonne, ohne Hoffnung
Gabriele bezwingt ein inneres Frösteln, als sie sich durch den eis-
kühlen, feuchten Flur tastet. Der dicke, gelbliche Nebel draußen scheint
, solchen Höhlen zu entsteigen. Vis zum dritten Stock sind 63 Stiegen...
danteske Stufenleiter in die lichtlose Verlorenheit eines Purgato-
riums . . . Sachlich bleiben; kühl bis ins Herz. Ich mutz abgehärtet
sein. Eine Fürsorgerin mutz eine lederne Haut und ein marmornes
Herz haben in solchen Lagen . . . Gabriele paukt vergeblich Grund-
sätze, während sie in immer tieferer Beklommenheit den finsteren
Schacht hinaustastet. Lähmende Stille liegt im Hause. Gabriele wird
von der Wahnvorstellung gepackt, dies sei ein Totenhaus: rechts und
links liegen in muffigen Katakomben starre Leichname, glotzen sie
durch Wände an, verfolgen ihre schleppenden Schritte mit ironisch
verbissenen Masken ...
Es ist eine Erlösung, als sie oben Kindergeschrei vernimmt. Das
gibt ihr Mut und Selbstsicherheit zurück. Sie findet eine schmutzige
Tür, ein Blechschild: Ernst Täschler, Schneidermeister. Gabriele pocht
und tritt ein.
„Bin ich hier richtig bei Familie Täschler?" fragt sie überflüssiger-
weise. Keine Antwort. Sie läßt die klebrige Klinke los, macht einige
Schritte in den Raum, der in blassen, kulissenhaften Umrissen auf-
taucht. Niemand scheint da zu sein. Doch, da bewegt sich ein schwarzes
Bündel auf der Bank neben dem Ungetümen, vierschrötigen Schrank.
Zwei rotumränderte Kinderaugen haben Gabriele schon die ganze
Weile angstvoll bestarrt. Jetzt beginnt es kläglich zu lallen.
„Nunu", beschwichtigte Gabriele und fühlt sich hölzern, hilflos vor
diesem schmutzigen, zerlumpten Ding. Ein blonder, fettiger Schopf
leuchtet sie an. „Heißt du Anton, Kind?" Sie fatzt mit vorsichtigen
Fingern unter ein spitzes Kind.
„Muutaa!" lallt das Wesen und windet sich entsetzt vor dieser unde-
finierbaren Einbrecherin.
Draußen nähern sich Schritte. In der Tür erscheint eine kleine
schmächtige Frau, die einen verwirrten Blick auf Gabriele wirft, sich
die Hände an der Schürze abreibt, einen Gruß stammelt, Entschuldi-
gungen ... Ja, es ist Frau Täschler. Und das in der Ecke ist Anton,
den Gabriele abholen und zu seinen neuen Eltern bringen soll. Anton
ist vier Jahre alt, Frau Täschlers siebtes Kind. Vor einem halben
Jahre tat das gebrechliche Menschlein die ersten zaghaften Schritte.
Bei Gott, kein stolzer Erdenbürger.
„Ja, dann ziehen Sie das Kind nur gleich an, Frau Täschler," sagt
Gabriele sachlich. „Anton kann sofort mitgehen. Die Leute, die ihn
haben wollen, kommen gleich zum Büro."
„Anziehen . . .", murmelte die Frau und irrt mit den Händen um-
her. „Anton soll also sofort mitgehen?" Ohne eine Antwort abzuwar-
!ten, nickt sie heftig. Sie hebt das Kind aus der Ecke, das sofort zu
schreien anfängt. „Ptzt, du kriegst es ja nu besser, als wir alle es ha-
ben, Antonchen. Sei ruhig, das Frollein ist'n netter Mensch, die will
nix Böses . . . So, jetzt kriegst du deinen Sonntagsanzug an, du klei-
ner Dreckfratz, darfst dich nu nich mehr so beschmieren. Jetzt wachste
'ne kleine Reise zu feinen Leuten, Antonchen . . ." Die Frau redet und
redet, zwischendurch fährt sie sich mit dem Handrücken über die ängst-
lichen Augen.
Das Kind hat sich beruhigt. Nachdem es fertig ist, macht es keinen
abstoßenden Eindruck. Nur so blaß und angstvoll. Es steht mit ge-
senktem Kopf auf den krankhaft dünnen Beinchen und schielt Ga-
brielens Rock an.
„Frau Täschler, Sie dürfen das Kind besuchen, so oft Sie wollen.
