glücklich wieder, und nur einer von ihnen ist es, den wir nicht Wie-
dersehn werden."
Er hielt inne und senkte den Kopf tief herab, um seiner Trauer
über die letzte Tatsache Ausdruck zu geben.
»Uff, uff, uff!" riefen die Roten neugierig und bedauernd; aber
keiner wagte es, zu fragen, wen er meine.
Da der Medizinmann längere Zeit in seiner gebückten Haltung
und seinem Schweigen verharrte, ging meinem kleinen Sam Hawkens
die Geduld aus. Er fragte:
»Wer ist es denn, der nicht zurückkehren wird? Der Mann der
Medizin mag es doch sagen!"
Der Angerufene machte eine verweisende Armbewegung, wartete
nun grad noch lang, hob dann den Kopf, richtete die Augen auf mich
und rief:
„Es wäre besser, wenn nicht danach gefragt worden wäre. Ich wollte
keinen Namen nennen; nun aber hat mich Sam Hawkens, das neu-
gierige Bleichgesicht, gezwungen, es zu sagen. Old Shatterhand ist es,
der nicht wiederkommt. Der Tod trifft ihn in kurzer Zeit. Die, denen
ich eine glückliche Heimkehr verkündet habe, mögen sich vor seiner
Nähe hüten, wenn sie nicht ihr Leben mit dem seinen lassen wollen;
Sie befinden sich bei ihm in Gefahr, von ihm entfernt aber stets in
Sicherheit. Das sagt der große Geist. — Howgh!"
Nach diesen Worten kehrte er in den Wagen zurück. Die Roten rich-
teten scheue Blicke auf mich und ließen Ausdrücke des Bedauerns
hören. Ich galt ihnen von jetzt an als ein verfemter Mann, den
man zu meiden hatte.
„Was ist diesem Kerl denn eingefallen?" meinte Sam zu mir. „Ihr
sollt sterben? Fällt außer diesem Schafskopf keinem Menschen ein!
Dieser Einfall ist natürlich seinem schwindsüchtigen Gehirn entsprun-
gen. Wie mag er nur darauf gekommen sein?"
„Fragt lieber, welche Absicht er dabei verfolgt! Er will mir nicht
wohl. Kein indianischer Medizinmann wird der Freund eines Christen
fein; dieser hier hat niemals ein Wort an mich gerichtet, und ich
habe ihn natürlich mit gleicher Münze bezahlt; er war Luft für mich.
Er fürchtet meinen Einfluß auf die Häuptlinge, der sich bald auf
den ganzen Stamm erstrecken kann, und hat nunmehr die paffende
Gelegenheit ergriffen, dem zuvorzukommen."
„Soll ich hingehn und ihm einige Ohrfeigen ins Gesicht pflanzen,
Sir?"
„Macht keine Dummheit, Sam! Die Sache ist ja die Aufregung
nicht wert."
Jntschu tschuna, Winnetou und Nscho-tschi hatten, als sie die Weis-
sagung des Medizinmanns hörten, einander betroffen angeschaut. Ob
sie an die Wahrheit der Vorhersage glaubten oder nicht, blieb sich
gleich; jedenfalls kannten sie ihre Wirkung auf ihre Untergebnen.
Es sollten dreißig Mann mit uns reiten; wenn diese glaubten, daß
meine Nähe Verderben bringen, so waren llnzuträglichkeiten aller
Art nicht zu vermeiden. Dem konnte, da der Ausspruch des Medizin-
manns nicht abzuändern war, nur dadurch vorgebeugt werden, daß
die Anführer gegen mich dieselben blieben wie vorher und das ihren
Leuten sogleich zeigten. Darum ergriffen sie beide Hände, und Jntschu
tschuna sagte so laut, daß alle es hörten:
„Meine roten Brüder und Schwestern mögen meine Worte ver-
nehmen! Unser Medizinbruder besitzt den Blick, in die Geheimnisse
der Zukunft zu dringen, und sehr oft ist das, was er vorherverkündet
hat, eingetroffen; aber wir haben auch erfahren, daß er sich irren
kann. Er hat in der Zeit großer Dürre den Regen herbeigezogen,
der aber nicht gekommen ist. Vor dem letzten Zug gegen die Komant-
schen verkündete er uns, daß wir große Beute machen würden, doch
der, Sieg, den wir errangen, hat uns nur einige alte Pferde und
drei schlechte Gewehre eingebracht. Als er uns im vorletzten Herbst
sagte, daß wir nach dem Wasser des Toyah gehn müßten, wenn wir
viele Büffel erlegen wollten, haben wir nach seinen Worten getan,
jedoch wir machten so wenig Fleisch, daß dann im Winter beinah eine
Hungersnot ausbrach. Ich könnte euch noch mehrere solche Beispiele
anführen, die beweisen, daß sein Auge zuweilen dunkel ist. Darum
ist es wohl möglich, daß er sich auch jetzt mit unserm Bruder Old
Shatterhand irrt. Ich nehme seine Worte so, als wären sie nicht ge-
sprochen worden und fordere meine Brüder und Schwestern aus, das
auch zu tun. Wir wollen abwarten, ob sie zutreffen."
Da trat mein kleiner Sam Hawkens vor und rief:
„Nein, wir warten nicht; wir brauchen nicht zu warten, denn es
gibt Mittel, sofort zu erfahren, ob der Medizinmann die Wahrheit
verkündet hat."
„Welches Mittel meint mein weißer Bruder?" erkundigte sich
der Häuptling.
„Ich will es euch sagen. Nicht nur die Roten, sondern auch die
Weißen haben ihre Medizinmänner, die es verstehn, die Zukunft zu
erforschen, und ich, Sam Hawkens, bin der berühmteste unter ihnen."
„Uff, uff!" riefen die Apatschen erstaunt.
„Ja, da wundert ihr euch! Ihr habt mich bisher für einen gewöhn-
lichen Westmann gehalten, weil ihr mich noch nicht kennt; aber ich
kann mehr als Kirschen essen, und ihr sollt mich kennenlernen, hihihihi!
