Spanien und Amerika.
Es ist, als habe das Weihnachtsfest den wilden
Trotz der Gemüther besänftigt, als habe der Friedens-
engel alle Herzen für seine Sache gewonnen. Noch
vor 8 Tagen war die Aufregung in Spanien eine
ungeheuere; überall wurde in die Kriegsposaunen ge-
stoßen; es war nicht genug damit, daß Spanien zur
Niederwerfung der furchtbaren Ausstände auf Cuba
und den Philippinen 290 000 Mann über's Meer
geschickt hat, er mußten noch weitere 500 000 mobil
gemacht werden, um unverzüglich gegen die Vereinig-
ten Staaten auszurücken! Wie anders ist doch die
Stimmung heute! Allenthalben glätten sich die Wo-
gen, die Brust Aller schwellt sich von freudigen Hoff-
nungen; man hört nur mehr vom Frieden sprechen.
Herr Canovas del Castillo, der noch vor einigen
Monaten, mit Bezug auf die cubanische Insurrektion,
hoch und feierlich erklärte, er werde den Krieg nur
durch den Krieg bekämpfen, und der von Vergleichen
nichts hören wollte, scheint jetzt zu besserer Einsicht
gekommen zu sein. Man hört wenigstens überall be-
haupten, den Cubaneru würden in Bälde die weitest-
gehenden Reformen gewährt werden, und zwar im
Einvernehmen mit den Vereinigten Staaten. Mr.
Taylor, der Vertreter der Ver. Staaten in Madrid, hat in
der That dieser Tage häufige Unterredungen mit dem
spanischen Premier gehabt, und obgleich über die ver-
handelten Gegenstände nichts Sicheres in die Oeffent-
lichkeit gedrungen ist, so will man doch wissen, daß
sie im Zusammenhänge stehen mit einer nahe bevor-
stehenden Regelung der kubanischen Angelegenheit.
Weiter verlautet, die mropäiscken Großmächte hätten
durch ihre Botschafter der spanischen Regierung den
Rath ertheilt, so bald als möglich der Jasel Cuba
die Selbstverwaltung zu gewähren, um so den Ver-
einigten Staaten jeden gerechten Grund einer Ein-
mischung auf der großen Antille zu benehmen. Der
spanische Ministerpräsident — so hört man in gut
unterrichteten Kreisen sagen — hat die Ueberzeugung
gewonnen, daß er mit dieser in Europa allgemeinen
Stimmung rechnen muß. Starre Unnachgiebigkeit
würde Spanien die Sympathien der Mächte abwendig
machen und Spaniens Lage nur verschlimmern. Wenn
sich Spanien nun diese Sympathien zu bewahren
weiß, so erscheint es noch sehr fraglich, ob eS deshalb
auf die materielle Unterstützung der Mächte rechnen
kann, aber jedenfalls wird ihm deren moralische Unter-
stützung nicht fehlen, und werden ihre Vorstellungen
sicherlich nicht ohne Einfluß auf die Haltung der
Amerikaner bleiben. Die Reformen, die der Insel
Cuba zu gewähren sind, werden naturgemäß weiter-
gehend sein, als die durch die liberalen Kvrtes vo-
tirten, denn die Zustände sind mit der Zeit ganz an-
dere geworden. ES muß zunächst an den Wieder-
aufbau der wirthschaftlichen Lage der Kolonie gedacht
werden. Da säwmtliche Kriegikosten dem Budget
der Insel zur Last gelegt werden müssen, so muß da-
rauf gesonnen werden, diese Last überhaupt erträglich
zu machen. Zunächst wird man, um das Leben zu
verbilligen und den Handel zu heben, die Zolltarife
bedeutend ermäßigen. Sodann muß die Besteuerung
umgeändert und, um alle Klagen verstummen zu Mächen,
die gesammte Verwaltung der Insel dem einheimischen
Element überlassen werden.