Allerdings ist es gut, wenn sich Anton schnell an seine neue Umgebung
gewöhnt und Sie und seinen Vater vorerst nicht so oft sieht. Sie wissen
ja, daß er gut aufgehoben sein wird. Da brauchen Sie keine Sorge
zu haben."
Die Frau steht da mit einem schmalen, krummen Rücken und nickt
und zupft verlegen und ratlos an ihrer Schürze. „Ja, wo wir ihn nich
mehr mit durchreisten können . . . s' ist wohl das Beste," murmelte sie
mit niedergeschlagenem Blick. „Mein Mann sagt, es wär 'ne Sünde
und Schande, daß unsereins seine eigenen Kinder weggeben mutz, weil
all die hungrigen Mäuler . . Sie bricht erschrocken ab. Hat sie da
zuviel gesagt? Man weiß nie recht, ob das, was man sagt, auch richtig
ist und mit Verständnis ausgenommen wird. „Nu, schönen Dank, Frol-
lein, für die große Mühe," sagt die Frau. Hinter ihrem krampfhafte«
Höflichkeitslächeln steigen Tränen unwiderstehlich in den trüben Augen
auf. Das hundertfach zerwühlte Antlitz wird sich gleich unter wildem
Tränenschauer verzerren.
Gabriele wendet den Blick weg. Einen Augenblick lang hält Ke
eine dünne, knochige Hand in der ihren . . - „Mütter sind Märtyrer-
innen," fährt es durch ihren Kopf. Irgendwo hat sie das gelesen.
Im finsteren Treppenflur, auf der nebligen Straße, in der Stra-
ßenbahn steht das zerschundens Gesicht der Frau vor ihren Augen«
„Mütter sind Heldinnen," denkt Gabriele.
Das Kamel
Am Rande einer Oase gerieten eine Schnecke und ein Kamel in
Streit, weil die Schnecke behauptete, sie könne schneller laufen als das
große langbeinige Kamel. Es kam zur Wette. Ein hoher Baum am
anderen Ende der Oase wurde als Ziel bestimmt.
Das Rennen begann. Und — es ist kaum zu glauben — die kleine
unscheinbare Schnecke erreichte zuerst das Ziel. Von allen Seiten
kamen die Glückwünsche, dann aber auch die Frage: Wie war das
möglich? Man ging der Sache nach und fand: das dumme Kamel war
den — Dienstweg gegangen! Sturm - Gundal.
Ei« Wunder. „Das ist ein wunderbarer Anzug, den ich jetzt trage!
Die Wolle kam aus Australien — englische Kaufleute verkauften sie
an eine süddeutsche Fabrik — in Sachsen wurde sie gesponnen — in
unserer Stadt der Stoff zugeschnitten . . ."
„An all dem kann ich nichts Wunderbares finden!"
„Nein, das Wunder daran ist nur, daß so viele Leute von einer
Sache leben können, die ich noch gar nicht bezahlt habe!"
Waagerecht: 1. persönliche Eigenschaft, 7. Schwur, 8. Fluß in
Afrika, 9. Frauenname, 12. Sprung, 14. Wagenteil, 15. nordische Gott-
heit, 16. Fürwort, 17. Ozean, 19. Situation, 20. Frauenname, 21. See-
mann, 23. Halbedelstein, 25. Ort in Tirol, 26. Gewässer, 27. Stadt an
der Etsch, 28. Sportmannschaft, 30. Lebenshauch, 31. Schiffsteil, 32.
Stimmlage, 33. Sonntagsname.
Senkrecht: 1. Meßinstrument, 2. Pflanze, 3. Frauenname, 4.
Fürwort, 5. hebräischer Prophet, 6 Leuchtgerät, 10. Sonntagsname,
11. Kleidungsstück, 13. Zeichen (Mehrzahl), 18. Titel, 19. Papstname,
22. Sammelruf, 24. Aermelaufschlag, 29. Monat, 30. Fluß zum Inn.
(ch ---- 1 Buchstabe; ä — ae.)
Rätsellösungen aus der vorigen Nummer.
Silbenrätsel: 1. Eisen, 2. Stola, 3. Iller, 4. Raabe, 5. Rinde, 6.
Tiger, 7. Dienstag, 8. Ehrensried, 9. Rose, 10. Meta, 11. Ebro, 12.
Niere, 13. Säbel, 14. Chiton. EsirrtderMenschsolanger
st r e b t.
Kreuzworträtsel: Waagerecht: 1. Podagra, 7. Orleans, 10«
Rate, 11. Summa, 13. Boe, 14. Alt, 16. Rad, 18. Bahia, 19. Etat, 21«
Nomaden, 22. Retorte.