Einige von meinen roten Brüdern mögen ihre Tomahawks nehme»
und ein enges, aber tiefes Loch in die Erde graben."
„Will mein weißer Bruder in das Innere der Erde blicken?"
fragte Jtnschu tschuna.
„Ja, denn die Zukunft liegt im Schoß der Erde verborgen, zuweilen
auch in den Sternen; da ich jedoch jetzt am Hellen Tag keine Sterne
sehe, die ich befragen könnte, muß ich mich an die Erde wenden."
Einige Indianer folgten seiner Aufforderung, indem sie mit ihren
Kriegsbeilen ein Loch machten.
„Treibt keinen Humbug, Sam," flüsterte ich ihm zu. „Wenn die
Roten merken, daß Ihr Unsinn macht, so verschlimmert Ihr die Sache,
anstatt sie zu bessern."
„Humbug? Unsinn? Was ist es denn, was der Medizinmann
treibt? Doch auch nichts anderes! Was der kann und darf, das kann
und darf ich auch, wenn ich mich nicht irre, verehrtester Sir.. Ich weiß,
was ich tue. Wenn nichts geschieht, so zeigen sich die Leute, die wir
mitnehmen, widerspenstig. Darauf könnt Ihr Euch verlassen."
„Davon bin ich allerdings auch überzeugt; aber ich bitte Euch, ja
nichts Lächerliches vorzunehmen!"
„Oh, die Sache ist sehr ernst. Habt keine Sorge!"
Es war mir trotz seiner Erklärung nicht wohl zu Mut. Ich kannte
ihn nur zu gut. Es war ein Spaßvogel. Darum hätte ich ihn gern
noch weiter gewarnt, aber er ließ mich stehn und ging zu den In-
dianern, um ihnen zu sagen, wie tief das Loch zu machen sei.
Als es fertig war, trieb er sie fort und zog seinen alten, ledernen
Jagdrock aus. Nachdem er ihn wieder zugeknöpft hatte, setzte er ihn
auf die Erde und das alte Kleidungsstück stand so steif, als wäre es
aus Blech oder Holz gemacht. Er stellte den Rock, der einen hohlen
Zylinder bildete, auf das Loch, gab sich ein gewichtiges Aussehn
und rief:
„Die Männer, Frauen und Kinder der Apatschen werden sehn, was
ich tue und erfahre, und darüber staunen. Die Erde wird mir, wenn
ich meine Zauberworte gesprochen habe, ihren Schoß öffnen, sodaß ich
alles sehe, was in nächster Zeit mit uns gescheh» wird."
Hierauf entfernte er sich ein kleines Stück von dem Loch und
ging dann langsam und mit feierlichen Schritten um diesen Mittel-
punkt herum, wobei er zu meinem Entsetzen das kleine Einmaleins
von der Eins bis mit der Neun hersagte. Glücklicherweise tat er
das so schnell, daß die Roten gar nicht merkten, was er sprach. Als
er mit der Neun zu Ende war, wurden seine Schritte immer schneller,
bis er im Galopp um den Rock sprang, wobei er ein lautes Geheul
hören ließ und seine Arme wie Windmühlenflügel bewegte. Als er
sich außer Atem gelaufen und gebrüllt hatte, trat er zu seinem Rock
hin, machte mehrere tiefe Verbeugungen und steckte den Kopf oben
hinein, um durch den Jagdrock hinab in das Loch zu sehn.
Mir war um den Erfolg dieser Kinderei Lange. Ich blickte mich
im Kreis um und bemerkte zu meiner Beruhigung, daß die Roten
alle mit großem Ernste bei der Sache waren. Auch die Gesichter der
beiden Häuptlinge verrieten keine Mißbilligung; ich war aber über-
zeugt, daß Jntschu tschuna recht wohl wußte, daß Sams Treiben bloße
Spiegelfechterei war.
Sein Kopf steckte wohl fünf Minuten lang in der Kragenöffnung
seines Rockes. Während dieser Zeit bewegte er zuweilen dis Arme
in einer Weise, die deuten sollte, daß er ganz Wichtiges und Wunder-
bares vor den Augen habe. Endlich zog er den Kopf heraus. Seine
Miene war ernst. Er knöpfte den Rock wieder auf, zog ihn an
und gebot:
„Meine roten Brüder mögen das Loch zumachen, denn so lang es
offen steht, darf ich nichts sagen!"
Als das gescheh» war, holte er tief Atem, als ob er sich sehr an-
gegriffen fühlte und verkündete:
„Euer roter Medizinbruder hat falsch gesehn, denn es wird grad
das Gegenteil von dem gescheh», was er sagte. Ich habe alles erfahren,
was uns die nächsten Wochen bringen; aber es ist mir verboten, dar-
über zu sprechen. Nur einiges darf ich berichten. Ich habe Gewehre
in dem Loch gesehn und Schüsse gehört; wir werden also Kämpfe
zu bestehn haben. Der letzte Schutz kam aus dem BärentöM Old
Shatterhands. Wer aber den letzten Schutz hat, kann doch nicht ge-
fallen und gestorben, sondern mutz Sieger sein. Meinen roten Brüdern
droht Unheil. Sie können dem nur dadurch entgehn, daß sie sich in
der Nähe Old Shatterhands halten. Wenn sie aber das tun, was der
Medizinmann von ihnen fordert, so gehn sie zu Grunde. Ich habe
gesprochen. Howgh!"
Die Wirkung dieser Weissagung war, wenigstens im Augenblick,
ganz nach Sams Wunsch. Die Roten glaubten ihm; das sah man
ihnen an. Sie blickten erwartungsvoll nach dem Wagen. Sie glaubten
wohl, daß der Medizinmann heraus kommen würde, um sich zu ver-
teidigen. Er ließ sich aber nicht sehn, und so nahmen sie an, daß er
sich besiegt fühle. Sam Hawkens kam auf mich zu, funkelte mich mit
seinen Aeuglein listig an und fragte:
„Nun, Sir, wie habe ich meine Sache gemacht?"