In amtlichen Kreisen stellt man gegenüber verschie-
denen Zeitungsmeldungen durchaus nicht in Abrede,
daß die spanisch-amerikanische Frage in eine Phase
eingelenkt ist, die den Ausgangspunkt einer baldigen
friedlichen Beilegung bilden dürfte. Da man aber
dort noch vor kurzer Zeit höchst kriegerisch gestimmt
war und nur Feuer und Schwert als einzig wirksames
Mittel zur Ueberwindung der bestehenden Schwierig-
keiten gelten lassen wollte, so will man nicht so plötz-
lich beidrehen und rückt nur allmählich mit der Wahr-
heit heraus. Da heißt eS denn: Die Reformen
werden Cuba gewährt werden, aber nicht schon gleich,
sondern im geeigneten Augenblicke, nachdem bedeutende
Waffenerfolge auf Cuba erzielt sein werden, oder
doch, sobald wenigstens die Provinz Pinar del Rio
von Insurgenten gesäubert sein wird. Dieser Augen-
blick wird, wie eS scheint, nicht mehr lange auf sich
warten lassen. General Weyler — so wird nach hier ge-
kabelt — der in der genannten Provirz an der Spitze
von 40 Bataillonen operirt, erklärt,daß binnen weni-
gen Tagen die ganze Provinz pacificirt sein werde.
Die wenigen Insurgenten, die in derselben verharren
seien förmlich ausgehungert, verstecken ihre Waffen
und nähern sich den Kolonnen als friedliche Land-
leute, die um ein Stück Brod betteln. Ob diese Er-
klärungen der Thatsachen entsprechen oder nicht, ver-
schlägt eigentlich wenig. Wir konstatiren blos, daß
alles auf eine baldige Wendung zum Besseren hin-
deutet. Werden den Cubanern weitgehende Reformen
gewährt, so werden sie wahrscheinlich die Waffen nieder-
legen. In diesem Sinne soll sich übrigens der alters-
schwache und durch den Tod seiner Sohnes ganz
gebrochene Jnsurgentenanführer Maximo Gomez ge-
äußert haben. Der vor kurzem gefallene Maceo war
der einzige Cabezilla, der von einem Vergleich nichts
hören wolle. Sollte nach Gewährung der Reformen
der Krieg dennoch fortdauern, so würden die Vereinig-
ten Staaten sich von jeder Einmischung enthalten, und
mit den Kubanern allein würden die Spanier schon
fertig werden. Es ist jedenfalls zu wünschen, daß
man auf der einen, wie auf der andern Seite zur
Nachgiebigkeit geneigt sei, auf daß der unselige Krieg,
der ein herrliches Land verödet und Hnnderttausende
von Menschenleben hinrafft, endlich aufhöre.
Deutsches Reich.
* Berlin, 1. Jan. Der Kaiser nahm vorgestern
längere Zeit an der Sitzung deS StaatsminifleriumS
theil.
* Berlin, 31. Dez. In der Freien Vereinigung
der Berliner Produktenbörse, die gestern Abend die
Auflösung der Börse beschloß, waren auch mehrere
Mitglieder des Teltestenkollegiums, so die Kammer-
zienräthe Schütt und Sobernheim, anwesend. Es
wurde von den verschiedenen Rednern betont, daß
nicht eine Umgehung des Gesetzes, sondern die Wah-
rung der Ehre des Kaufmannsstandes maßgebend für
den Beschluß sei. Namentlich Herr Sobernheim führte
aus, die Produktenbörse allein sei maßgebend für das
Urtheil, was ihre Ehre verletze oder nicht. Es werde
vielleicht der Versuch gemacht werden, neue Formen,
unter denen man den Getreidehandel fortsetzeu wolle,
durch irgend welche Interpretation des Gesetzes zu
unterdrücken und es sei möglich, daß eine Zeit harten
Kampfes komme. Andererseits aber scheine es jetzt
schon, als ob die Regierung sich nicht mehr recht wohl
fühle und auf Mittel und Wege sinne, den Forder-
ungen des ehrbahren Kaufmannsstandes gerecht zu
werden. Allgemein w rd erwartet, daß auch der Spi-
ritushandel von der Börse auswandert.
* Berlin, 31. Dez. Der als Anarchist bekannte
Schneidermeister Töps und der Musikdirektor Olbrich
sind dieser Tage aus bis jetzt unbekannten Gründen
verhaftet worden.
* München, 31. Dez. Wie sehr mitunter die
Gesetzeshandhabung von der einfachen natürlichen und
praktischen Anschauung der Dinge sich entfernt, zeigt
ein Erkenntniß des Verwaltungsgerichtshofs. Nach
dem bayerischen Heimathgesetz besitzen An-
gehörige des bayerischen Staates das Anrecht auf un-
entgeltliche Verleihung des HeimathSrechtS, wenn sie
sich während voller 7 Jahre ununterbrochen in einer
Gemeinde als Dienstboten, Gewerbegehilfen, Fabrik-
arbeiter oder Lohnarbeiter ernährten und nicht richter-
lich zu einer Freiheitsstrafe verurthei.lt worden sind.