Senkrecht: 2. Drama, 3. Ger, 4. Raab, 5. Antonie, 6. Husaren,
8. Seemann, 9. Kurator, 12. AAlb, 15. Taler, 17. Dame, 20. Tat.
(Verantwortlich für diese Beilage: C. Fürst, Heidelberg.)
von -Karl «lav
Der Abdruck der vorstehenden Erzählung erfolgt mit Genehmigung des Karl-May-Verlags, Radebeul bei Dresden, der
sämtliche Urheber- und Verlagsrecht« an Karl Mays Gesammelten Werken besitzt.
(Nachdruck verboten.)
„Wollen das abwarten. Ich bin nicht über den Missisippi gegangen,
um ein Westmann zu werden, also habe ich, wenn keiner aus mir
wird, nicht etwa eine verlorene Hoffnung zu beklagen. In diesem
Fall wärt nur Ihr zu bedauern."
„Ich? Warum ich?"
„Weil Ihr Euch so viel Mühe gegeben habt, etwas aus mir zu
machen. Ich höre schon im voraus die Leute sagen, daß ich einen
Lehrmeister gehabt haben müßte, der nichts versteht."
„Nichts versteht? Ich? Sam Hawkens und nichts verstehn, hihihihi!
Ich verstehe alles, alles; ich verstehe es sogar, Euch hier stehn zu lasten,
Sir!"
Er ging, drehte sich aber nach einigen Schritten wieder um und
sagte;
„Merkt Euch aber das: Wenn Ihr nicht das ganze Geld verlangt,
so verlange ichs und steck es Euch dann in die Tasche! Howgh!"
Nach diesen Worten entfernte er sich mit Schritten, die würdevoll
sein sollten, aber grad das Gegenteil davon waren. Das liebe Kerlchen
wünschte mir alles Gute, also auch den ganzen Lohn, woran aber
nicht zu denken war.
Was Jntschu tschuna gesagt hatte, bestätigte sich: ein roter Krieger
bedarf selbst zur weitesten Reise keiner großen Vorkehrungen. Das
Leben im Pueblo nahm auch heut seinen gewöhnlichen, ruhigen Ver-
lauf, ohne daß irgend etwas auf unsre baldige Abreise schließen ließ.
Auch Nscho-tschi, die uns, wie stets zuvor, beim Essen bediente, war
so wie immer. Welche Aufregung und Vorarbeit gibt es bei einer
weißen Dame, die einen kleinen Ausflug machen will! Diese India-
nerin hatte einen weiten und gefährlichen Ritt vor sich, um die viel-
gerühmten Herrlichkeiten der Zivilisation kennen zu lernen, und doch
war nicht die leiseste Spur einer Veränderung an ihr zu bemerken.
Ich wurde weder nach etwas gefragt noch sonst zu Rat gezogen. Das
einzige, was ich zu besorgen hatte, war die Verpackung der Meßgeräte,
wozu ich von Winnetou eine Anzahl weicher, wollener Decken bekam.
Wir saßen, wie gewöhnlich, während des ganzen Abends beisammen,
ohne daß ein Wort über den beabsichtigten Ritt gesprochen wurde,
und als ich mich schlafen legte, war es mir gar nicht so, als ob ich vor
einer so weiten Reise stünde. Die Ruhe undKaltblütigkeit der In-
dianer hatte mich angesteckt. Am Morgen erwachte ich nicht von selber,
sondern ich wurde von Hawkens geweckt, der mir sagte, daß alles
zum Aufbruch bereit sei. Der Tag war kaum angebrochen, ein später
Herbstmorgen, dessen Kühle bewies, daß es Zeit gewesen war, die
Reise nicht länger aufzuschieben.
Es gab ein kurzes Frühstück, und dann begleiteten uns sämtliche
Bewohner des Pueblo, „Kind und Kegel", wie man sich auszudrücken
pflegt, hinab nach dem Fluß, wo eine Feier vorgenommen werden
sollte, die ich noch nicht gesehn hatte: der Medizinmann sollte erklären,
ob die Reise glücklich oder unglücklich sein würde.
Zu dieser Feierlichkeit waren auch die in der Nähe des Pueblo
wohnenden Apatschen herbeigekommen. Unser großer Ochsenwagen
stand noch da; er konnte von uns natürlich nicht mitgenommen wer-
den, weil er zu schwerfällig war und die Schnelligkeit unserer Reise
beeinträchtigt hätte. Er bildete das „Heiligtum" des Medizinmanns,
der ihn mit Decken verhängt hatte, hinter denen er jetzt steckte.