„Wie ein echter, richtiger Schwindelmeier."
„WM Also gut? Nicht?"
„Ja. Wenigstens hat es den Anschein, als ob Ihr Euer» Zweck
erreicht hättet."
.Habe ihn vollständig erreicht. Der Medizinmann ist geschlagen;
er läßt sich nicht sehn und nicht hören."
Winnetou ließ seine Augen mit einem stillen und doch vielsagenden
Blick auf uns ruhn. Sein Vater war weniger schweigsam; er trat zu
uns und sagte zu Sam:
„Mein weißer Bruder ist ein kluger Mann; er hat den Worten
unsers Medizinmanns die Kraft genommen, und er besitzt einen Rock,
worin wichtige Weissagungen stecken. Dieser kostbare Rock wird be-
rühmt werden von einem großen Wasser bis zum andern. Aber Sam
Hawkens ist mit seiner Vorherverkündigung zu weit gegangen."
„Zu weit? Wieso?" erkundigte sich der Kleine.
„Es hätte genügt, zu sagen, daß Old Shatterhand uns keinen Scha-
den bringt. Warum hat Sam Hawkens hinzugefügt, daß uns Schlim-
mes bevorsteht?"
„Weil ich es im Loch gesehn habe."
Da machte Jntschu tschuna eine abwehrende Handbewegung.
„Der Häuptling der Apatschen weiß, woran er ist; das mag Sam
Hawkens glauben. Es war nicht nötig, von schlimmen Dingen zu
sprechen und unsre Leute mit Besorgnis zu erfüllen."
, Mit Besorgnis? Die Krieger der Apatschen find doch tapfre Män-
ner die sich nicht fürchten werden."
„Sie fürchten sich nicht; das werden sie beweisen, falls unser Ritt,
der ein friedlicher sein soll, uns mit Feinden zusammenführen sollte.
Wir wollen ihn nun beginnen."
Die Pferde wurden gebracht . Es war eine beträchtliche Zahl von
Packtieren dabei, von denen einige meine Meßgeräte zu tragen hat-
ten; die übrigen waren mit Lebensmitteln und andern Notwendig-
keiten beladen.
Es herrscht bei den Indianern der Brauch, daß die fortziehenden
Krieger von den zurückbleibenden eine Strecke weit begleitet wer-
den. Das geschah heut nicht, weil Jntschu tschuna es nicht gewollt
hatte. Die dreißig Roten, die mit uns ritten, nahmen nicht einmal
von ihren Frauen und Kindern Abschied. Sie hatten es wohl schon
vorher getan, denn es öffentlich zu tun, erlaubte ihre Kriegerwürde
nicht.
Einen einzigen gab es, der mit Worten Abschied nahm, nämlich
Sam Hawkens. Er sah Kliuna-ai unter den Frauen stehn, lenkte,
als er bereits im Sattel saß, sein Maultier zu ihr hin und fragte:
„Hat ,Mond' gehört, was ich im Loch der Erde gesehn habe?"
„Du hast es gesagt, und ich hörte es," antwortete sie.
„Ich hätte noch viel mehr sagen können, zum Beispiel auch von dir."
„Von mir? Habe ich auch mit im Loch gesteckt?"
„Ja. Ich sah deine ganze Zukunft vor mir liegen. Soll ich sie dir
mitteilen?"
„Ja, tu das!" bat sie schnell und eifrig. „Was wird mir die Zu-
kunft bringen?"
„Sie wird dir nicht etwas bringen, sondern etwas rauben, etwas,
was dir sehr wert und teuer ist."
„Was ist das?" erkundigte sie sich ängstlich.
„Dein Haar. Du wirst es in einigen Monden verlieren und einen
fürchterlichen Kahlkopf bekommen, grad so wie der Mond, der ja auch
keine Haare hat. Dann werde ich dir meine Perücke schicken. Leb
wohl, du trauriger Mondschein, du!"
Er trieb lachend sein Maultier von dannen, und sie wendete sich
ab, beschämt darüber, daß sie sich durch ihre Neugier hatte aufs Eis
führen lassen.
Die Ordnung, in der wir ritten, machte sich von selber. Jntschu
tschuna und Winnetou mit seiner Schwester und mir waren an der
Spitze; dann folgten Hawkens, Parker und Stone, und hinter ihnen
kamen die dreißig Apatschen, die miteinander abwechselten, die Pack-
pferde zu leiten.
Nscho-tschi saß nach Männerart im Sattel. Sie war, wie ich schon
wutzre, eine ausgezeichnete und auch ausdauernde Reiterin. Ebenso
gut verstand sie ihre Waffen zu handhaben. Wer uns begegnet wäre,
ohne sie zu kennen, hätte sie für einen jüngern Bruder Winnetous
halten müssen; einem schärfern Auge aber konnte die frauenhafte
Weichheit ihrer Gesichtszüge und Körperformen nicht entgehn. Sie
war schön, wirklich schön, trotz ihrem männlichen Anzug.
Die ersten Tage unsrer Reise verliefen ohne irgend ein Ereignis,
das erwähnt zu werden verdiente. Wie bekannt, hatten die Apatschen
fünf Tage gebraucht, um von dem Ort des Ueberfalls nach dem Pueblo
am Rio Pecos zu kommen. Die Beförderung der Gefangnen und Ver-
wundeten hatte diesen Ritt verlangsamt. Wir erreichten schon nach
drei Tagen die Stelle, an der Klekih-petra von Rattler ermordet
worden war. Dort wurde Halt und Nachtlager gemacht. Die Apatschen
trugen Steine zu einem einfachen Denkmal zusammen. Winnetou war
an dieser Stätte noch ernster gestimmt als gewöhnlich. Ich erzählte
ihm, seinem Vater und seiner Schwester, was Klekih-petra mir über
sein früheres Leben mitgeteilt hatte.