Der Magistrat Nürnbergs, die Regierung von Mittel-
franken und nun auch der Verwaltungsgerichtshof ha-
ben aber die Gesuche zweier in Nürnberg wohnender
Arbeiter um unentgeltlicher Verleihung deS Heimath-
rechtS abgewiesen, weil sie wohl in Nürnberg
wohnen, aber die Fabrik, in der sie beschäftigt
sind, außerhalb der Stadtgrenze liegt. Das
ist eine Auslegung des Begriffes „ernähren",
der alles praktischen Anschauungen zuwiderlauft. Es
wird dadurch der Zweck des Gesetzes für viele Perso-
nen geradezu illussokisch gemacht. Da spricht man
immer von sozialen Aufgaben unserer Zeit. Man
hat Arbeiterfahrkarten, Borortsverkehr, Straßenbahnen,
um den Arbeitern die entferntere Arbeitsstätte leichter
erreichbar zu machen und hier schafft man Begriffe,
die es einer Anzahl vielleicht sehr fleißiger Arbeiter
unmöglich machen, an dem Ort, an dem er wohnt,
das unentgeltliche Heimathrecht zu erhalten, das ein
Anderer bekommt, der im Orte selbst faullenzt.
* Lrefeld, 31. Dez. Die Generalversammlung
des rheinischen Bauernvereins zu Neuß verlangte die
Einführung keiner Landwithschafts-Kammer "für die
Rheinprovinz, die Vorlage eines neuen Margarinen-
gesetzes mit verschärften Bestimmungen "über Färbung,
sanitäre Kontrolle-Besteuerung, Verbot von Kunst-
käse Fabrikation und gleichzeitige Herstellung von Mar-
garine in einer Fabrik.
* Hamburg, 31. Dez. In einer heute stattge-
habten Versammlung sämmtlicher Mitgliedschaften der
streikenden Hafenarbeitern wurden letztere ermahnt, auch
am heutigen Sylvesterabend die größte Ruhe zu be-
wahren. Desgleichen möchten die Streikenden auch
im neuen Jahre fest Zusammenhalten. Heute Nach-
mittag wurde ein durch einen Unfall zu Schaden ge-
kommener Arbeiter beerdigt. Etwa 4000 Streikende
mit Fahnen und Mnsikhörnern betheiligten sich an
der Leichenfeier. — Nach den neueste» Meldungen ist
im Streikstaud keine wesentliche Veränderung bemerk-
bar. Die Streikführer erklärten, daß sie bereits für
3 Wochen Streikgelder besitzen, und muntern die
Theilnehmer auf, auszuharren. Andererseits sind die
Arbeitgeber zum Nachgeben nicht bereit, obgleich sie
die enorme Schädigung der Handels anerkennen. In
einer heutigen Versammlung wurde dies mehrfach
betont.
Ausland.
* Budapest, 31. Dez. Wegen Veröffentlichung
von 3 diplomatischen Aktenstücken bezüglich der Zoll-
verhandlungen zwischen Rußland und Deutschland,
die kürzlich im Ackerbauministerium gestohlen wurden,
standen heute der Diurnist Josef Pascholvt und der
Redakteur Jnczedy vom „Magyar Ocszig" vor Ge-
richt. Die Vertheidigung verlangte die Vorladung'jdes
Ackerbauministeriums, was der Gerichtshof verweigerte.
Paschol) wurde zu 7 Monaten Kerker und dreijähri-
gem Amtsverlust, Jnczedy zu 3 Monaten Gefängniß
und 400 fl. Geldstrafe verurtheilt.
* Belgrad, 31. Dez. In der heutigen Sitzung
der Skupschtina verlas der Minister des Innern
Georgiewitsch einen UkaS des Königs, durch welchen
die Skupschtina aufgelöst wird. Die Fortschrittspar-
tei beschloß, sich völlig aufzulösen.
* Paris, 31. Dez. Der „Soleil" schreibt, es sei
nothwendig, das Publikum über den Stand der Frage
der Umgestaltung der Artillerie aufzuklären. Frank-
reich werde alle für die nationale Vertheidigung nö<
thigen Opfer bringen.
* Stockholm, 31. Dez. Seit einigen Tagen ist
der älteste Sohn des Kronprinzen von Schweden
und Norwegen, Prinz Gustav Adolf an einer Ohren-
entzündung unter Fiebererscheinungen erkrankt. Die
letzte Nacht verlief unruhig unter heftigen Schmerzen.