Es wurde ein weiter Kreis um den Wagen gebildet. Dann begann
die für die Roten „heilige Handlung", die ich aber im stillen mit dem
Ausdrucke „Vorstellung" bezeichnete, mit einem aus dem Wage
tönenden Knurren und Pfauchen, als ob mehrere Hunde und Katzen
im Begriff ständen, einen Kampf zu beginnen.
Ich stand zwischen Winnetou und seiner Schwester. Die große Aehn-
lichkeit der Geschwister trat heut besonders hervor, weil Nscho-tschi
Männerkleidung angelegt hatte. Ihr Anzug glich genau dem ihres
Bruders, der schon beschrieben worden ist. Auch sie hatte keine Kopf-
bedeckung, und ihr Haar in einen Schopf geordnet, grad wie da»
seinige. An ihrem Gürtel hingen mehrere Beutel mit verschiednem
Inhalt; ein Mester und eine Pistole steckten darin, und über ihrem
Rücken hing ein Gewehr. Ihr Anzug war neu und mit bunten
Fransen und Stickereien verziert. Sie sah sehr kriegerisch und dabei
doch so mädchenhaft und reizend aus, daß aller Blicke auf sie gerichtet
waren. Da ich den Anzug trug, den ich geschenkt bekommen hatte, sa
waren wir drei beinah gleich gekleidet.
Ich mochte, als das Pfauchen sich hören ließ, ein nicht grad feier-
liches Gesicht machen, denn Winnetou sagte:
„Mein Bruder kennt diesen Gebrauch noch nicht; er wird im stille«
über uns lachen."
„Mir ist kein religiöser Gebrauch, und wenn ich ihn noch so wenig
verstehn und begreifen kann, lächerlich," antwortete ich.
„Das ist das richtige Wort: religiös. Was du hier sehn und höre«
wirst, ist keine heidnische Mummerei, sondern jede Bewegung und
jeder Laut des Medizinmanns hat eine Bedeutung. Das, was du
jetzt vernimmst, sind die gegen einander streitenden Stimmen de»
guten und des bösen Geschicks."
In dieser Weise erklärte er mir auch den ferner» Verlauf de»
Medizintanzes.
Auf das Pfauchen folgte ein immer wiederkehrendes Geheul, da»
mit sanftern Tönen abwechselte. Das Geheul ertönte, wenn der in
der Zukunft forschende Medizinmann böse Anzeichen wahrnahm, und
die zartern Laute dann, wenn er Gutes voraussah. Als das längere
Zeit gedauert hatte, kam er plötzlich aus dem Wagen gesprungen und
rannte wie ein Wütender brüllend im Kreis herum. Nach und nach
verlangsamten sich seine Schritte; das Brüllen hörte auf; die so gut
„gemimte" Angst, die ihn Herumgetrieben hatte, legte sich, und er
begann einen langsamen, absonderlichen Tanz, der um so seltsamer
war, als er sich das Gesicht mit einer schrecklich aussehenden Maske
bedeckt und den Körper mit allerlei wunderlichen, teils auch, un-
geheuerlichen Gegenständen behängt hatte. Diesen Tanz begleitet«
er mit einem eintönigen Gesang. Beide, Gesang und Tanz, waren
erst bewegter und wurden nach und nach immer ruhiger, bis sie ganz
aufhörten und der Medizinmann sich niedersetzte, um, den Kopf
zwischen die Knie niederbeugend, eine lange Weile laut und bewe-
gungslos zu verharren. Plötzlich aber sprang er auf und verkündete
das Ergebnis seiner Seherschaft in lauten Worten.
„Hört, hört, ihr Söhne und Töchter der Apatschen! Das ist es, was
Manitou, der große, gute Geist, mich erforschen ließ. Jntschu tschuna
und Winnetou, die Häuptlinge der Apatschen, und Old Shatterhand,
der unser weißer Häuptling ist, reiten mit ihren roten und weißen
Kriegern fort, um Nscho-tschi, die junge Tochter unsers Stamms, nach
den Wohnplätzen der Bleichgesichter zu begleiten. Der gute Manitou
ist bereit, sie zu beschützen. Sie werden einige Abenteuer erleben,
ohne Schaden davon zu haben, und glücklich zu uns zurückkehren. Auch
Nscho-tschi, die längere Zeit bei den Bleichgesichtern bleibt, kommt
Von HansSchomaker.
Benediktgaste 1b , . . Gabriele fingert in ihrem winzigen Notizbuch.