Am nächsten Morgen ging es weiter, bis in die Gegend, wo unsre
Meßarbeit so plötzlich durch den lleberfall unterbrochen worden war.
Die Pfähle steckten noch, und ich könnt« sofort beginnen, tat es aber
nicht, weil es zunächst noch Notwendigeres zu tun gab.
Es war nämlich den Apatschen damals nach dem Kampf nicht ein-
gefallen, die toten Weißen und Kiowas zu begraben, sondern sie hat-
ten die Leichen liegen lassen, wie sie lagen. Was von ihnen unter-
lassen worden war, hatten die Geier und andre Raubtiere übernom-
men, freilich in andrer Weise. Die Knochen lagen umher, ost völlig
abgenagt, oft auch mit faulenden Fleischresten behaftet; es war eine
schaurige Arbeit für Sam, Dick, Will und mich, diese Ueberreste zu
sammeln und in ein gemeinschaftliches Grab zu legen. Die Apatschen
beteiligten sich nicht dabei.
Darüber verging der Tag, und ich fing erst am nächsten Morgen
meine Arbeit an. Abgesehn von den Kriegern, die mir die nötigen
Handreichungen leisteten, hals mir besonders Winnetou dabei, und
seine Schwester kam kaum von meiner Seite. Es war ein ganz andres
Schaffen wie damals, wo ich es mit so unangenehmen Menschen zu
tun gehabt hatte. Die Roten, die ich nicht beschäftigte, streiften in der
Gegend herum und brachten dann abends mancherlei Jagdbeute mit.
Es läßt sich denken, daß ich die Arbeit rasch förderte. Ich erreichte
trotz der Schwierigkeit des Geländes den Anschluß an die nächste Ab-
teilung schon nach drei Tagen und bedurfte nur noch eines vierten
Tags, um die Zeichnungen und das Tagebuch zu vervollständigen.
Dann war ich fertig, und das war gut, denn der Winter rückte
schnell heran; die Nächte waren schon empfindlich kalt, sodaß wir
die Feuer bis zum Morgen nicht ausgehn ließen.
Wenn ich gesagt habe, daß die Apatschen mir behilflich waren, so
kann ich doch leider nicht behaupten, daß sie es gern getan hätten. Sie
gehorchten dabei den Befehlen ihrer Häuptlinge; sonst hätten sie
mich schwerlich unterstützt. Man sah es jedem, den ich beschäftigte,
an, daß er sich freute, wenn seine Handreichungen nicht mehr gebraucht
wurden. Und wenn wir dann am Abend beisammen saßen, so lagerten
die dreißig Jndsmen stets entfernter von uns, als es ihnen die Ach-
tung vor ihren Häuptlingen gebot. Diese bemerkten es sehr wohl,
schwiegen aber darüber. Sam beobachtete es auch und meinte zu mir!
„Wollen gar nicht so recht ans Zeug, diese Roten. Es ist und bleibt
doch immer wahr: der Rote ist ein tüchtiger Jäger und tapfrer Krie-
ger, sonst aber ein Faulpelz. Die Arbeit schmeckt ihm nicht."
„Das, was sie für mich tun, strengt nicht im mindesten an und ist
gar keine Arbeit zu nennen. Ihr Widerwille hat wohl einen-andern'
Grund."
„So? Welchen denn?"
„Sie scheinen an die Weissagung ihres Medizinmanns zu denkens
und mehr zu glauben als der Eurigen, lieber Sam."
„Mag sein, wäre aber dumm von ihnen."
„Und sodann ist ihnen meine Arbeit jedenfalls ein Greuel. Di«
hiesige Gegend gehört ihnen, und ich vermesse sie für andre Leute,
für ihre Feinde. Daran müßt Ihr auch denken, Sam."
„Aber ihre Häuptlinge wollen es doch so!"
„Allerdings. Das mutz aber nicht zur Folge haben, daß die gewöhn-
lichen Krieger auch damit einverstanden sind. Sie sind im stillen
dagegen. Und wenn ich sie beobachte, wie sie beisammen sitzen und
leise miteinander sprechen, so sehe ich es ihren Mienen an, daß sie
von mir reden, und zwar nichts, worüber ich mich freuen könnte."
„Kommt mir allerdings auch so vor. Kann uns aber gleichgültig
sein. Was sie denken und reden, kann uns nichts schaden. Wir haben!
es mit Jntschu tschuna, Winnetou und Nscho-tschi zu tun, und über
diese drei können wir doch wohl nicht klagen."
Da hatte er recht. Winnetou und sein Vater waren mir in allem
behilflich und von einer wahrhaft brüderlichen Zuvorkommenheit,!
und die Indianerin sah mir vollends jeden Wunsch an den Augen
ab. Es war, als ob sie jeden meiner Gedanken erraten könnte. Sie'
tat immer nur, was ich wollte, ohne daß ich es auszusprechen brauchte, >
und das erstreckte sich Lis auf Dinge und Kleinigkeiten, die kein Mensch
sonst zu beachten pflegt. Ich wurde ihr mit jedem Tag mehr zur '
Dankbarkeit verpflichtet. Sie war eine scharfe Beobachterin und auf-
merksame Zuhörerin, und ich bemerkte zu meiner Freude und Genug-!
tuung, daß ich, absichtlich oder unabsichtlich, ihr Lehrer war, von dem
sie mit Begierde lernte. Wenn ich sprach, hing ihr Auge an meinest
Lippen, und was ich tat, tat sie dann später genau so, selbst wen»!
es den Gewohnheiten ihrer Rasse widersprach. Sie schien nur für mich'
da zu sein und war für meine Bequemlichkeit und mein Wohlbefinden!
viel besorgter als ich selber, der ich nicht daran dachte, es besser habest'
zu wollen als die andern.
(Fortsetzung folgt.)
Die Mode. E r : „Um Himmels Willen, Liebling, was ist denn ge-
schehen, warum kommst du denn mit dem Pflaster auf dem einen OKk
nach Hause?"