Temperatur beträgt 39.3°.
* Madrid, 31. Dez. Die Hauptblätter enthüllen
heute Unterschleife der Kciegsverwaltung auf Cuba.
Die Soldaten wurden gänzlich verwahrlost; die Vor-
gesetzten steckten die für Arzneien, Kleidung und Le-
bensmittet bestimmten Summen zu einem großen
Theile ein. Der „Jmparcial" verlangt heftig die
Abberufung der Schuldigen; der Kriegsminister Az-
carraga solle den Oberbefehl auf Cuba übernehmen.
Weyler'S Stellung ist sehr erschüttert. — Beim Ver-
lassen des Ministerraths sagte der Kriegsminister, die
angeblichen Enthüllungen über U aterschieife der Kriegs-
verwaltung auf Kuba seien unbegründet. D r „Jm-
parcial" und der „Heraldo" wurden deshalb be-
schlagnahmt.
* Washington, 31. Dez. Spanien hätte sich
erboten, die Vermittlung der llnionstaaten hinsichtlich
Cuba's anzunehmen, sobald General Weyler die Auf-
ständischen aus der Provinz Pinar del Rio vertrieben
haben würde. Alsdann würde Spanien zur Annahme
fast jeden Vorschlages bereit sein, mit Ausnahme des-
jenigen, der auf die Autonomie und Unabhängigkeit
ver Insel abzielen würde.
* Capstadt, 31. Dez. Cecil RhodeS ist gestern
hier eingetroffen und von einer großen Menschen-
menge begeistert empfangen worden. Auch aus allen
Haltepunkten seiner Reise hierher wurde er herzlich
begrüßt. In seiner kurzen Erwiderung auf die ihm
hier überreichten Adresse äußerte er seinen Dank für
die Herzlichkeit des Empfanges, die er als Aner-
kennung seiner Thätigkeit im Norden des Kolonial-
landes ansehe. Ausdehnung bedeute in Südafrika
Union. Ec halte an seiner vorjährigen Aeußerung
fest, daß seine Wirksamkeit im öffentlichen Dienste erst
jetzt beginnen werde.
* Bombay, 30. Dez. Wie verlautet, entsendete
Afgahanistan drei Regimenter von Asmar nach einem
25 Meilen weiter südlich gelegenen Orte im Moh-
mandlande. Man glaubt, der Schritt sei durch die
Annahme veranlaßt, daß Streit gkeiten zwischen den
Bewohnern von Mohmandland und dem Kahn von
Nawagai auf der britischen Seite der Grenze bevor-
stehen.
* Manila, 1. Jan. Dr. Riegel wurde hier er-
schossen. Er soll einer der Hauptanstifter des Auf-
standes gewesen sein; auch zählte er zu den hervor-
ragensten und angesehensten Männer der Stadt. Seine
Studien machte er in Europa und besaß 3 Doktor-
Diplomen, darunter das der Medizin. Vor dem
Kriegsgericht wurde ihm der Prozeß wegen Hoch-
verraths gemacht und er wurde kurzweg zum Tode
verurtheilt. Sein letzter Wunsch war, mit seiner Ge-
liebten, einer Canadierin, noch getraut zu werde«.
Seine Verwandten wollten bei Polavieja um Gnade
für ihn bitten, aber sie wurden nicht vorgelassen und
er gelang ihnen auch nicht, die Leiche des Erschossenen
zu bekommen. Die Behörden hatten Maßregeln ge-
troffen, um Volkskundgebungen zu verhindern.
Aus Baden.
* Karlsruhe, 31. Dezember. DaS Ministerium
deS Innern hat den Landeskommissar Ministerial-
rath Freiherr» von Rüdt - Collenberg zum Staats-
kommissar für die Börse in Mannheim und den
Geh. RegierungSrath Pfisterer zu dessen Stellvertreter
ernannt. Wie die „Karlsr. Ztg." vernimmt, haben
die von der Mannheimer Handelskammer, bezüglich
der Organisation der dortigen Börse, geäußerte«
Wünsche in der Börsenordnung eine weitgehende Be-
rücksichtigung erfahren.
* Karlsruhe, 1. Jan. Nach dem soeben er-
schienenen Jahresbericht der Generaldirektion der bad.