Täschler; Familie Franz Täschler; erwerbslos. Dritte Etage. Ga-
briele läßt den Blick über die glatte, gefängnisartige Hausfront glei-
ten. Typische Mietskaserne. Rachitis, Tuberkulose, Anämie, Unter-
ernährung sind neben anderen Krankheiten vertreten. Ein Kranken-
> Haus ohne Arzt, ohne Sonne, ohne Hoffnung
Gabriele bezwingt ein inneres Frösteln, als sie sich durch den eis-
kühlen, feuchten Flur tastet. Der dicke, gelbliche Nebel draußen scheint
, solchen Höhlen zu entsteigen. Vis zum dritten Stock sind 63 Stiegen...
danteske Stufenleiter in die lichtlose Verlorenheit eines Purgato-
riums . . . Sachlich bleiben; kühl bis ins Herz. Ich mutz abgehärtet
sein. Eine Fürsorgerin mutz eine lederne Haut und ein marmornes
Herz haben in solchen Lagen . . . Gabriele paukt vergeblich Grund-
sätze, während sie in immer tieferer Beklommenheit den finsteren
Schacht hinaustastet. Lähmende Stille liegt im Hause. Gabriele wird
von der Wahnvorstellung gepackt, dies sei ein Totenhaus: rechts und
links liegen in muffigen Katakomben starre Leichname, glotzen sie
durch Wände an, verfolgen ihre schleppenden Schritte mit ironisch
verbissenen Masken ...
Es ist eine Erlösung, als sie oben Kindergeschrei vernimmt. Das
gibt ihr Mut und Selbstsicherheit zurück. Sie findet eine schmutzige
Tür, ein Blechschild: Ernst Täschler, Schneidermeister. Gabriele pocht
und tritt ein.
„Bin ich hier richtig bei Familie Täschler?" fragt sie überflüssiger-
weise. Keine Antwort. Sie läßt die klebrige Klinke los, macht einige
Schritte in den Raum, der in blassen, kulissenhaften Umrissen auf-
taucht. Niemand scheint da zu sein. Doch, da bewegt sich ein schwarzes
Bündel auf der Bank neben dem Ungetümen, vierschrötigen Schrank.
Zwei rotumränderte Kinderaugen haben Gabriele schon die ganze
Weile angstvoll bestarrt. Jetzt beginnt es kläglich zu lallen.
„Nunu", beschwichtigte Gabriele und fühlt sich hölzern, hilflos vor
diesem schmutzigen, zerlumpten Ding. Ein blonder, fettiger Schopf
leuchtet sie an. „Heißt du Anton, Kind?" Sie fatzt mit vorsichtigen
Fingern unter ein spitzes Kind.
„Muutaa!" lallt das Wesen und windet sich entsetzt vor dieser unde-
finierbaren Einbrecherin.
Draußen nähern sich Schritte. In der Tür erscheint eine kleine
schmächtige Frau, die einen verwirrten Blick auf Gabriele wirft, sich
die Hände an der Schürze abreibt, einen Gruß stammelt, Entschuldi-
gungen ... Ja, es ist Frau Täschler. Und das in der Ecke ist Anton,
den Gabriele abholen und zu seinen neuen Eltern bringen soll. Anton
ist vier Jahre alt, Frau Täschlers siebtes Kind. Vor einem halben
Jahre tat das gebrechliche Menschlein die ersten zaghaften Schritte.
Bei Gott, kein stolzer Erdenbürger.
„Ja, dann ziehen Sie das Kind nur gleich an, Frau Täschler," sagt
Gabriele sachlich. „Anton kann sofort mitgehen. Die Leute, die ihn
haben wollen, kommen gleich zum Büro."
„Anziehen . . .", murmelte die Frau und irrt mit den Händen um-
her. „Anton soll also sofort mitgehen?" Ohne eine Antwort abzuwar-
!ten, nickt sie heftig. Sie hebt das Kind aus der Ecke, das sofort zu
schreien anfängt. „Ptzt, du kriegst es ja nu besser, als wir alle es ha-
ben, Antonchen. Sei ruhig, das Frollein ist'n netter Mensch, die will
nix Böses . . . So, jetzt kriegst du deinen Sonntagsanzug an, du klei-
ner Dreckfratz, darfst dich nu nich mehr so beschmieren. Jetzt wachste
'ne kleine Reise zu feinen Leuten, Antonchen . . ." Die Frau redet und
redet, zwischendurch fährt sie sich mit dem Handrücken über die ängst-
lichen Augen.
Das Kind hat sich beruhigt. Nachdem es fertig ist, macht es keinen
abstoßenden Eindruck. Nur so blaß und angstvoll. Es steht mit ge-
senktem Kopf auf den krankhaft dünnen Beinchen und schielt Ga-
brielens Rock an.