Sie: „Pflaster? Aber Kurt! Das ist doch mein neuer Hut!"
dersehn werden."
Er hielt inne und senkte den Kopf tief herab, um seiner Trauer
über die letzte Tatsache Ausdruck zu geben.
»Uff, uff, uff!" riefen die Roten neugierig und bedauernd; aber
keiner wagte es, zu fragen, wen er meine.
Da der Medizinmann längere Zeit in seiner gebückten Haltung
und seinem Schweigen verharrte, ging meinem kleinen Sam Hawkens
die Geduld aus. Er fragte:
»Wer ist es denn, der nicht zurückkehren wird? Der Mann der
Medizin mag es doch sagen!"
Der Angerufene machte eine verweisende Armbewegung, wartete
nun grad noch lang, hob dann den Kopf, richtete die Augen auf mich
und rief:
„Es wäre besser, wenn nicht danach gefragt worden wäre. Ich wollte
keinen Namen nennen; nun aber hat mich Sam Hawkens, das neu-
gierige Bleichgesicht, gezwungen, es zu sagen. Old Shatterhand ist es,
der nicht wiederkommt. Der Tod trifft ihn in kurzer Zeit. Die, denen
ich eine glückliche Heimkehr verkündet habe, mögen sich vor seiner
Nähe hüten, wenn sie nicht ihr Leben mit dem seinen lassen wollen;
Sie befinden sich bei ihm in Gefahr, von ihm entfernt aber stets in
Sicherheit. Das sagt der große Geist. — Howgh!"
Nach diesen Worten kehrte er in den Wagen zurück. Die Roten rich-
teten scheue Blicke auf mich und ließen Ausdrücke des Bedauerns
hören. Ich galt ihnen von jetzt an als ein verfemter Mann, den
man zu meiden hatte.
„Was ist diesem Kerl denn eingefallen?" meinte Sam zu mir. „Ihr
sollt sterben? Fällt außer diesem Schafskopf keinem Menschen ein!
Dieser Einfall ist natürlich seinem schwindsüchtigen Gehirn entsprun-
gen. Wie mag er nur darauf gekommen sein?"
„Fragt lieber, welche Absicht er dabei verfolgt! Er will mir nicht
wohl. Kein indianischer Medizinmann wird der Freund eines Christen
fein; dieser hier hat niemals ein Wort an mich gerichtet, und ich
habe ihn natürlich mit gleicher Münze bezahlt; er war Luft für mich.
Er fürchtet meinen Einfluß auf die Häuptlinge, der sich bald auf
den ganzen Stamm erstrecken kann, und hat nunmehr die paffende
Gelegenheit ergriffen, dem zuvorzukommen."
„Soll ich hingehn und ihm einige Ohrfeigen ins Gesicht pflanzen,
Sir?"
„Macht keine Dummheit, Sam! Die Sache ist ja die Aufregung
nicht wert."
Jntschu tschuna, Winnetou und Nscho-tschi hatten, als sie die Weis-
sagung des Medizinmanns hörten, einander betroffen angeschaut. Ob
sie an die Wahrheit der Vorhersage glaubten oder nicht, blieb sich
gleich; jedenfalls kannten sie ihre Wirkung auf ihre Untergebnen.
Es sollten dreißig Mann mit uns reiten; wenn diese glaubten, daß
meine Nähe Verderben bringen, so waren llnzuträglichkeiten aller
Art nicht zu vermeiden. Dem konnte, da der Ausspruch des Medizin-
manns nicht abzuändern war, nur dadurch vorgebeugt werden, daß
die Anführer gegen mich dieselben blieben wie vorher und das ihren
Leuten sogleich zeigten. Darum ergriffen sie beide Hände, und Jntschu
tschuna sagte so laut, daß alle es hörten:
„Meine roten Brüder und Schwestern mögen meine Worte ver-
nehmen! Unser Medizinbruder besitzt den Blick, in die Geheimnisse
der Zukunft zu dringen, und sehr oft ist das, was er vorherverkündet
hat, eingetroffen; aber wir haben auch erfahren, daß er sich irren
kann. Er hat in der Zeit großer Dürre den Regen herbeigezogen,
der aber nicht gekommen ist. Vor dem letzten Zug gegen die Komant-
schen verkündete er uns, daß wir große Beute machen würden, doch
der, Sieg, den wir errangen, hat uns nur einige alte Pferde und
drei schlechte Gewehre eingebracht. Als er uns im vorletzten Herbst
sagte, daß wir nach dem Wasser des Toyah gehn müßten, wenn wir
viele Büffel erlegen wollten, haben wir nach seinen Worten getan,
jedoch wir machten so wenig Fleisch, daß dann im Winter beinah eine
Hungersnot ausbrach. Ich könnte euch noch mehrere solche Beispiele
anführen, die beweisen, daß sein Auge zuweilen dunkel ist. Darum
ist es wohl möglich, daß er sich auch jetzt mit unserm Bruder Old
Shatterhand irrt. Ich nehme seine Worte so, als wären sie nicht ge-
sprochen worden und fordere meine Brüder und Schwestern aus, das
auch zu tun. Wir wollen abwarten, ob sie zutreffen."
Da trat mein kleiner Sam Hawkens vor und rief:
„Nein, wir warten nicht; wir brauchen nicht zu warten, denn es
gibt Mittel, sofort zu erfahren, ob der Medizinmann die Wahrheit
verkündet hat."
„Welches Mittel meint mein weißer Bruder?" erkundigte sich
der Häuptling.
„Ich will es euch sagen. Nicht nur die Roten, sondern auch die
Weißen haben ihre Medizinmänner, die es verstehn, die Zukunft zu
erforschen, und ich, Sam Hawkens, bin der berühmteste unter ihnen."
„Uff, uff!" riefen die Apatschen erstaunt.
„Ja, da wundert ihr euch! Ihr habt mich bisher für einen gewöhn-
lichen Westmann gehalten, weil ihr mich noch nicht kennt; aber ich
kann mehr als Kirschen essen, und ihr sollt mich kennenlernen, hihihihi!