Staatseisenbahnen pro 1895 betrug die Gesammt«
brutto-Einnahme auf diesen Bahnen 54,013,076 M.,
im Jahre 1894: 50,721,078 M., daher in ersterem
Es ist, als habe das Weihnachtsfest den wilden
Trotz der Gemüther besänftigt, als habe der Friedens-
engel alle Herzen für seine Sache gewonnen. Noch
vor 8 Tagen war die Aufregung in Spanien eine
ungeheuere; überall wurde in die Kriegsposaunen ge-
stoßen; es war nicht genug damit, daß Spanien zur
Niederwerfung der furchtbaren Ausstände auf Cuba
und den Philippinen 290 000 Mann über's Meer
geschickt hat, er mußten noch weitere 500 000 mobil
gemacht werden, um unverzüglich gegen die Vereinig-
ten Staaten auszurücken! Wie anders ist doch die
Stimmung heute! Allenthalben glätten sich die Wo-
gen, die Brust Aller schwellt sich von freudigen Hoff-
nungen; man hört nur mehr vom Frieden sprechen.
Herr Canovas del Castillo, der noch vor einigen
Monaten, mit Bezug auf die cubanische Insurrektion,
hoch und feierlich erklärte, er werde den Krieg nur
durch den Krieg bekämpfen, und der von Vergleichen
nichts hören wollte, scheint jetzt zu besserer Einsicht
gekommen zu sein. Man hört wenigstens überall be-
haupten, den Cubaneru würden in Bälde die weitest-
gehenden Reformen gewährt werden, und zwar im
Einvernehmen mit den Vereinigten Staaten. Mr.
Taylor, der Vertreter der Ver. Staaten in Madrid, hat in
der That dieser Tage häufige Unterredungen mit dem
spanischen Premier gehabt, und obgleich über die ver-
handelten Gegenstände nichts Sicheres in die Oeffent-
lichkeit gedrungen ist, so will man doch wissen, daß
sie im Zusammenhänge stehen mit einer nahe bevor-
stehenden Regelung der kubanischen Angelegenheit.
Weiter verlautet, die mropäiscken Großmächte hätten
durch ihre Botschafter der spanischen Regierung den
Rath ertheilt, so bald als möglich der Jasel Cuba
die Selbstverwaltung zu gewähren, um so den Ver-
einigten Staaten jeden gerechten Grund einer Ein-
mischung auf der großen Antille zu benehmen. Der
spanische Ministerpräsident — so hört man in gut
unterrichteten Kreisen sagen — hat die Ueberzeugung
gewonnen, daß er mit dieser in Europa allgemeinen
Stimmung rechnen muß. Starre Unnachgiebigkeit
würde Spanien die Sympathien der Mächte abwendig
machen und Spaniens Lage nur verschlimmern. Wenn
sich Spanien nun diese Sympathien zu bewahren
weiß, so erscheint es noch sehr fraglich, ob eS deshalb
auf die materielle Unterstützung der Mächte rechnen
kann, aber jedenfalls wird ihm deren moralische Unter-
stützung nicht fehlen, und werden ihre Vorstellungen
sicherlich nicht ohne Einfluß auf die Haltung der
Amerikaner bleiben. Die Reformen, die der Insel
Cuba zu gewähren sind, werden naturgemäß weiter-
gehend sein, als die durch die liberalen Kvrtes vo-
tirten, denn die Zustände sind mit der Zeit ganz an-
dere geworden. ES muß zunächst an den Wieder-
aufbau der wirthschaftlichen Lage der Kolonie gedacht
werden. Da säwmtliche Kriegikosten dem Budget
der Insel zur Last gelegt werden müssen, so muß da-
rauf gesonnen werden, diese Last überhaupt erträglich
zu machen. Zunächst wird man, um das Leben zu
verbilligen und den Handel zu heben, die Zolltarife
bedeutend ermäßigen. Sodann muß die Besteuerung
umgeändert und, um alle Klagen verstummen zu Mächen,
die gesammte Verwaltung der Insel dem einheimischen
Element überlassen werden.