„Frau Täschler, Sie dürfen das Kind besuchen, so oft Sie wollen.
Allerdings ist es gut, wenn sich Anton schnell an seine neue Umgebung
gewöhnt und Sie und seinen Vater vorerst nicht so oft sieht. Sie wissen
ja, daß er gut aufgehoben sein wird. Da brauchen Sie keine Sorge
zu haben."
Die Frau steht da mit einem schmalen, krummen Rücken und nickt
und zupft verlegen und ratlos an ihrer Schürze. „Ja, wo wir ihn nich
mehr mit durchreisten können . . . s' ist wohl das Beste," murmelte sie
mit niedergeschlagenem Blick. „Mein Mann sagt, es wär 'ne Sünde
und Schande, daß unsereins seine eigenen Kinder weggeben mutz, weil
all die hungrigen Mäuler . . Sie bricht erschrocken ab. Hat sie da
zuviel gesagt? Man weiß nie recht, ob das, was man sagt, auch richtig
ist und mit Verständnis ausgenommen wird. „Nu, schönen Dank, Frol-
lein, für die große Mühe," sagt die Frau. Hinter ihrem krampfhafte«
Höflichkeitslächeln steigen Tränen unwiderstehlich in den trüben Augen
auf. Das hundertfach zerwühlte Antlitz wird sich gleich unter wildem
Tränenschauer verzerren.
Gabriele wendet den Blick weg. Einen Augenblick lang hält Ke
eine dünne, knochige Hand in der ihren . . - „Mütter sind Märtyrer-
innen," fährt es durch ihren Kopf. Irgendwo hat sie das gelesen.
Im finsteren Treppenflur, auf der nebligen Straße, in der Stra-
ßenbahn steht das zerschundens Gesicht der Frau vor ihren Augen«
„Mütter sind Heldinnen," denkt Gabriele.
Das Kamel
Am Rande einer Oase gerieten eine Schnecke und ein Kamel in
Streit, weil die Schnecke behauptete, sie könne schneller laufen als das
große langbeinige Kamel. Es kam zur Wette. Ein hoher Baum am
anderen Ende der Oase wurde als Ziel bestimmt.
Das Rennen begann. Und — es ist kaum zu glauben — die kleine
unscheinbare Schnecke erreichte zuerst das Ziel. Von allen Seiten
kamen die Glückwünsche, dann aber auch die Frage: Wie war das
möglich? Man ging der Sache nach und fand: das dumme Kamel war
den — Dienstweg gegangen! Sturm - Gundal.
Ei« Wunder. „Das ist ein wunderbarer Anzug, den ich jetzt trage!
Die Wolle kam aus Australien — englische Kaufleute verkauften sie
an eine süddeutsche Fabrik — in Sachsen wurde sie gesponnen — in
unserer Stadt der Stoff zugeschnitten . . ."
„An all dem kann ich nichts Wunderbares finden!"
„Nein, das Wunder daran ist nur, daß so viele Leute von einer
Sache leben können, die ich noch gar nicht bezahlt habe!"
Waagerecht: 1. persönliche Eigenschaft, 7. Schwur, 8. Fluß in
Afrika, 9. Frauenname, 12. Sprung, 14. Wagenteil, 15. nordische Gott-
heit, 16. Fürwort, 17. Ozean, 19. Situation, 20. Frauenname, 21. See-
mann, 23. Halbedelstein, 25. Ort in Tirol, 26. Gewässer, 27. Stadt an
der Etsch, 28. Sportmannschaft, 30. Lebenshauch, 31. Schiffsteil, 32.
Stimmlage, 33. Sonntagsname.
Senkrecht: 1. Meßinstrument, 2. Pflanze, 3. Frauenname, 4.
Fürwort, 5. hebräischer Prophet, 6 Leuchtgerät, 10. Sonntagsname,
11. Kleidungsstück, 13. Zeichen (Mehrzahl), 18. Titel, 19. Papstname,
22. Sammelruf, 24. Aermelaufschlag, 29. Monat, 30. Fluß zum Inn.
(ch ---- 1 Buchstabe; ä — ae.)
Rätsellösungen aus der vorigen Nummer.
Silbenrätsel: 1. Eisen, 2. Stola, 3. Iller, 4. Raabe, 5. Rinde, 6.
Tiger, 7. Dienstag, 8. Ehrensried, 9. Rose, 10. Meta, 11. Ebro, 12.
Niere, 13. Säbel, 14. Chiton. EsirrtderMenschsolanger
st r e b t.