Einige von meinen roten Brüdern mögen ihre Tomahawks nehme»
und ein enges, aber tiefes Loch in die Erde graben."
„Will mein weißer Bruder in das Innere der Erde blicken?"
fragte Jtnschu tschuna.
„Ja, denn die Zukunft liegt im Schoß der Erde verborgen, zuweilen
auch in den Sternen; da ich jedoch jetzt am Hellen Tag keine Sterne
sehe, die ich befragen könnte, muß ich mich an die Erde wenden."
Einige Indianer folgten seiner Aufforderung, indem sie mit ihren
Kriegsbeilen ein Loch machten.
„Treibt keinen Humbug, Sam," flüsterte ich ihm zu. „Wenn die
Roten merken, daß Ihr Unsinn macht, so verschlimmert Ihr die Sache,
anstatt sie zu bessern."
„Humbug? Unsinn? Was ist es denn, was der Medizinmann
treibt? Doch auch nichts anderes! Was der kann und darf, das kann
und darf ich auch, wenn ich mich nicht irre, verehrtester Sir.. Ich weiß,
was ich tue. Wenn nichts geschieht, so zeigen sich die Leute, die wir
mitnehmen, widerspenstig. Darauf könnt Ihr Euch verlassen."
„Davon bin ich allerdings auch überzeugt; aber ich bitte Euch, ja
nichts Lächerliches vorzunehmen!"
„Oh, die Sache ist sehr ernst. Habt keine Sorge!"
Es war mir trotz seiner Erklärung nicht wohl zu Mut. Ich kannte
ihn nur zu gut. Es war ein Spaßvogel. Darum hätte ich ihn gern
noch weiter gewarnt, aber er ließ mich stehn und ging zu den In-
dianern, um ihnen zu sagen, wie tief das Loch zu machen sei.
Als es fertig war, trieb er sie fort und zog seinen alten, ledernen
Jagdrock aus. Nachdem er ihn wieder zugeknöpft hatte, setzte er ihn
auf die Erde und das alte Kleidungsstück stand so steif, als wäre es
aus Blech oder Holz gemacht. Er stellte den Rock, der einen hohlen
Zylinder bildete, auf das Loch, gab sich ein gewichtiges Aussehn
und rief:
„Die Männer, Frauen und Kinder der Apatschen werden sehn, was
ich tue und erfahre, und darüber staunen. Die Erde wird mir, wenn
ich meine Zauberworte gesprochen habe, ihren Schoß öffnen, sodaß ich
alles sehe, was in nächster Zeit mit uns gescheh» wird."
Hierauf entfernte er sich ein kleines Stück von dem Loch und
ging dann langsam und mit feierlichen Schritten um diesen Mittel-
punkt herum, wobei er zu meinem Entsetzen das kleine Einmaleins
von der Eins bis mit der Neun hersagte. Glücklicherweise tat er
das so schnell, daß die Roten gar nicht merkten, was er sprach. Als
er mit der Neun zu Ende war, wurden seine Schritte immer schneller,
bis er im Galopp um den Rock sprang, wobei er ein lautes Geheul
hören ließ und seine Arme wie Windmühlenflügel bewegte. Als er
sich außer Atem gelaufen und gebrüllt hatte, trat er zu seinem Rock
hin, machte mehrere tiefe Verbeugungen und steckte den Kopf oben
hinein, um durch den Jagdrock hinab in das Loch zu sehn.
Mir war um den Erfolg dieser Kinderei Lange. Ich blickte mich
im Kreis um und bemerkte zu meiner Beruhigung, daß die Roten
alle mit großem Ernste bei der Sache waren. Auch die Gesichter der
beiden Häuptlinge verrieten keine Mißbilligung; ich war aber über-
zeugt, daß Jntschu tschuna recht wohl wußte, daß Sams Treiben bloße
Spiegelfechterei war.
Sein Kopf steckte wohl fünf Minuten lang in der Kragenöffnung
seines Rockes. Während dieser Zeit bewegte er zuweilen dis Arme
in einer Weise, die deuten sollte, daß er ganz Wichtiges und Wunder-
bares vor den Augen habe. Endlich zog er den Kopf heraus. Seine
Miene war ernst. Er knöpfte den Rock wieder auf, zog ihn an
und gebot:
„Meine roten Brüder mögen das Loch zumachen, denn so lang es
offen steht, darf ich nichts sagen!"
Als das gescheh» war, holte er tief Atem, als ob er sich sehr an-
gegriffen fühlte und verkündete:
„Euer roter Medizinbruder hat falsch gesehn, denn es wird grad
das Gegenteil von dem gescheh», was er sagte. Ich habe alles erfahren,
was uns die nächsten Wochen bringen; aber es ist mir verboten, dar-
über zu sprechen. Nur einiges darf ich berichten. Ich habe Gewehre
in dem Loch gesehn und Schüsse gehört; wir werden also Kämpfe
zu bestehn haben. Der letzte Schutz kam aus dem BärentöM Old
Shatterhands. Wer aber den letzten Schutz hat, kann doch nicht ge-
fallen und gestorben, sondern mutz Sieger sein. Meinen roten Brüdern
droht Unheil. Sie können dem nur dadurch entgehn, daß sie sich in
der Nähe Old Shatterhands halten. Wenn sie aber das tun, was der
Medizinmann von ihnen fordert, so gehn sie zu Grunde. Ich habe
gesprochen. Howgh!"
Die Wirkung dieser Weissagung war, wenigstens im Augenblick,
ganz nach Sams Wunsch. Die Roten glaubten ihm; das sah man
ihnen an. Sie blickten erwartungsvoll nach dem Wagen. Sie glaubten
wohl, daß der Medizinmann heraus kommen würde, um sich zu ver-
teidigen. Er ließ sich aber nicht sehn, und so nahmen sie an, daß er
sich besiegt fühle. Sam Hawkens kam auf mich zu, funkelte mich mit
seinen Aeuglein listig an und fragte:
„Nun, Sir, wie habe ich meine Sache gemacht?"