In amtlichen Kreisen stellt man gegenüber verschie-
denen Zeitungsmeldungen durchaus nicht in Abrede,
daß die spanisch-amerikanische Frage in eine Phase
eingelenkt ist, die den Ausgangspunkt einer baldigen
friedlichen Beilegung bilden dürfte. Da man aber
dort noch vor kurzer Zeit höchst kriegerisch gestimmt
war und nur Feuer und Schwert als einzig wirksames
Mittel zur Ueberwindung der bestehenden Schwierig-
keiten gelten lassen wollte, so will man nicht so plötz-
lich beidrehen und rückt nur allmählich mit der Wahr-
heit heraus. Da heißt eS denn: Die Reformen
werden Cuba gewährt werden, aber nicht schon gleich,
sondern im geeigneten Augenblicke, nachdem bedeutende
Waffenerfolge auf Cuba erzielt sein werden, oder
doch, sobald wenigstens die Provinz Pinar del Rio
von Insurgenten gesäubert sein wird. Dieser Augen-
blick wird, wie eS scheint, nicht mehr lange auf sich
warten lassen. General Weyler — so wird nach hier ge-
kabelt — der in der genannten Provirz an der Spitze
von 40 Bataillonen operirt, erklärt,daß binnen weni-
gen Tagen die ganze Provinz pacificirt sein werde.
Die wenigen Insurgenten, die in derselben verharren
seien förmlich ausgehungert, verstecken ihre Waffen
und nähern sich den Kolonnen als friedliche Land-
leute, die um ein Stück Brod betteln. Ob diese Er-
klärungen der Thatsachen entsprechen oder nicht, ver-
schlägt eigentlich wenig. Wir konstatiren blos, daß
alles auf eine baldige Wendung zum Besseren hin-
deutet. Werden den Cubanern weitgehende Reformen
gewährt, so werden sie wahrscheinlich die Waffen nieder-
legen. In diesem Sinne soll sich übrigens der alters-
schwache und durch den Tod seiner Sohnes ganz
gebrochene Jnsurgentenanführer Maximo Gomez ge-
äußert haben. Der vor kurzem gefallene Maceo war
der einzige Cabezilla, der von einem Vergleich nichts
hören wolle. Sollte nach Gewährung der Reformen
der Krieg dennoch fortdauern, so würden die Vereinig-
ten Staaten sich von jeder Einmischung enthalten, und
mit den Kubanern allein würden die Spanier schon
fertig werden. Es ist jedenfalls zu wünschen, daß
man auf der einen, wie auf der andern Seite zur
Nachgiebigkeit geneigt sei, auf daß der unselige Krieg,
der ein herrliches Land verödet und Hnnderttausende
von Menschenleben hinrafft, endlich aufhöre.
Deutsches Reich.
* Berlin, 1. Jan. Der Kaiser nahm vorgestern
längere Zeit an der Sitzung deS StaatsminifleriumS
theil.
* Berlin, 31. Dez. In der Freien Vereinigung
der Berliner Produktenbörse, die gestern Abend die
Auflösung der Börse beschloß, waren auch mehrere
Mitglieder des Teltestenkollegiums, so die Kammer-
zienräthe Schütt und Sobernheim, anwesend. Es
wurde von den verschiedenen Rednern betont, daß
nicht eine Umgehung des Gesetzes, sondern die Wah-
rung der Ehre des Kaufmannsstandes maßgebend für
den Beschluß sei. Namentlich Herr Sobernheim führte
aus, die Produktenbörse allein sei maßgebend für das
Urtheil, was ihre Ehre verletze oder nicht. Es werde
vielleicht der Versuch gemacht werden, neue Formen,
unter denen man den Getreidehandel fortsetzeu wolle,
durch irgend welche Interpretation des Gesetzes zu
unterdrücken und es sei möglich, daß eine Zeit harten
Kampfes komme. Andererseits aber scheine es jetzt
schon, als ob die Regierung sich nicht mehr recht wohl
fühle und auf Mittel und Wege sinne, den Forder-
ungen des ehrbahren Kaufmannsstandes gerecht zu
werden. Allgemein w rd erwartet, daß auch der Spi-
ritushandel von der Börse auswandert.
* Berlin, 31. Dez. Der als Anarchist bekannte
Schneidermeister Töps und der Musikdirektor Olbrich
sind dieser Tage aus bis jetzt unbekannten Gründen
verhaftet worden.
* München, 31. Dez. Wie sehr mitunter die
Gesetzeshandhabung von der einfachen natürlichen und
praktischen Anschauung der Dinge sich entfernt, zeigt
ein Erkenntniß des Verwaltungsgerichtshofs. Nach
dem bayerischen Heimathgesetz besitzen An-
gehörige des bayerischen Staates das Anrecht auf un-
entgeltliche Verleihung des HeimathSrechtS, wenn sie
sich während voller 7 Jahre ununterbrochen in einer
Gemeinde als Dienstboten, Gewerbegehilfen, Fabrik-
arbeiter oder Lohnarbeiter ernährten und nicht richter-
lich zu einer Freiheitsstrafe verurthei.lt worden sind.