Kreuzworträtsel: Waagerecht: 1. Podagra, 7. Orleans, 10«
Rate, 11. Summa, 13. Boe, 14. Alt, 16. Rad, 18. Bahia, 19. Etat, 21«
Nomaden, 22. Retorte.
Senkrecht: 2. Drama, 3. Ger, 4. Raab, 5. Antonie, 6. Husaren,
8. Seemann, 9. Kurator, 12. AAlb, 15. Taler, 17. Dame, 20. Tat.
(Verantwortlich für diese Beilage: C. Fürst, Heidelberg.)
von -Karl «lav
Der Abdruck der vorstehenden Erzählung erfolgt mit Genehmigung des Karl-May-Verlags, Radebeul bei Dresden, der
sämtliche Urheber- und Verlagsrecht« an Karl Mays Gesammelten Werken besitzt.
(Nachdruck verboten.)
„Wollen das abwarten. Ich bin nicht über den Missisippi gegangen,
um ein Westmann zu werden, also habe ich, wenn keiner aus mir
wird, nicht etwa eine verlorene Hoffnung zu beklagen. In diesem
Fall wärt nur Ihr zu bedauern."
„Ich? Warum ich?"
„Weil Ihr Euch so viel Mühe gegeben habt, etwas aus mir zu
machen. Ich höre schon im voraus die Leute sagen, daß ich einen
Lehrmeister gehabt haben müßte, der nichts versteht."
„Nichts versteht? Ich? Sam Hawkens und nichts verstehn, hihihihi!
Ich verstehe alles, alles; ich verstehe es sogar, Euch hier stehn zu lasten,
Sir!"
Er ging, drehte sich aber nach einigen Schritten wieder um und
sagte;
„Merkt Euch aber das: Wenn Ihr nicht das ganze Geld verlangt,
so verlange ichs und steck es Euch dann in die Tasche! Howgh!"
Nach diesen Worten entfernte er sich mit Schritten, die würdevoll
sein sollten, aber grad das Gegenteil davon waren. Das liebe Kerlchen
wünschte mir alles Gute, also auch den ganzen Lohn, woran aber
nicht zu denken war.
Was Jntschu tschuna gesagt hatte, bestätigte sich: ein roter Krieger
bedarf selbst zur weitesten Reise keiner großen Vorkehrungen. Das
Leben im Pueblo nahm auch heut seinen gewöhnlichen, ruhigen Ver-
lauf, ohne daß irgend etwas auf unsre baldige Abreise schließen ließ.
Auch Nscho-tschi, die uns, wie stets zuvor, beim Essen bediente, war
so wie immer. Welche Aufregung und Vorarbeit gibt es bei einer
weißen Dame, die einen kleinen Ausflug machen will! Diese India-
nerin hatte einen weiten und gefährlichen Ritt vor sich, um die viel-
gerühmten Herrlichkeiten der Zivilisation kennen zu lernen, und doch
war nicht die leiseste Spur einer Veränderung an ihr zu bemerken.
Ich wurde weder nach etwas gefragt noch sonst zu Rat gezogen. Das
einzige, was ich zu besorgen hatte, war die Verpackung der Meßgeräte,
wozu ich von Winnetou eine Anzahl weicher, wollener Decken bekam.
Wir saßen, wie gewöhnlich, während des ganzen Abends beisammen,
ohne daß ein Wort über den beabsichtigten Ritt gesprochen wurde,
und als ich mich schlafen legte, war es mir gar nicht so, als ob ich vor
einer so weiten Reise stünde. Die Ruhe undKaltblütigkeit der In-
dianer hatte mich angesteckt. Am Morgen erwachte ich nicht von selber,
sondern ich wurde von Hawkens geweckt, der mir sagte, daß alles
zum Aufbruch bereit sei. Der Tag war kaum angebrochen, ein später
Herbstmorgen, dessen Kühle bewies, daß es Zeit gewesen war, die
Reise nicht länger aufzuschieben.
Es gab ein kurzes Frühstück, und dann begleiteten uns sämtliche
Bewohner des Pueblo, „Kind und Kegel", wie man sich auszudrücken
pflegt, hinab nach dem Fluß, wo eine Feier vorgenommen werden
sollte, die ich noch nicht gesehn hatte: der Medizinmann sollte erklären,
ob die Reise glücklich oder unglücklich sein würde.
Zu dieser Feierlichkeit waren auch die in der Nähe des Pueblo
wohnenden Apatschen herbeigekommen. Unser großer Ochsenwagen
stand noch da; er konnte von uns natürlich nicht mitgenommen wer-
den, weil er zu schwerfällig war und die Schnelligkeit unserer Reise
beeinträchtigt hätte. Er bildete das „Heiligtum" des Medizinmanns,
der ihn mit Decken verhängt hatte, hinter denen er jetzt steckte.