„Wie ein echter, richtiger Schwindelmeier."
„WM Also gut? Nicht?"
„Ja. Wenigstens hat es den Anschein, als ob Ihr Euer» Zweck
erreicht hättet."
.Habe ihn vollständig erreicht. Der Medizinmann ist geschlagen;
er läßt sich nicht sehn und nicht hören."
Winnetou ließ seine Augen mit einem stillen und doch vielsagenden
Blick auf uns ruhn. Sein Vater war weniger schweigsam; er trat zu
uns und sagte zu Sam:
„Mein weißer Bruder ist ein kluger Mann; er hat den Worten
unsers Medizinmanns die Kraft genommen, und er besitzt einen Rock,
worin wichtige Weissagungen stecken. Dieser kostbare Rock wird be-
rühmt werden von einem großen Wasser bis zum andern. Aber Sam
Hawkens ist mit seiner Vorherverkündigung zu weit gegangen."
„Zu weit? Wieso?" erkundigte sich der Kleine.
„Es hätte genügt, zu sagen, daß Old Shatterhand uns keinen Scha-
den bringt. Warum hat Sam Hawkens hinzugefügt, daß uns Schlim-
mes bevorsteht?"
„Weil ich es im Loch gesehn habe."
Da machte Jntschu tschuna eine abwehrende Handbewegung.
„Der Häuptling der Apatschen weiß, woran er ist; das mag Sam
Hawkens glauben. Es war nicht nötig, von schlimmen Dingen zu
sprechen und unsre Leute mit Besorgnis zu erfüllen."
, Mit Besorgnis? Die Krieger der Apatschen find doch tapfre Män-
ner die sich nicht fürchten werden."
„Sie fürchten sich nicht; das werden sie beweisen, falls unser Ritt,
der ein friedlicher sein soll, uns mit Feinden zusammenführen sollte.
Wir wollen ihn nun beginnen."
Die Pferde wurden gebracht . Es war eine beträchtliche Zahl von
Packtieren dabei, von denen einige meine Meßgeräte zu tragen hat-
ten; die übrigen waren mit Lebensmitteln und andern Notwendig-
keiten beladen.
Es herrscht bei den Indianern der Brauch, daß die fortziehenden
Krieger von den zurückbleibenden eine Strecke weit begleitet wer-
den. Das geschah heut nicht, weil Jntschu tschuna es nicht gewollt
hatte. Die dreißig Roten, die mit uns ritten, nahmen nicht einmal
von ihren Frauen und Kindern Abschied. Sie hatten es wohl schon
vorher getan, denn es öffentlich zu tun, erlaubte ihre Kriegerwürde
nicht.
Einen einzigen gab es, der mit Worten Abschied nahm, nämlich
Sam Hawkens. Er sah Kliuna-ai unter den Frauen stehn, lenkte,
als er bereits im Sattel saß, sein Maultier zu ihr hin und fragte:
„Hat ,Mond' gehört, was ich im Loch der Erde gesehn habe?"
„Du hast es gesagt, und ich hörte es," antwortete sie.
„Ich hätte noch viel mehr sagen können, zum Beispiel auch von dir."
„Von mir? Habe ich auch mit im Loch gesteckt?"
„Ja. Ich sah deine ganze Zukunft vor mir liegen. Soll ich sie dir
mitteilen?"
„Ja, tu das!" bat sie schnell und eifrig. „Was wird mir die Zu-
kunft bringen?"
„Sie wird dir nicht etwas bringen, sondern etwas rauben, etwas,
was dir sehr wert und teuer ist."
„Was ist das?" erkundigte sie sich ängstlich.
„Dein Haar. Du wirst es in einigen Monden verlieren und einen
fürchterlichen Kahlkopf bekommen, grad so wie der Mond, der ja auch
keine Haare hat. Dann werde ich dir meine Perücke schicken. Leb
wohl, du trauriger Mondschein, du!"
Er trieb lachend sein Maultier von dannen, und sie wendete sich
ab, beschämt darüber, daß sie sich durch ihre Neugier hatte aufs Eis
führen lassen.
Die Ordnung, in der wir ritten, machte sich von selber. Jntschu
tschuna und Winnetou mit seiner Schwester und mir waren an der
Spitze; dann folgten Hawkens, Parker und Stone, und hinter ihnen
kamen die dreißig Apatschen, die miteinander abwechselten, die Pack-
pferde zu leiten.
Nscho-tschi saß nach Männerart im Sattel. Sie war, wie ich schon
wutzre, eine ausgezeichnete und auch ausdauernde Reiterin. Ebenso
gut verstand sie ihre Waffen zu handhaben. Wer uns begegnet wäre,
ohne sie zu kennen, hätte sie für einen jüngern Bruder Winnetous
halten müssen; einem schärfern Auge aber konnte die frauenhafte
Weichheit ihrer Gesichtszüge und Körperformen nicht entgehn. Sie
war schön, wirklich schön, trotz ihrem männlichen Anzug.
Die ersten Tage unsrer Reise verliefen ohne irgend ein Ereignis,
das erwähnt zu werden verdiente. Wie bekannt, hatten die Apatschen
fünf Tage gebraucht, um von dem Ort des Ueberfalls nach dem Pueblo
am Rio Pecos zu kommen. Die Beförderung der Gefangnen und Ver-
wundeten hatte diesen Ritt verlangsamt. Wir erreichten schon nach
drei Tagen die Stelle, an der Klekih-petra von Rattler ermordet
worden war. Dort wurde Halt und Nachtlager gemacht. Die Apatschen
trugen Steine zu einem einfachen Denkmal zusammen. Winnetou war
an dieser Stätte noch ernster gestimmt als gewöhnlich. Ich erzählte
ihm, seinem Vater und seiner Schwester, was Klekih-petra mir über
sein früheres Leben mitgeteilt hatte.
Am nächsten Morgen ging es weiter, bis in die Gegend, wo unsre
Meßarbeit so plötzlich durch den lleberfall unterbrochen worden war.