Der Magistrat Nürnbergs, die Regierung von Mittel-
franken und nun auch der Verwaltungsgerichtshof ha-
ben aber die Gesuche zweier in Nürnberg wohnender
Arbeiter um unentgeltlicher Verleihung deS Heimath-
rechtS abgewiesen, weil sie wohl in Nürnberg
wohnen, aber die Fabrik, in der sie beschäftigt
sind, außerhalb der Stadtgrenze liegt. Das
ist eine Auslegung des Begriffes „ernähren",
der alles praktischen Anschauungen zuwiderlauft. Es
wird dadurch der Zweck des Gesetzes für viele Perso-
nen geradezu illussokisch gemacht. Da spricht man
immer von sozialen Aufgaben unserer Zeit. Man
hat Arbeiterfahrkarten, Borortsverkehr, Straßenbahnen,
um den Arbeitern die entferntere Arbeitsstätte leichter
erreichbar zu machen und hier schafft man Begriffe,
die es einer Anzahl vielleicht sehr fleißiger Arbeiter
unmöglich machen, an dem Ort, an dem er wohnt,
das unentgeltliche Heimathrecht zu erhalten, das ein
Anderer bekommt, der im Orte selbst faullenzt.
* Lrefeld, 31. Dez. Die Generalversammlung
des rheinischen Bauernvereins zu Neuß verlangte die
Einführung keiner Landwithschafts-Kammer "für die
Rheinprovinz, die Vorlage eines neuen Margarinen-
gesetzes mit verschärften Bestimmungen "über Färbung,
sanitäre Kontrolle-Besteuerung, Verbot von Kunst-
käse Fabrikation und gleichzeitige Herstellung von Mar-
garine in einer Fabrik.
* Hamburg, 31. Dez. In einer heute stattge-
habten Versammlung sämmtlicher Mitgliedschaften der
streikenden Hafenarbeitern wurden letztere ermahnt, auch
am heutigen Sylvesterabend die größte Ruhe zu be-
wahren. Desgleichen möchten die Streikenden auch
im neuen Jahre fest Zusammenhalten. Heute Nach-
mittag wurde ein durch einen Unfall zu Schaden ge-
kommener Arbeiter beerdigt. Etwa 4000 Streikende
mit Fahnen und Mnsikhörnern betheiligten sich an
der Leichenfeier. — Nach den neueste» Meldungen ist
im Streikstaud keine wesentliche Veränderung bemerk-
bar. Die Streikführer erklärten, daß sie bereits für
3 Wochen Streikgelder besitzen, und muntern die
Theilnehmer auf, auszuharren. Andererseits sind die
Arbeitgeber zum Nachgeben nicht bereit, obgleich sie
die enorme Schädigung der Handels anerkennen. In
einer heutigen Versammlung wurde dies mehrfach
betont.
Ausland.
* Budapest, 31. Dez. Wegen Veröffentlichung
von 3 diplomatischen Aktenstücken bezüglich der Zoll-
verhandlungen zwischen Rußland und Deutschland,
die kürzlich im Ackerbauministerium gestohlen wurden,
standen heute der Diurnist Josef Pascholvt und der
Redakteur Jnczedy vom „Magyar Ocszig" vor Ge-
richt. Die Vertheidigung verlangte die Vorladung'jdes
Ackerbauministeriums, was der Gerichtshof verweigerte.
Paschol) wurde zu 7 Monaten Kerker und dreijähri-
gem Amtsverlust, Jnczedy zu 3 Monaten Gefängniß
und 400 fl. Geldstrafe verurtheilt.
* Belgrad, 31. Dez. In der heutigen Sitzung
der Skupschtina verlas der Minister des Innern
Georgiewitsch einen UkaS des Königs, durch welchen
die Skupschtina aufgelöst wird. Die Fortschrittspar-
tei beschloß, sich völlig aufzulösen.
* Paris, 31. Dez. Der „Soleil" schreibt, es sei
nothwendig, das Publikum über den Stand der Frage
der Umgestaltung der Artillerie aufzuklären. Frank-
reich werde alle für die nationale Vertheidigung nö<
thigen Opfer bringen.
* Stockholm, 31. Dez. Seit einigen Tagen ist
der älteste Sohn des Kronprinzen von Schweden
und Norwegen, Prinz Gustav Adolf an einer Ohren-
entzündung unter Fiebererscheinungen erkrankt. Die
letzte Nacht verlief unruhig unter heftigen Schmerzen.