Es wurde ein weiter Kreis um den Wagen gebildet. Dann begann
die für die Roten „heilige Handlung", die ich aber im stillen mit dem
Ausdrucke „Vorstellung" bezeichnete, mit einem aus dem Wage
tönenden Knurren und Pfauchen, als ob mehrere Hunde und Katzen
im Begriff ständen, einen Kampf zu beginnen.
Ich stand zwischen Winnetou und seiner Schwester. Die große Aehn-
lichkeit der Geschwister trat heut besonders hervor, weil Nscho-tschi
Männerkleidung angelegt hatte. Ihr Anzug glich genau dem ihres
Bruders, der schon beschrieben worden ist. Auch sie hatte keine Kopf-
bedeckung, und ihr Haar in einen Schopf geordnet, grad wie da»
seinige. An ihrem Gürtel hingen mehrere Beutel mit verschiednem
Inhalt; ein Mester und eine Pistole steckten darin, und über ihrem
Rücken hing ein Gewehr. Ihr Anzug war neu und mit bunten
Fransen und Stickereien verziert. Sie sah sehr kriegerisch und dabei
doch so mädchenhaft und reizend aus, daß aller Blicke auf sie gerichtet
waren. Da ich den Anzug trug, den ich geschenkt bekommen hatte, sa
waren wir drei beinah gleich gekleidet.
Ich mochte, als das Pfauchen sich hören ließ, ein nicht grad feier-
liches Gesicht machen, denn Winnetou sagte:
„Mein Bruder kennt diesen Gebrauch noch nicht; er wird im stille«
über uns lachen."
„Mir ist kein religiöser Gebrauch, und wenn ich ihn noch so wenig
verstehn und begreifen kann, lächerlich," antwortete ich.
„Das ist das richtige Wort: religiös. Was du hier sehn und höre«
wirst, ist keine heidnische Mummerei, sondern jede Bewegung und
jeder Laut des Medizinmanns hat eine Bedeutung. Das, was du
jetzt vernimmst, sind die gegen einander streitenden Stimmen de»
guten und des bösen Geschicks."
In dieser Weise erklärte er mir auch den ferner» Verlauf de»
Medizintanzes.
Auf das Pfauchen folgte ein immer wiederkehrendes Geheul, da»
mit sanftern Tönen abwechselte. Das Geheul ertönte, wenn der in
der Zukunft forschende Medizinmann böse Anzeichen wahrnahm, und
die zartern Laute dann, wenn er Gutes voraussah. Als das längere
Zeit gedauert hatte, kam er plötzlich aus dem Wagen gesprungen und
rannte wie ein Wütender brüllend im Kreis herum. Nach und nach
verlangsamten sich seine Schritte; das Brüllen hörte auf; die so gut
„gemimte" Angst, die ihn Herumgetrieben hatte, legte sich, und er
begann einen langsamen, absonderlichen Tanz, der um so seltsamer
war, als er sich das Gesicht mit einer schrecklich aussehenden Maske
bedeckt und den Körper mit allerlei wunderlichen, teils auch, un-
geheuerlichen Gegenständen behängt hatte. Diesen Tanz begleitet«
er mit einem eintönigen Gesang. Beide, Gesang und Tanz, waren
erst bewegter und wurden nach und nach immer ruhiger, bis sie ganz
aufhörten und der Medizinmann sich niedersetzte, um, den Kopf
zwischen die Knie niederbeugend, eine lange Weile laut und bewe-
gungslos zu verharren. Plötzlich aber sprang er auf und verkündete
das Ergebnis seiner Seherschaft in lauten Worten.
„Hört, hört, ihr Söhne und Töchter der Apatschen! Das ist es, was
Manitou, der große, gute Geist, mich erforschen ließ. Jntschu tschuna
und Winnetou, die Häuptlinge der Apatschen, und Old Shatterhand,
der unser weißer Häuptling ist, reiten mit ihren roten und weißen
Kriegern fort, um Nscho-tschi, die junge Tochter unsers Stamms, nach
den Wohnplätzen der Bleichgesichter zu begleiten. Der gute Manitou
ist bereit, sie zu beschützen. Sie werden einige Abenteuer erleben,
ohne Schaden davon zu haben, und glücklich zu uns zurückkehren. Auch
Nscho-tschi, die längere Zeit bei den Bleichgesichtern bleibt, kommt