Die Pfähle steckten noch, und ich könnt« sofort beginnen, tat es aber
nicht, weil es zunächst noch Notwendigeres zu tun gab.
Es war nämlich den Apatschen damals nach dem Kampf nicht ein-
gefallen, die toten Weißen und Kiowas zu begraben, sondern sie hat-
ten die Leichen liegen lassen, wie sie lagen. Was von ihnen unter-
lassen worden war, hatten die Geier und andre Raubtiere übernom-
men, freilich in andrer Weise. Die Knochen lagen umher, ost völlig
abgenagt, oft auch mit faulenden Fleischresten behaftet; es war eine
schaurige Arbeit für Sam, Dick, Will und mich, diese Ueberreste zu
sammeln und in ein gemeinschaftliches Grab zu legen. Die Apatschen
beteiligten sich nicht dabei.
Darüber verging der Tag, und ich fing erst am nächsten Morgen
meine Arbeit an. Abgesehn von den Kriegern, die mir die nötigen
Handreichungen leisteten, hals mir besonders Winnetou dabei, und
seine Schwester kam kaum von meiner Seite. Es war ein ganz andres
Schaffen wie damals, wo ich es mit so unangenehmen Menschen zu
tun gehabt hatte. Die Roten, die ich nicht beschäftigte, streiften in der
Gegend herum und brachten dann abends mancherlei Jagdbeute mit.
Es läßt sich denken, daß ich die Arbeit rasch förderte. Ich erreichte
trotz der Schwierigkeit des Geländes den Anschluß an die nächste Ab-
teilung schon nach drei Tagen und bedurfte nur noch eines vierten
Tags, um die Zeichnungen und das Tagebuch zu vervollständigen.
Dann war ich fertig, und das war gut, denn der Winter rückte
schnell heran; die Nächte waren schon empfindlich kalt, sodaß wir
die Feuer bis zum Morgen nicht ausgehn ließen.
Wenn ich gesagt habe, daß die Apatschen mir behilflich waren, so
kann ich doch leider nicht behaupten, daß sie es gern getan hätten. Sie
gehorchten dabei den Befehlen ihrer Häuptlinge; sonst hätten sie
mich schwerlich unterstützt. Man sah es jedem, den ich beschäftigte,
an, daß er sich freute, wenn seine Handreichungen nicht mehr gebraucht
wurden. Und wenn wir dann am Abend beisammen saßen, so lagerten
die dreißig Jndsmen stets entfernter von uns, als es ihnen die Ach-
tung vor ihren Häuptlingen gebot. Diese bemerkten es sehr wohl,
schwiegen aber darüber. Sam beobachtete es auch und meinte zu mir!
„Wollen gar nicht so recht ans Zeug, diese Roten. Es ist und bleibt
doch immer wahr: der Rote ist ein tüchtiger Jäger und tapfrer Krie-
ger, sonst aber ein Faulpelz. Die Arbeit schmeckt ihm nicht."
„Das, was sie für mich tun, strengt nicht im mindesten an und ist
gar keine Arbeit zu nennen. Ihr Widerwille hat wohl einen-andern'
Grund."
„So? Welchen denn?"
„Sie scheinen an die Weissagung ihres Medizinmanns zu denkens
und mehr zu glauben als der Eurigen, lieber Sam."
„Mag sein, wäre aber dumm von ihnen."
„Und sodann ist ihnen meine Arbeit jedenfalls ein Greuel. Di«
hiesige Gegend gehört ihnen, und ich vermesse sie für andre Leute,
für ihre Feinde. Daran müßt Ihr auch denken, Sam."
„Aber ihre Häuptlinge wollen es doch so!"
„Allerdings. Das mutz aber nicht zur Folge haben, daß die gewöhn-
lichen Krieger auch damit einverstanden sind. Sie sind im stillen
dagegen. Und wenn ich sie beobachte, wie sie beisammen sitzen und
leise miteinander sprechen, so sehe ich es ihren Mienen an, daß sie
von mir reden, und zwar nichts, worüber ich mich freuen könnte."
„Kommt mir allerdings auch so vor. Kann uns aber gleichgültig
sein. Was sie denken und reden, kann uns nichts schaden. Wir haben!
es mit Jntschu tschuna, Winnetou und Nscho-tschi zu tun, und über
diese drei können wir doch wohl nicht klagen."
Da hatte er recht. Winnetou und sein Vater waren mir in allem
behilflich und von einer wahrhaft brüderlichen Zuvorkommenheit,!
und die Indianerin sah mir vollends jeden Wunsch an den Augen
ab. Es war, als ob sie jeden meiner Gedanken erraten könnte. Sie'
tat immer nur, was ich wollte, ohne daß ich es auszusprechen brauchte, >
und das erstreckte sich Lis auf Dinge und Kleinigkeiten, die kein Mensch
sonst zu beachten pflegt. Ich wurde ihr mit jedem Tag mehr zur '
Dankbarkeit verpflichtet. Sie war eine scharfe Beobachterin und auf-
merksame Zuhörerin, und ich bemerkte zu meiner Freude und Genug-!
tuung, daß ich, absichtlich oder unabsichtlich, ihr Lehrer war, von dem
sie mit Begierde lernte. Wenn ich sprach, hing ihr Auge an meinest
Lippen, und was ich tat, tat sie dann später genau so, selbst wen»!
es den Gewohnheiten ihrer Rasse widersprach. Sie schien nur für mich'
da zu sein und war für meine Bequemlichkeit und mein Wohlbefinden!
viel besorgter als ich selber, der ich nicht daran dachte, es besser habest'
zu wollen als die andern.
(Fortsetzung folgt.)
Die Mode. E r : „Um Himmels Willen, Liebling, was ist denn ge-
schehen, warum kommst du denn mit dem Pflaster auf dem einen OKk
nach Hause?"
Sie: „Pflaster? Aber Kurt! Das ist doch mein neuer Hut!"