Temperatur beträgt 39.3°.
* Madrid, 31. Dez. Die Hauptblätter enthüllen
heute Unterschleife der Kciegsverwaltung auf Cuba.
Die Soldaten wurden gänzlich verwahrlost; die Vor-
gesetzten steckten die für Arzneien, Kleidung und Le-
bensmittet bestimmten Summen zu einem großen
Theile ein. Der „Jmparcial" verlangt heftig die
Abberufung der Schuldigen; der Kriegsminister Az-
carraga solle den Oberbefehl auf Cuba übernehmen.
Weyler'S Stellung ist sehr erschüttert. — Beim Ver-
lassen des Ministerraths sagte der Kriegsminister, die
angeblichen Enthüllungen über U aterschieife der Kriegs-
verwaltung auf Kuba seien unbegründet. D r „Jm-
parcial" und der „Heraldo" wurden deshalb be-
schlagnahmt.
* Washington, 31. Dez. Spanien hätte sich
erboten, die Vermittlung der llnionstaaten hinsichtlich
Cuba's anzunehmen, sobald General Weyler die Auf-
ständischen aus der Provinz Pinar del Rio vertrieben
haben würde. Alsdann würde Spanien zur Annahme
fast jeden Vorschlages bereit sein, mit Ausnahme des-
jenigen, der auf die Autonomie und Unabhängigkeit
ver Insel abzielen würde.
* Capstadt, 31. Dez. Cecil RhodeS ist gestern
hier eingetroffen und von einer großen Menschen-
menge begeistert empfangen worden. Auch aus allen
Haltepunkten seiner Reise hierher wurde er herzlich
begrüßt. In seiner kurzen Erwiderung auf die ihm
hier überreichten Adresse äußerte er seinen Dank für
die Herzlichkeit des Empfanges, die er als Aner-
kennung seiner Thätigkeit im Norden des Kolonial-
landes ansehe. Ausdehnung bedeute in Südafrika
Union. Ec halte an seiner vorjährigen Aeußerung
fest, daß seine Wirksamkeit im öffentlichen Dienste erst
jetzt beginnen werde.
* Bombay, 30. Dez. Wie verlautet, entsendete
Afgahanistan drei Regimenter von Asmar nach einem
25 Meilen weiter südlich gelegenen Orte im Moh-
mandlande. Man glaubt, der Schritt sei durch die
Annahme veranlaßt, daß Streit gkeiten zwischen den
Bewohnern von Mohmandland und dem Kahn von
Nawagai auf der britischen Seite der Grenze bevor-
stehen.
* Manila, 1. Jan. Dr. Riegel wurde hier er-
schossen. Er soll einer der Hauptanstifter des Auf-
standes gewesen sein; auch zählte er zu den hervor-
ragensten und angesehensten Männer der Stadt. Seine
Studien machte er in Europa und besaß 3 Doktor-
Diplomen, darunter das der Medizin. Vor dem
Kriegsgericht wurde ihm der Prozeß wegen Hoch-
verraths gemacht und er wurde kurzweg zum Tode
verurtheilt. Sein letzter Wunsch war, mit seiner Ge-
liebten, einer Canadierin, noch getraut zu werde«.
Seine Verwandten wollten bei Polavieja um Gnade
für ihn bitten, aber sie wurden nicht vorgelassen und
er gelang ihnen auch nicht, die Leiche des Erschossenen
zu bekommen. Die Behörden hatten Maßregeln ge-
troffen, um Volkskundgebungen zu verhindern.
Aus Baden.
* Karlsruhe, 31. Dezember. DaS Ministerium
deS Innern hat den Landeskommissar Ministerial-
rath Freiherr» von Rüdt - Collenberg zum Staats-
kommissar für die Börse in Mannheim und den
Geh. RegierungSrath Pfisterer zu dessen Stellvertreter
ernannt. Wie die „Karlsr. Ztg." vernimmt, haben
die von der Mannheimer Handelskammer, bezüglich
der Organisation der dortigen Börse, geäußerte«
Wünsche in der Börsenordnung eine weitgehende Be-
rücksichtigung erfahren.
* Karlsruhe, 1. Jan. Nach dem soeben er-
schienenen Jahresbericht der Generaldirektion der bad.
Staatseisenbahnen pro 1895 betrug die Gesammt«
brutto-Einnahme auf diesen Bahnen 54,013,076 M.,
im Jahre 1894: 50,721,078 M., daher in ersterem